Siegel der Universität Heidelberg
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Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

das Verhältnis von Staat und Universität steckt in der Krise. Weder der Staat ist mit den Universitäten zufrieden, noch die Universitäten damit, wie sie vom Staat behandelt werden. Autonomie ist das Schlagwort, das in diesem Kontext in die Debatte geworfen wird. Eine Selbstverständlichkeit, frohlocken die Universitäten und träumen einen Augenblick lang von der Freiheit. Doch schon bald wird deutlich: Die Autonomie ist ein Geschenk. Und wer ein Geschenk erhält, hat keine Rückfragen zu stellen. Auch dann nicht, wenn auf Seiten des Staates mit der neuen Autonomie gleichzeitig Instrumente entwickelt werden, um diese in den Käfig zu sperren.

Eines dieser neuen Instrumente scheinen die "Zielvereinbarungen" zu sein. Künftig sollen die Universitäten mit den Ministerien darüber verhandeln, was gemeinsam anzustrebende Ziele der universitären Entwicklung sein könnten. Die Mittelzuweisung soll davon abhängig sein, ob diese Ziele auch erreicht werden. Um sie durchzusetzen, wird es künftig Aufgabe des Rektors sein, die mit dem Ministerium festgelegten Ziele den Dekanen deutlich zu machen und mit diesen genauso Zielvereinbarungen abzuschließen, wie die Dekane ihrerseits mit den Institutsdirektoren zu einer Abmachung darüber kommen müssen, wie die von dem Rektor der Universität unterzeichneten Zielvereinbarungen umgesetzt werden können. Wer da nicht mitmacht, gefährdet das Ganze, nur wer auf Linie ist, fällt Dekan und Rektor nicht in den Rücken. Die Universität übt sich im Gleichschritt.

Auf der Ebene einzelner Projekte mag diese Vorgehensweise ihre Berechtigung haben. Doch wer kann Ziele definieren, die gleichzeitig so abstrakt und konkret sind, dass sie zugleich für die Universität als Ganzes und bis in die einzelnen Institute einer höchst ausdifferenzierten Lehr- und Forschungslandschaft Bestand haben können? Optimisten meinen, vermehrte Partizipation der in den Instituten interessierten und aktiven Mitglieder der Universität könne einen Prozess herbeiführen, in dem von unten nach oben die Vielzahl der partikularen Ziele zu einem Gesamtprogramm der Universität gebündelt und dem Ministerium vorgelegt werden könne. Kritiker stellen jedoch diese Möglichkeit in Abrede. Eine Universität ist ein hoch komplexes und differenziertes Gebilde. Wollte man die partikularen Ziele der Institute zu einer universitären Gesamtstrategie vereinen, müsste das Konzept des Rektorats so allgemein sein, dass es nicht in Zielvereinbarungen gegossen werden kann, die einer wie auch immer gearteten "Kontrolle" standhalten. Mit anderen Worten: In den Verhandlungen mit dem Ministerium hat der Rektor meist nur Allgemeines einzubringen; das Ministerium hat aber durchaus Konkretes vorzutragen: die Erhöhung oder Senkung der Zahl von Studienanfängern in bestimmten Fächern um 50 oder 100, die Steigerung des Frauenanteils unter den Professoren auf, sagen wir, 20 Prozent, und – um nur ein weiteres Beispiel zu nennen – die Verbesserung der Drittmitteleinwerbung um 25 Prozent. Die bereits abgeschlossenen Zielvereinbarungen zwischen Staat und Universität legen ein beredtes Zeugnis dieses Missverhältnisses ab. Hier die Universität mit ihren allgemeinen Grundsätzen, dort der Staat mit seinen konkreten und politisch beziehungsweise ökonomisch begründeten Forderungen. Überprüft wird letztlich, ob die konkreten Forderungen umgesetzt werden, nur sie bieten sich ja der Überprüfung an, da hier gezählt und gerechnet werden kann. Der Rest ist unwichtig.

Es ist zu befürchten, dass über das Mittel der Zielvereinbarungen der Staat versucht, politisch begründete Forderungen in einem Raum durchzusetzen, der bisher vor politischer Einflussnahme geschützt war. Was in Zeiten des Kalten Krieges als Zauberformel für die Entfaltung von Intelligenz und Kreativität zu Gunsten des gesellschaftlichen Wohlergehens gepriesen wurde, die Autonomie der Wissenschaft, wird im Zeitalter der Zielvereinbarungen in den Vogelkäfig gesperrt. Ein wenig dürfen die Universitäten fliegen, aber nur so weit, wie es der Käfig erlaubt!

Ob die Krise im Verhältnis von Staat und Universität auf diese Weise einer Lösung zugeführt wird, bleibt fraglich. Zwar mögen die Universitäten der Zukunft weniger chaotisch, effizienter in der Befolgung der Zielvereinbarungen und einheitlicher agieren, doch steht zu befürchten, dass sich in der Universität das wiederholt, was wir aus Planwirtschaften kennen: Das kreative Durcheinander macht planvoller Mittelmäßigkeit Platz.

Ihre
Susanne Weigelin-Schwiedrzik
Prorektorin

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