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Kurzberichte aus der Wissenschaft

Kleine Galaxien und ihre bewegte Vergangenheit

Hunderte Zwerggalaxien bevölkern die großen Galaxienhaufen – und geben den Astronomen Rätsel auf

von Thorsten Lisker

Erscheint der nächtliche Sternenhimmel dem bloßen Auge nahezu unvergänglich, so entpuppt er sich beim Blick durch moderne Teleskope als kosmisches Chemielabor. Junge heiße Sterne bringen mit ihrer energiereichen Strahlung das umgebende Gas zum Leuchten, Spiralgalaxien verschmelzen beim Zusammenstoß zu riesigen Objekten aus hunderten Milliarden Sternen, und Schwarze Löcher, die in den Zentren aktiver Galaxien mit Gas und Sternen gefüttert werden, stoßen unaufhörlich riesige Materieströme mit unvorstellbaren Geschwindigkeiten ins All. Dies geschieht allerdings in großen Entfernungen und kann meist nur mit Hilfe empfindlicher Instrumente und digitaler Aufnahmen erfasst werden. Für das bloße Auge ist der Nachthimmel daher fast ausschließlich geprägt von den Sternen unserer Milchstraße, einer typischen Spiralgalaxie, in der sich die Sonne und ihre Planeten zusammen mit Milliarden anderen Sonnen befinden.

Der Bau großer Teleskope machte Anfang des letzten Jahrhunderts klar, dass die Milchstraße nur eine von unzähligen Galaxien im Universum ist. Diese sind oft in Ansammlungen von einigen Dutzend oder gar vielen Hunderten zu finden, so genannten Galaxiengruppen beziehungsweise Galaxienhaufen. Für die Astronomen sind große, nahe Galaxienhaufen von besonderem Interesse, denn in diesen dicht bevölkerten Gebieten können vielfältige Prozesse beobachtet werden: Immer wieder fallen kleine Gruppen von Galaxien der großen Anziehungskraft der Haufen zum Opfer und werden ihnen einverleibt. Der Druck des heißen, diffusen Haufengases kann den Neuankömmlingen den eigenen Gasvorrat rauben, und wenn sie dicht an einzelnen Haufengalaxien vorbeifliegen, kann es passieren, dass ihnen die extremen Gezeitenkräfte eine große Anzahl Sterne entreißen.

An den Schauplätzen solch dramatischer Szenen machen wir jedoch eine ungewöhnliche Beobachtung: Inmitten der Galaxienhaufen finden sich unzählige kleine Galaxien, die keinerlei Anzeichen irgendeiner äußeren Beeinflussung zeigen – sie gleichen Booten auf rauer See, die im Gegensatz zu großen Schiffen scheinbar mühelos dem hohen Wellengang trotzen. Diese so genannten elliptischen Zwerggalaxien, die immerhin noch einige hundert Millionen Sterne bergen, sind in Galaxienhaufen dreimal zahlreicher als alle anderen Galaxienarten zusammengenommen. Ihr unspektakuläres Erscheinungsbild, geprägt von alten und homogen verteilten Sternen, suggeriert ein ereignisloses Dasein – doch möglicherweise trügt der Schein. In unseren Untersuchungen von mehreren hundert elliptischen Zwerggalaxien des nahen Virgo-Galaxienhaufens trat unter der oberflächlichen Homogenität eine erstaunliche Vielfalt zu Tage. Zwerggalaxien mit kompaktem „Kern“, einer Art überdimensionalem hellen Sternhaufen, finden sich hauptsächlich in stark bevölkerten  Regionen des Galaxienhaufens und besitzen eine eher rundliche Gestalt. Dahingegen weisen Zwerggalaxien ohne Kerne eine flachere Struktur auf und bevorzugen die weniger dichten Außenbereiche des Haufens; zudem scheinen ihre Sterne etwas jünger zu sein.

Das eigentliche Geheimnis jedoch bergen die größeren und leuchtkräftigeren Zwerggalaxien. Bei der Analyse der digitalen Aufnahmen mit der aus der Fotografie entliehenen Technik der Unscharfmaske kamen in zahlreichen Galaxien Spiralarme und flache Scheiben zum Vorschein, die so schwach sind, dass man sie auf der unbearbeiteten Aufnahme nicht entdecken kann. Interessanterweise sind diese Zwerggalaxien scheinbar wahllos über den Haufen verteilt, und ihre großräumige Bewegung ist noch nicht zur Ruhe gekommen – etwas, das ebenso für große Spiralgalaxien gilt. Möglicherweise beobachten wir hier also die Überreste einstiger Spiralgalaxien, die erst durch die Gezeitenkräfte des Galaxienhaufens umgeformt und zu Zwerggalaxien degradiert wurden.

Auch die Zwerggalaxien ohne Kerne scheinen erst kürzlich dem Haufen einverleibt worden zu sein – vielleicht konnte man sie vor nicht allzu langer Zeit noch als irreguläre Galaxien mit kühlem Gas und aktiver Sternentstehung beobachten. Einzig die Zwerggalaxien mit Kernen folgen dem klassischen, herkömmlichen Bild kleiner elliptischer Galaxien mit eher kugeliger Form und starker Konzentration hin zum Haufenzentrum. Das macht ihre Vergangenheit jedoch nicht minder interessant: Vielleicht sind es gerade diese Zwerggalaxien, die sich vor langer Zeit innerhalb kleiner Verdichtungen der Dunklen Materie formten, jenen kleinen „Halos“, die laut kosmologischer Berechnungen zuhauf vorhanden sein sollten.

Viele Fragen sind noch unbeantwortet. Warum findet sich ein solch großer Anteil an elliptischen Zwerggalaxien nur in Galaxienhaufen, nicht aber in Galaxiengruppen? Warum folgen viele ihrer Eigenschaften einer gemeinsamen Sequenz mit den großen elliptischen Galaxien, obwohl für diese ganz andere Entstehungsmechanismen in Frage kommen? Warum finden wir keinerlei Anzeichen für kürzlich erfolgte, heftige Umwandlungsprozesse und sehen stattdessen scheinbar völlig ungestörte und reguläre Galaxien?

Am Astronomischen Rechen-Institut, Teil des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg, sind bereits weitere Beobachtungen an Observatorien in Chile und den USA geplant, um Licht ins Dunkel dieser kleinen und doch so zahlreichen Objekte zu bringen. Im nächsten Jahrzehnt schließlich werden uns  Teleskope mit Spiegeldurchmessern von mehr als  20 Metern eine neue Art der Analyse solcher Galaxien ermöglichen – dann nämlich sind wir in der Lage, nicht nur ihr gebündeltes Licht zu empfangen, sondern ihre Sterne einzeln zu untersuchen.


Dr. Thorsten Lisker konnte im Zuge der Exzellenzinitiative als Nachwuchsgruppenleiter eingestellt werden und leitet seither die Gruppe „Extragalaktische Astronomie“ (http://x-astro.net) am Astronomischen Rechen- Institut, einem der drei Institute des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg (www.zah.uni-hd.de). Die Gruppe ist Bestandteil der Heidelberger Graduiertenschule für Fundamentale Physik (www.fundamental-physics.uni-hd.de), welche ebenfalls im Rahmen der Exzellenzinitiative
etabliert wurde.
Kontakt: tlisker@ari.uni-heidelberg.de

 


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