Siegel der Universität Heidelberg
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Interview

"Diese ungeheure Öde und Kümmerlichkeit" – die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus  

Bereits im Sommer 1933 waren zwei entscheidende Weichen gestellt: Mit dem Reichsgesetz zur "Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April begann die erste von drei Entlassungswellen, die vor allem jüdische, aber auch politisch unliebsame Wissenschaftler betraf. Und mit dem im August 1933 verabschiedeten Universitätsgesetz hielt das Führerprinzip Einzug. Was folgte, waren zwölf Jahre – geprägt von Ideologie, Vertreibung und Militarisierung. "Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus" heißt ein voluminöser Sammelband, der dieser Geschichte bis ins Detail nachspürt. Für die Ruperto Carola sprach Oliver Fink mit den drei Herausgebern, den Historikern Wolfgang Eckart, Volker Sellin und Eike Wolgast.

Wie braun war die Ruprecht-Karls-Universität zwischen 1933 und 1945?

Prof. Eike Wolgast: Nach Berlin und Frankfurt litt Heidelberg in der Nazi-Zeit am stärksten unter den "Säuberungen". In Erlangen oder auch Tübingen rühmten sich die Rektoren oder NS-Funktionäre, dass bei ihnen dank einer nationalsozialistischen Berufungspolitik keine Juden mehr lehrten, die man hätte entlassen können. An der Ruperto Carola dagegen spielte der Antisemitismus in den 1920er Jahren – bei Berufungen etwa – keine große Rolle, zudem galt Heidelberg als liberale Hochburg. Umso stärker versuchte man nach 1933, diesem Ruf entgegenzusteuern. Die verhältnismäßig große Zahl an Entlassungen ermöglichte es den Nationalsozialisten natürlich, in personeller Hinsicht noch stärker als anderswo neue Akzente zu setzen. Insofern wurde Heidelberg als besonders braune Universität wahrgenommen.

Die Vertreibung missliebiger Dozenten und Professoren bedeutete einen immensen Niveauverlust für den Wissenschaftsstandort Heidelberg. Das konnte vielen Kollegen, unabhängig von ihrer politischen Überzeugung, doch nicht gleichgültig gewesen sein. Gab es Widerstand gegen diese Maßnahmen?

Prof. Wolfgang Eckart: Nicht wirklich. Vereinzelte Proteste gab es in der Anfangsphase. So hat der damalige Dekan der Medizinischen Fakultät, Richard Siebeck, versucht, der Entlassung des Serologen und Krebsforschers Hans Sachs entgegen zu wirken. Immerhin mit kurzfristigem Erfolg – die Aussetzung aus dem Amt wurde zunächst verschoben. Auch im Senat gab es den Versuch, eine Resolution gegen die pauschalen Entlassungen zu verfassen. Doch solche Aktivitäten haben sich schnell verflüchtigt. Somit muss von einer Selbstgleichschaltung der Universität gesprochen werden. Regelrechten Widerstand gab es keinen. Viele Universitätsangehörige begleiteten diesen Prozess lediglich mit unangenehmen Gefühlen.

Prof. Volker Sellin: Auf offenen Widerstand verzichtete die Universitätsleitung im Frühjahr 1933 in der Annahme, dass sie die gefährdeten Kollegen eher vor der Entlassung bewahren könne, wenn sie auf die Ausnahmeregelungen setzte, die das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" bot, zum Beispiel für Professoren, die im Ersten Weltkrieg an der Front gekämpft hatten, oder wenn sie auf den hohen wissenschaftlichen Rang oder die Unersetzlichkeit einzelner Professoren hinwies. Jüngere Dozenten freilich konnten kaum je solche Ausnahmetatbestände geltend machen. Hinter dem Rekurs auf taktische Erwägungen stand die Vorstellung, in ein bis zwei Jahren sei die Gefahr überstanden.

Gegenwehr gegen eine nationalsozialistisch ausgerichtete Universität war auch nicht von den Studenten zu erwarten?

Wolgast: Nein. Im Gegenteil. Bei den letzten AStA-Wahlen vor der Machtergreifung im Januar 1933 hatte der NS-Studentenbund schon die Mehrheit der Sitze errungen. Diese Radikalisierung zeigt sich während der Zeit der Weimarer Republik immer wieder, beispielsweise im Fall Gumbel. Die Studentenschaft war insgesamt weitaus rechtsradikaler als ihre Dozenten. Insofern war eine große Mehrheit der Studenten vorzüglich auf das Dritte Reich vorbereitet. Wer nicht zum NS-Studentenbund zählte, gehörte zu den Korporationen, die mindestens so eifrig waren, ihre jüdischen Mitglieder auszuschließen und sich gleichzuschalten. Radikale Studenten taten sich auch bei Aktionen gegen jüdische Professoren hervor, etwa durch Boykottmaßnahmen, wie beispielsweise im Fall des Mathematikers Arthur Rosenthal oder des Juristen Ernst Levy.

Man unterscheidet zwischen Mitläufern und Tätern – eine Grenze ist da oft schwer zu ziehen. Gab es an der Universität Heidelberg Fälle dezidierter Täterschaft?

Eckart: Im Bereich der Medizinischen Fakultät ist hier der Ordinarius für Psychiatrie Carl Schneider zu nennen, der unmittelbar in Vorgänge des Krankenmordes involviert war: Einundzwanzig geistig behinderte Kinder, die aus der Heidelberger Psychiatrie kamen, sind auf Veranlassung dieses Psychiaters in der Heil- und Pflegeanstalt Eichberg im Rheingau umgebracht worden. Auch der Komplex der Zwangssterilisation gehört in den Bereich der Täterschaft. Und da ist es vor allem die Frauenklinik und auch die Chirurgie, die eine unrühmliche Rolle spielten. Geistige Mittäterschaft – wenn man so will – findet man in diesem Bereich bis hinein in die Vorlesungen Viktor von Weizsäckers.

Und wie ist es um die Täterschaft in den anderen Fakultäten bestellt?

Sellin: Ich habe Zweifel an der Tauglichkeit des Begriffs Täterschaft. Denn die Mitwirkung an direkten Tötungsdelikten wie in der Medizinischen Fakultät gibt es in den anderen Fakultäten nicht. Man müsste hier erst eine Terminologie finden, die die Abstufung unterschiedlicher Arten der Kompromittierung abbildet. Und da tut sich ein weites Spektrum auf. Mal kann man es Opportunismus nennen, mal Unterwerfung – es gibt eine ganze Palette von Verhaltensweisen, die in unterschiedlicher Weise dem NS-Regime zuträglich waren und zur Stabilisierung dieses Systems beigetragen haben – bis hin zum aktiven Handeln.

Worin liegen die Besonderheiten Ihrer jetzt vorgelegten Studie, für die insbesondere die Quellenbestände des Universitätsarchivs sowie des Generallandesarchivs in Karlsruhe ausgewertet wurden?

Wolgast: Zunächst einmal haben wir Wert darauf gelegt, sowohl die unmittelbare Zeit vor 1933 wie auch nach 1945 in die Betrachtung einzubeziehen. Wir haben sowohl den Status am Ende der Weimarer Republik erhoben wie auch einen Ausblick vorgenommen, der von Fach zu Fach unterschiedlich ausfällt – bis zu dem Zeitpunkt, da sich das Fach neu positioniert. Das hat uns ermöglicht, Kontinuitäten und Brüche deutlicher als bisher zu markieren.

Sellin: Und ich meine, dass ein Fortschritt erzielt wurde, weil unsere Studie über die spektakulären Fälle und die großen Namen weit hinausreicht. Die fehlen zwar nicht in unserem Buch. Aber dadurch, dass wir die Gesamtuniversität in den Blick nehmen – viele Kollegen aus den verschiedenen Instituten haben Aufsätze zur Geschichte ihres jeweiligen Bereichs während der Zeit des Nationalsozialismus beigesteuert -, kommt so etwas wie der Durchschnitt, das Alltägliche zum Vorschein. Und erst dadurch ist man in der Lage, sich ein Urteil darüber zu bilden, was da eigentlich passiert ist. Auch der jetzige Zeitpunkt erscheint für eine solche Untersuchung günstig: Es musste erst die Phase der Entlarvungsgeschichten überwunden werden, die die Erforschung des Nationalsozialismus lange geprägt haben.

Insgesamt ergibt sich ein sehr bedrückendes Bild ...

Eckart: Gegen Ende der Arbeit wurde uns immer deutlicher die Tristesse dieser Zeit bewusst, diese ungeheure Öde und Kümmerlichkeit an unserer Universität in jener Zeit. Da geht es nicht nur um Täterschaft, sondern generell um Formen der geistigen Verführbarkeit, der Unehrlichkeit, des Betruges und der Hinterlist, auch um den eigenen Vorteil durchzusetzen. Persönlich ist mir am eindrücklichsten, dass im Jahr 1936 die Inschrift "Dem lebendigen Geist" über dem Hauptportal der Neuen Universität durch die Widmung "Dem deutschen Geist" ersetzt und der Reichsadler angebracht wurde. Pallas Athene, die Göttin der Wissenschaft, wurde bei dieser Aktion in den Innenhof der Neuen Universität verbannt – sie wurde schlicht um die Ecke gebracht: ein Sinnbild für die Geschichte der Universität Heidelberg während der Zeit des Nationalsozialismus.

Wolfgang U. Eckart, Volker Sellin und Eike Wolgast: "Die Universität im Nationalsozialismus", Springer Verlag, Berlin 2006.

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