Siegel der Universität Heidelberg
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"Eine Universität für Juristen und von Juristen"

Eine hoch verschuldete, wissenschaftlich unbedeutende Provinzuniversität mit noch nicht einmal 50 Studenten – das war die "Ruperto Carola" vor 200 Jahren. Wie es innerhalb vergleichs-weise kurzer Zeit gelang, die sterbende Heidelberger Hochschule von ihren alten Zöpfen zu befreien und zu einer lebendigen Lehr- und Forschungsstätte umzuformen, erzählt Klaus-Peter Schroeder von der Juristischen Fakultät. Die erfolgreiche Wiederbelebung der Rechtswissenschaften auf hohem Niveau trug wesentlich zur Attraktivität Heidelbergs als Studienort auch für andere Fächer bei – und so manches von dem, was der Autor aus der Vergangenheit berichtet, mutet in überraschender Weise modern an.

Die Markgrafschaft Baden könne künftig "die grössten, volkreichsten und schönsten Städte, das grösste Schloß und die einzige Universität seines alten und neuen Landes" ihr eigen nennen. So bestimmt es der Reichsdeputationshauptschluss des Jahres 1803, letztes Grundgesetz des Alten Reiches, welcher der Markgrafschaft Baden territoriale Zugewinne von erheblichen Ausmaßen zusicherte. Die Übernahme der Heidelberger Hohen Schule bot aber nur wenig Anlass zur Freude: 1803 belief sich der Schuldenstand auf 63 784 Florin, die Zinsverpflichtungen erreichten eine Höhe von 3189 Florin, die Einnahmen hingegen betrugen lediglich 2896 Florin; knapp 50 Studenten waren noch immatrikuliert. Resignierend stellte der Geheime Regierungsrat Friedrich Brauer vor diesem Hintergrund fest, dass Markgraf Karl Friedrich "mit Heidelberg mehr nicht als ein unentgeltliches Privilegium zur Anlegung einer durchaus neu zu dotierenden Universität erlangt habe".

"Dem Staatswohl dienlich – und daher rätlich"

War auch die finanzielle Situation äußerst düster, so stand die Frage der weiteren Existenz einer Hochschule in Heidelberg niemals zur Diskussion. Markgraf Karl Friedrich war fest entschlossen, die Universität zu erhalten und neu einzurichten. Wenn auch Regierungsrat Brauer in seinem ausführlichen Gutachten "Ueber die Universität Heidelberg" vom 20. April 1803 zu bedenken gab, ob der notwendige finanzielle Aufwand für die Restitution der Hochschule sich überhaupt lohne, so fiel die Antwort in der entscheidenden Sitzung des Geheimen Rates am 4. Mai 1803 eindeutig aus: Übereinstimmend befand man, dass die "Aufrichtung der Universität dem Staatswohl dienlich und daher rätlich sei."

Nur zwei Wochen später, am 13. Mai, legte Brauer dem Geheimen Rat jenes Organisationsedikt vor, welches das gesamte Schulwesen regelte und seinen Abschluss in der Neubestimmung der Heidelberger Universitätsverhältnisse fand. Der bisherige Titel der Hochschule wurde um den des neuen Landesherrn erweitert ("Ruprecht-Carolinische Universität"). Erstmals offiziell findet sich der Name "Ruperto Carolina" auf dem Deckblatt des Vorlesungsverzeichnisses für das Sommersemester 1805: "Rektor der Universität, die wir auf diese Art von neuem begründen, wollen Wir selbst seyn und Unsern Nachfolgern in der Kur diese Würde hinterlassen". Auch die Promotionen wurden hinfort nicht länger "caesarea vel pontificia auctoritate" erteilt, sondern unter der Souveränität des neuen Landesherrn, des Kurfürsten von Baden.

Ein eigentümliches Geschlecht von Erbprofessoren

Die Lage der Juristischen Fakultät stellte sich – wie die der gesamten Universität – am Ende des kurpfälzischen Staates nahezu trostlos dar. Von den statutengemäß vorgesehenen sieben Lehrstühlen waren nach dem Tod (1804) des wissenschaftlich bedeutungslosen Jakob Joseph Kirschbaum, Vertreter der Institutionen und der Prozesspraxis, lediglich noch drei besetzt: Den ersten Rang nahm Karl Ignaz Wedekind ein, ein ehrgeiziger und sich selbst weit überschätzender altpfälzischer Vertreter des deutschen Staatsrechts. Er gehörte zu dem eigentümlichen Geschlecht so genannter Erbprofessoren, dem 1784 der Lehrstuhl seines Vaters übertragen worden war; bezeichnenderweise wird er in den Senatsakten als Wedekind III. geführt.

Römisches Recht, Kirchenrecht und daneben Landesprivatrecht lehrte Semester für Semester der gebürtige Heidelberger Franz Anton Wilhelm Gambsjäger. Nach Einführung des überarbeiteten Code Napoleon in Baden (1809) erweiterte er seine Kollegien um das Gebiet des badischen Landrechts. War auch sein Vortrag äußerst dürftig, so zeichneten ihn doch ein erstaunliches Gedächtnis und große Kenntnisse auf verschiedenen Fachgebieten aus. Bei der Neuorganisation konnte man daher an Gambsjäger nicht vorübergehen, gleichwohl war beabsichtigt, ihn auf längere Sicht hin an das Oberhofgericht abzuschieben und durch einen angesehenen Rechtsgelehrten zu ersetzen. Aber Gambsjäger wehrte sich erfolgreich gegen jegliche Versuche, ihn aus der Fakultät abzudrängen. Hingegen hatte die Fakultät selbst dem ohne ihre Zustimmung von der Regierung 1789 zum außerordentlichen Professor für Römisches Recht ernannten Franz Janson die wissenschaftliche und moralische Befähigung zum akademischen Lehramt abgesprochen.

Vor diesem dürftigen personellen Hintergrund verwundert es nicht, dass die Erneuerung der Juristenfakultät die vordringlichste Aufgabe Karl Friedrichs und seiner Berater sein musste. Denn allein die dauerhafte Wiederbelebung der rechtswissenschaftlichen Studien auf hohem Niveau versprach einen raschen Aufschwung der gesamten Akademie. Aber der personelle Neuaufbau der Universität vollzog sich mühsam und zögerlich, zumal die ökonomischen Kräfte des badischen Staates auf Grund der Anforderungen der napoleonischen Kriege bis auf das Äußerste beansprucht wurden. Brauer, der sich der Bedeutsamkeit der Berufung angesehener Dozenten durchaus bewusst war, unterschätzte aber die damit verbundenen Schwierigkeiten. So scheiterte er mit seinem nur wenig bedachten Plan, die Personalorganisation noch im Sommersemester 1803 durchzuführen und wurde – zum späteren Wohl der Ruperto Carola – von dem Hochschulamt entbunden.

Nunmehr konnte Freiherr von Reitzenstein – auf den wohl auch die Abberufung Brauers zurückgeht – als leitender Staatsminister seine Vorstellungen einer personellen Erneuerung der Universität verwirklichen. Er verfolgte die Absicht, Heidelberg im Geiste des Neuhumanismus zu modernisieren und aus der Hochschule eine von alten Zöpfen befreite, lebendige Lehr- und Forschungsstätte zu formen. Reitzenstein dachte nicht daran, Rücksicht zu nehmen auf traditionelle, Jahrhunderte lang eingefahrene Privilegien, Sitten und Gewohnheiten. Überzeugt war er davon, "daß in der Verwaltung einer Universität die Hauptsache nicht ist, was auf dem Papier steht, sondern was auf dem Katheder steht". Ungehindert von überlieferten, vermeintlichen oder tatsächlichen Rechten wollte er den Wissenschaften in Heidelberg eine neue, moderne Wirkungsstätte bieten.

"Wert und Unwert" des Lehrkörpers

Schon im Vorfeld seines Amtsantritts hatten sich aber die Bemühungen der badischen Regierung zerschlagen, dem gleich einem Kometen am rechtswissenschaftlichen Himmel aufgestiegenen Marburger Rechtsgelehrten Friedrich Carl von Savigny für eine ordentliche Professur des römischen Rechts an der Universität zu gewinnen. Savigny lehnte ab, beteiligte sich aber auf Wunsch Karl Friedrichs mit Rat und Tat am Neuaufbau der Ruperto Carola.

Genauestens unterrichtete sich Savigny über die personelle und finanzielle Lage der Hochschule. In eigener Person besuchte er die Vorlesungen einzelner Professoren, um sich ein selbstständiges Urteil über ihren "Wert oder Unwert" zu bilden. In einer ausführlichen Denkschrift – niedergelegt im Oktober 1804 – brachte er seine Vorstellungen über eine durchgreifende Erneuerung der Universität zu Papier. Schonungslos kritisierte er die oftmals mangelnde Qualität der aus altpfälzischen Diensten übernommenen Professoren, denen er zum größten Teil jedwede wissenschaftliche oder pädagogische Qualifikation absprach.

Sein Hauptaugenmerk gilt naturgemäß der Juristischen Fakultät. Gambsjäger, Vertreter des römischen Rechts, ist seiner Ansicht nach "durchaus nicht geeignet, dem Studierenden Liebe und Achtung gegen sein Fach und gründliche Kenntniß deßelben mitzutheilen." Als völlig überfordert mit den Gebieten des Kriminal- und Prozessrechts beurteilt er Janson, dem die "Kenntniß des Zeitgeists und der philosophische Blick, ohne welchen das Criminalrecht nicht gelehrt werden kann", fehle. Insgesamt sieht er in sämtlichen Fakultäten "noch sehr wesentliche Lücken, so daß nicht leicht in Einem derselben ein Studierender den ganzen Cursus vollenden kann". Vor dem Hintergrund der desolaten finanziellen Situation des badischen Staates hatte Savigny aber nur wenig Hoffnung auf eine durchgreifende Reorganisation. So blieb auch seiner Denkschrift letztlich der Erfolg versagt, die ohnehin den Karlsruher Hof nicht erreichte.

Von 32 im Organisationsedikt für die gesamte Universität ausgewiesenen Lehrstühlen waren im Sommersemester 1804 noch zehn unbesetzt. Und die Zeit drängte, wollte man dem Ostern 1804 eingerichteten Universitätsbann gerecht werden, der ein Studium an der Hohen Schule zu Heidelberg für alle badischen Landeskinder bindend vorschrieb, die späterhin eine Anstellung im Staats- oder Kirchendienst der Markgrafschaft anstrebten.

Auch die Karlsruher Beamten waren sich dieser Zwangslage wohl bewusst; unversäumt hatte man bereits Mitte 1803 an den bedeutenden Göttinger Juristen Gustav Hugo (1764-1844) einen Ruf gerichtet, dem er sich jedoch – obwohl gebürtiger Badener – mit der Begründung versagte, er sei "zu teuer" für Heidelberg: "Ohne sich zu verbessern, zieht doch kein Mensch vom Orte, den er kennt, an einen unbekannten, von einer blühenden auf eine verfallene Universität."

Erstaunlich mutet die Naivität an, mit der man Koryphäen ihres Faches für Heidelberg zu gewinnen suchte. Gleichzeitig bestand über die finanzielle Tragweite der Berufungen völlige Unklarheit. Verwundert wurde registriert, dass Hugo mindestens 4000 Gulden Gehalt und eine ausreichende Witwenpension forderte, ein Betrag, der für Baden in der damaligen Zeit illusorisch war.

Neben Hugo dachte man auch daran, den berühmten Helmstedter Staatsrechtslehrer Carl Friedrich Haeberlin (1756-1808) für Heidelberg begeistern zu können; er war der Verfasser einer 32-bändigen Reichsgeschichte und Herausgeber der hoch angesehenen Zeitschrift "Deutsches Staatsarchiv". Mit der gleichen Begründung wie Hugo lehnte er den Ruf jedoch ab. Als sich ebenso die Verhandlungen mit dem Göttinger Reichspublizisten J. Ch. Leist zerschlagen hatten, bot man dem Kieler Ordinarius Karl Wilhelm Pätz den Lehrstuhl für Staats- und Lehensrecht sowie Reichsgeschichte an. Nach schwierigen Verhandlungen, die vorwiegend besseren Bedingungen galten, sagte Pätz schließlich zu. Es war aber nur ein kurzes Gastspiel, das er im Sommersemester in Heidelberg gab, denn schon im Herbst 1805 verließ er die Stadt wieder, um nach Göttingen überzusiedeln. Hier starb er bereits im Jahr 1807.

Juristisches Triumvirat

Dauerhafter war die Berufung Georg Arnold Heises (1778-1851), den Savigny für Römisches Recht empfohlen hatte. Er notierte, dass Heises Kolleg von nahezu 90 Studenten in Göttingen besucht werde und dieser "außer vorzüglichen Talenten und ausgezeichneten Kenntnissen einen Eifer und eine Regsamkeit habe, die dem Dozenten unentbehrlicher als alles Übrige sind". Da man aber in Karlsruhe immer noch hoffte, Savigny zu gewinnen, sollte Heise zunächst nur den Lehrstuhl für protestantisches Kirchenrecht übertragen erhalten. Erst nachdem Savigny Ende April 1804 mitgeteilt hatte, "bey einer so vielversprechenden Anstalt wie die neu gegründete Heidelberger Universität eine darauf berechnete provisorische Einrichtung zu veranlassen", berief man Heise – zunächst vorläufig, dann aber endgültig – auf den Lehrstuhl für römisches und deutsches Recht sowie Privatrecht; nicht unbedeutend war sein Salär in Höhe von 1300 Gulden nebst den üblichen Naturalien.

Für die Heidelberger Universität war es ein ausgesprochener Glücksfall, dass Heise gewonnen werden konnte und nicht an die Konkurrenz verloren ging. Denn damit war ein erster, wichtiger Schritt auf dem Weg zur Modernisierung der in der deutschen Gelehrtenwelt noch mit Misstrauen betrachteten Hohen Schule Heidelbergs erfolgt. In leuchtenden Farben schilderte ihm sein Freund Pätz aus Göttinger Tagen die neue Wirkungsstätte:

"Dieses Heidelberg! – Sie haben es nicht gesehen; nein, Sie können nicht glauben, wie herrlich es dort ist: Herr Kotzebue schickt in seinen Erinnerungen die Traurigen dorthin, um glücklich, die Glücklichen, um selig zu werden; und fürwahr, diesmal haben der Herr Collegienrath völlig Recht. Hätte ich nicht eben durch die Beschäftigung mit einigen Reichstags-Protocollen für wenigstens drei Tage meinen Styl verregensburgert, ich wollte Ihnen wahrhaftig ein Bild von diesem Paradiese hinmalen, bei dem Sie aufspringen, und gleich für sich und Ihre Braut Extrapost bestellen sollten. Doch, prosaisch und ernsthaft zu reden, phantasiren Sie sich ja die Localität von H. recht schön und romantisch, um sich ein wenig verführen zu lassen. Die Stadt selbst ist niedlich; wie einladend die Nähe von Schwetzingen, Mannheim, die Bergstraße u.s.w. ist, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Ich sehe uns schon ordentlich in dem Weinberge, den wir uns kaufen müssen, sobald wir beweibt sind."

Zum Wintersemester 1804 siedelte Heise in die Neckarstadt über, wobei er als Vertreter des protestantischen Kirchenrechts der Theologischen und als Lehrer der Institutionen und Pandekten zugleich der Juristischen Fakultät angehörte. Rasch gewann der junge Gelehrte durch seine uneigennützige und sachliche Art erheblichen Einfluss auf den weiteren Ausbau der Juristischen Fakultät.

"Fünfzehn Malter Spetz oder Dinkel"

Heise ist ebenso die Berufung Anton Friedrich Justus Thibauts zu verdanken. Im Auftrag Reitzensteins übermittelte er Mitte Februar 1805 die Anfrage wegen der Übernahme des zweiten Lehrstuhls für römisches Recht an Thibaut in Jena. Gescheitert waren die zuvor unternommenen Versuche, Feuerbach in Landshut zu gewinnen. In Karlsruhe gab man sich keinen großen Hoffnungen hin, den in Juristenkreisen bereits hoch angesehenen Thibaut in die kleine Stadt am Neckar "locken" zu können. Zur Überraschung aller nahm aber Thibaut den ihm am 23. April 1805 zugegangenen offiziellen Ruf als ordentlicher Professor des römischen und peinlichen Rechts zum 29. September 1805 an. Vergebens hatten sich zuvor die Universitäten Halle und Greifswald um ihn bemüht. Angesichts des raschen Verfalls der Jenaer Salana sah er an der wieder begründeten Heidelberger Hohen Schule eine zukunftsträchtige Wirkungsstätte.

Thibaut sollte sich nicht täuschen: Die Heidelberger Jahre führten ihn zum Höhepunkt seines Erfolgs. Das vereinbarte Salär bestand in "Fünfzehn Malter Spetz oder Dinkel, zehn Malter Korn, an Geld Achtzehnhundert Gulden Rheinisch, worunter Zweyhundert Gulden Quartier Geld begriffen sind, endlich Ein Tausend Gulden als jährliche leblängliche Zulage für die Person". Hinzu kamen noch die beträchtlichen Einnahmen aus den Hörergeldern und aus seiner bis 1831 reichenden Tätigkeit im Spruchkollegium der Juristischen Fakultät. Das Jahreseinkommen belief sich durchschnittlich auf 6000 Gulden, ein außergewöhnlicher Betrag, den sein altphilologischer Kollege Friedrich Creuzer neidvoll kommentierte: "Die ganze theologische Fakultät nebst extraordd. hat nicht so viel als Thibaut allein."

Gleich Thibaut kamen viele weitere Persönlichkeiten aus Jena; er selbst setzte sich tatkräftig für die Berufung von Johann Joseph Görres als Privatdozenten der Philosophie, der Ästhetik und der altdeutschen Literatur ein. Nicht ohne Wehmut notierte Sophie Mereau, dass die "Jenaer Academie" im Begriff sei, ins "südliche Athen" überzusiedeln. Neben Göttingen war die Jenaer Salana die wichtigste Rekrutierungsstätte für die Heidelberger Universität. Nachdem Thibaut den Ruf in die Neckarstadt angenommen hatte, urteilte Brentano: "So ist Jena plötzlich tot."

In der bescheidenen Saalestadt aber hatte Thibaut in dem von Schiller erworbenen Gartenhaus sein zweibändiges "System des Pandektenrechts" verfasst. Gleichzeitig begründete er mit diesem Buch im Bereich der Rechtswissenschaften eine für das 19. Jahrhundert typische Literaturgattung. Die zahlreichen Neuauflagen erfreuten das Herz des Verlegers und des Autors. Als er dem Ruf nach Heidelberg folgte, zählte er bereits zu den führenden deutschen Zivilrechtlern seiner Zeit.

Neben Thibaut und Heise gelang es Reitzenstein gleichfalls, den bedeutenden Göttinger Prozessualisten Christoph Martin für die Heidelberger Universität zu interessieren. Mit unverhohlener Freude begrüßte Thibaut seine Berufung. Am 15. Juli 1805 schreibt er an Heise: "Eben erhalte ich Ihren mich über alles erfreuenden Brief, und dabey zugleich von Martin selbst einige Zeilen mit der Bestätigung alles dessen, was Sie mir über ihn schreiben. Ich weiß keine Worte, um es Ihnen zu sagen, wie Ihre Nachricht mich beglückt. Ich ehre und liebe Martin in allen Rücksichten von gantzem Herzen, und halte ihn nach allen Umständen für die wichtigste Acquisition, welche Heidelberg machen konnte."

Zu Beginn des Wintersemesters 1805/06 nahm Martin die Lehrtätigkeit auf. Ausschlaggebend für seine Entscheidung, nach Heidelberg zu kommen, war neben der engen Verbundenheit mit Heise sicherlich auch, dass er sich in Göttingen neben den berühmten Fakultätsgrößen wie Pütter, Böhmer und Runde als doch verhältnismäßig junger Mann eingeengt fühlte.

Auch für Martin wurde die Heidelberger Epoche zu einer Zeit des beruflichen Erfolges. Ebenso wie Thibaut und Heise zog er eine beträchtliche Anzahl von Studierenden nach Heidelberg. Seine Vorlesungen waren hervorragend besucht; auch in der Heidelberger Bürgerschaft gewann er großes Ansehen. In der Nachfolge Thibauts wurde Martin für ein Jahr zum Prorektor der Universität am 31. März 1807 ernannt. Zu Jena setzte Martin seine Karriere fort; von 1846 bis 1848 amtete er noch als Mitglied des sächsischen Staatsgerichtshofs. Hochgeachtet verstarb er im Alter von 86 Jahren am 13. August 1857 zu Gotha.

Eine "geistreiche Sphinx"

Für erhebliches Aufsehen in der deutschen Gelehrtenwelt sorgte Anfang 1807 die Nachricht, dass Karl Salomo Zachariae aus Wittenberg nach Heidelberg kommen werde. Thibaut hatte Reitzenstein auf Zachariae hingewiesen, der diese Anregung sofort aufgriff und den Plan, entweder Cramer aus Kiel oder den Helmstädter Süptitz auf den staatsrechtlichen Lehrstuhl zu berufen, unverzüglich aufgab. Von Ostern 1807 bis wenige Tage vor seinem Tode am 27. März 1843, also über drei Dezennien hinweg, sollte Zachariae der Heidelberger Hohen Schule angehören.

Wohlbedacht hatte sich Zachariae für Heidelberg entschieden, dessen neu organisierte Universität immer mehr an Ausstrahlung gewann; nunmehr bedauerte es auch Carl Friedrich Haeberlin, die früheren Angebote nicht sorgfältig genug geprüft zu haben. Mit Zachariae erlangte die Heidelberger juristische Fakultät nicht nur eine "geistreiche Sphinx" (Fischer), sondern gleichzeitig eines "der eigentümlichsten Professorenoriginale seiner Zeit" (Jellinek). Schäbig gekleidet, von äußerster Knauserigkeit im Umgang mit Geld, zählte er doch bei den Studenten zu den beliebtesten Dozenten. Durchschnittlich kündigte er zwei bis drei Vorlesungen pro Semester an. Wie eng sich Zachariae seinen Hörern verbunden wusste, beweist die von ihm überlieferte Sentenz: "Doch alternd wurde ich nicht alt. Ein akademischer Lehrer hat das beneidenswerte Vorrecht, nie alt zu werden, weil er ewig mit und in der Jugendwelt lebt."

Studienort für Rechtsbeflissene

Der äußere Erfolg der Reorganisation der Universität fand seinen unmittelbaren Niederschlag in der rasch wachsenden Anzahl von Studierenden, die sich in die Heidelberger Matrikel einschrieben. Nach dem tiefen Einbruch während der letzten Jahre der kurpfälzischen Ägide – 1802 machten sich nur noch 48 Studenten auf den Weg nach Heidelberg – stieg die Zahl der Immatrikulationen bereits 1803 wieder auf 90, im Jahr 1805 überflügelte Heidelberg gar Jena und stieg 1809/1810 kurzfristig zu der meistbesuchten deutschen Universität auf. Angesichts der politisch-kriegerischen Ereignisse sank in den nachfolgenden Jahren die Frequenz auf knapp 200, um dann wieder im Wintersemester 1814/1815 die Zahl von 328 Studierenden zu erreichen. Hinter den Universitätsstädten Göttingen und Leipzig nahm Heidelberg nunmehr den dritten Rang ein. Durchschnittlich studierten in der Neckarstadt während der ersten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts jeweils etwa 300 bis 400 Studenten pro Semester; erstmals 1819/20 stieg die Frequenz auf 600 an, 1830 dann auf über 800. Heidelberg zählte damit zu den Universitäten mittlerer Größe im deutschsprachigen Raum; übertroffen wurde es von Berlin, München, Leipzig, Breslau, Halle und Göttingen.

Bemerkenswert ist die Verteilung der Studierenden auf die jeweiligen Fakultäten: Hatten sich noch in der ausklingenden kurpfälzischen Epoche 56 Prozent in der Philosophischen Fakultät, 25 Prozent in der Juristischen, 13 Prozent in der Theologischen und sechs Prozent in der Medizinischen Fakultät eingeschrieben, so sahen die Matrikel bereits unmittelbar nach der Reorganisation der Universität gänzlich anders aus: 57 Prozent aller Studierenden belegten die Kollegs der Heidelberger Rechtsprofessoren. Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts behauptete die Juristenfakultät ihre dominierende Stellung im Reigen der Fächer. Über die Grenzen der Stadt hinaus hatte sich das große "Juristische Triumvirat" – Heise, Martin, Thibaut – einen solch glänzenden Namen erworben, dass es wesentlich zur Attraktivität Heidelbergs als Studienort für Rechtsbeflissene beitrug: "Heidelberg beginnt die Aufmerksamkeit des gebildeten Teiles der Bewohner Europas auf sich zu ziehen. Ein weiser Regent hat diesen Musensitz, einen der ältesten Deutschlands, aus seiner Verfallenheit in ein neues kräftiges Leben zurückgerufen. Hochherzige und patriotisch gesinnte Staatsdiener, von dem Geiste des Landesvaters beseelt, unterstützen mit redlichem Eifer die Absichten ihres Fürsten." Treffend charakterisiert Robert von Mohl in seinen "Lebens-Erinnerungen" die Hohe Schule Heidelbergs als eine "Universität hauptsächlich für Juristen und von Juristen". Und fährt fort: "Diese überwogen der Zahl und der Bedeutung nach so sehr, daß die Zuhörer der andern Fakultäten fast nur als wenig beachtenswerte Anhängsel erschienen, und im Munde des gemeinen Mannes in Stadt und Umgegend Jurist und Student gleichbedeutende Namen waren."

Rationalisten und Romantiker

Nahezu unberührt blieb die Juristische Fakultät von der Geisteswelt der "Heidelberger Romantik". Nach dem Verfall Jenas und der Reorganisation der Heidelberger Universität fand sich in der Neckarstadt für eine kurze Zeitspanne ein kleiner Kreis der tonangebenden Schriftsteller Deutschlands ein: die Brüder Schlegel und Tieck, Arnim, Brentano, Görres und Creuzer; auch Jean Paul machten in dem "Poetennest" (Strack) vorübergehend Station. Nicht zu übersehen ist, dass die deutsche Romantik zunächst Sache eines bescheidenen Zirkels von Dichtern, Schriftstellern und weiteren Angehörigen der kulturellen Elite war. Das universitäre Terrain bot ihnen den Entfaltungsraum für ihre – zumeist – unkonventionellen Ideen; hinzu kommt die Wirkung Heidelbergs als Landschaft.

Die historische Rechtsschule, die in der Geschichtlichkeit des Rechts die Geschichtlichkeit des eigenen Volkes entdeckte, ist ohne die Kultur der Romantik nicht zu verstehen. Es waren die Intellektuellen der Frühromantik – Schlegel, Möller, Novalis –, die zur Wiederentdeckung nicht allein der Antike, sondern besonders auch der deutschen Geschichte beitrugen. Keineswegs verwunderlich ist es, dass Savigny und seine Lehre vom Volksgeist der Romantik zugeordnet werden. Denn nach Savignys Überlegungen ist das Volk das Subjekt, für welches und in welchem das Recht existiert. Gleichzeitig wird die alte Volkspoesie in jenen Jahren durch Arnims und Brentanos "Des Knaben Wunderhorn" (drei Bände 1806-1807), der "Tröst Einsamkeit" und der "Teutschen Volksbücher" wieder erweckt.

Gespalten war aber die Professorenschaft bei der Auseinandersetzung zwischen den Rationalisten und Romantikern. Wohlbewusst griffen die Juristen in diese bitterböse Fehde zwischen Voß und seinen Anhängern einerseits und den Romantikern andererseits nicht ein. Keine einzige Unterschrift eines Rechtsprofessors findet sich in der berühmten "Achtzehnererklärung" vom 13. Dezember 1807 aus der Feder von Görres. Innerhalb der oft beschworenen "universitas litteratum" achteten im Besonderen die Juristen auf Abstand und legten keinen sonderlichen Wert auf Begegnungen über die Fakultätsgrenzen hinweg. Einzig Thibaut suchte das Gespräch und gründete 1805/06 zusammen mit Martin und Heise einen "Club". Misstrauisch, ja feindschaftlich beargwöhnte Creuzer deren Zusammenkünfte: "Der Mittelpunkt ist Gespräch, Spiel und Essen, aber wie Sie denken können in einem Getöse wie das im Goldnen Roß in Frankfurt. Ich für meine Person kann in dieser Gesellschaft das von Ihnen gefühlte Bedürfnis nicht erreicht sehen, worin Thibaut und andere einen ganzen Abend Karten spielen (...) Indessen bin ich, um meine Geneigtheit zur Geselligkeit zu beweisen, zweimal dagewesen. Heise mißbraucht dann nebenbei diese Gelegenheit wieder, um sich bei den Studenten eine Popularität zu verschaffen. Auch bildet diese Gesellschaft gar keinen Mittelpunkt, wo sich die Lehrer einander nähern könnten."

Heftig kritisiert wurde ebenso der übermächtige Einfluss des "Juristischen Triumvirates" auf die universitären Verwaltungsangelegenheiten, denen die übrigen Professoren anscheinend hilflos gegenüberstanden: "(...) jede Besetzung, jede Zulage und Beförderung (geht) durch ihre Hände". Die gleiche, bittere Erfahrung blieb auch dem Rheinländer Görres mit den juristischen Fachvertretern nicht erspart: "Die dicken Herren mit den breiten Schultern und den Brotkörben drüber lassen sich gemächlich auf ihren Polstern nieder und belegen den ganzen Tag mit ihren Kollegien. Die anderen, Philosophen, Philologen und dergleichen müssen sich dann an den Rändern andrücken."

Bereits wenige Tage nach seiner Ankunft am 17. Mai 1807 war Eichendorff im Haus von Hofrat Thibaut eingeführt worden. Eine "lange Canapé Unterhaltung" mit ihm verzeichnet das Tagebuch unter dem 21. Mai. Wie auch Eichendorff, der dem schlesischen Uradel entstammte, studierten in Heidelberg traditionell viele blaublütige Studenten. Bei einer Gesamtzahl von ungefähr 350 Studierenden hatten sich im Sommersemester 1819 sieben Prinzen, 16 Grafen und 122 sonstige Adlige an der Universität immatrikuliert. Die Anziehungskraft Heidelbergs, das sich ohnehin nie als bloße Landesuniversität verstand, dokumentiert die Feststellung, dass die Zahl der Ausländer die der Inländer um ein Mehrfaches übertraf.

Wie auch in Göttingen mag das Übergewicht der Juristen die Ursache dafür gewesen sein, dass Heidelberg lange Zeit als Adelsuniversität galt. Natürlich waren die finanzkräftigen Prinzen und Grafen in der Stadt gerne gesehen, zumal sie meist von Hofmeistern und Dienern begleitet waren. Im Gegensatz zu den Söhnen aus bürgerlichen, zumeist akademischen Familien, erstrebten die jungen adligen Studenten durch das Studium nicht die Vorbereitung auf ihren künftigen Beruf. Vielmehr sollte die Beschäftigung mit der Jurisprudenz einer weiteren Vervollständigung der allgemeinen Bildung dienen.

Weder Frühstück noch Abendessen

Die Mehrzahl der Studenten jedoch lebte in äußerst bescheidenen Verhältnissen, denn die Kosten für das Studium waren hoch und der Wechsel meist gering. Die gesamten Studien- und sonstigen Ausgaben für den Unterhalt eines Scholars wurden um 1808 auf etwa 500 Gulden veranschlagt. Die Semestermiete für ein Zimmer betrug – je nachdem ob mit Tapete oder ohne und auch abhängig von der Größe des Wohnraumes – zwischen 25 und 120 Gulden. Insbesondere nach 1806 war die Teuerung in raschem Fortschritt begriffen. So beklagte sich bereits Prorektor Anton Winter darüber, dass in Heidelberg "alles in einem höheren Werte sein, als in meinem früheren Wohnort (Ettlingen), indem hier die Mittagskost, welche ganz einfach ist, mich jährlich schon 100 fl. kostet", und er sich weder Frühstück noch Abendessen leisten könne.

Ohnehin lagen die Preise der Grundnahrungsmittel in den Städten Nordbadens wesentlich höher als in den übrigen Regionen des Kurstaates. So kostete ein Vierpfundbrot in Bruchsal zehn, in Heidelberg aber 13 Kronen. Von 120 fl. im Jahr musste ein Taglöhner sein Auskommen bestreiten. Manche der Professoren besserten ihr Salär dadurch auf, dass sie Studierende in ihren Privatquartieren zur Miete aufnahmen. Mit der steigenden studentischen Frequenz nach 1804 erhöhten sich die Mietpreise noch schneller als der Wert der Häuser.

Erhebliche Beunruhigung innerhalb der Professorenschaft und der Stadtbürger lösten die immer wieder auftauchenden Gerüchte um eine Verlegung der Universität nach Mannheim, Karlsruhe oder Freiburg aus. 1812 erwog man aus finanziellen Gründen, die medizinische Fakultät nach Freiburg und die dortige juristische nach Heidelberg zu transferieren. Thibaut wurde dadurch so verunsichert, dass er sich den Wert seines Hauses für den Fall, dass die Universität verlegt werde, durch die Regierung garantieren ließ.

Heidelbergs "einzige Ressource": die Universität

In dem noch ländlich geprägten Heidelberg lebte ein Großteil der etwa 10 000 Einwohner als Zimmermeister, Gastwirte und Handwerker ganz oder teilweise von der Universität und ihren Studenten. Bereits damals stellte die Hohe Schule einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar, zumal größere Werkstätten und Manufakturen – im Gegensatz zu dem benachbarten Mannheim – nicht vorhanden waren. Eine Verlegung der Universität hätte in der Tat den Bankrott der Stadt bedeutet; sie galt als die "einzige Ressource" Heidelbergs.

Unmittelbar betroffen war daher die Stadt von Boykotten und Frequenzschwankungen, zumal der durchschnittliche Aufenthalt der Studenten gegenüber 1,7 Jahren im gesamtdeutschen Durchschnitt lediglich ein Jahr betrug. In keiner anderen Fakultät war das "Wandern" so ausgeprägt wie an der juristischen. Der oft beschworene romantische Zauber Heidelbergs und seiner Landschaft bildete nur ein – oft überschätztes – Moment bei der peregrinatio academica. Vielmehr trug zur Attraktion der Neckarstadt insbesondere die Besetzung des Lehrkörpers bei. Dies bestätigt eine zeitgenössische Notiz: "Am lebendigsten und vollständigsten kommt gegenwärtig der Charakter der Heidelberger Universität in ihrer juristischen Fakultät zum Ausdruck, die sogar mit der juristischen Fakultät in Berlin in Wettstreit treten kann. Die Heidelberger juristische Fakultät hatte bis vor kurzem und hat teilweise noch heute Lehrer, von denen jeder der Hauptvertreter einer eigenen Richtung und Partei in der gelehrten Welt ist."

Freilich soll der besondere Reiz der Heidelberger Atmosphäre nicht unterschlagen werden. Heinrich Hoffmann, späterhin weltberühmt durch den "Struwwelpeter", plädierte aus seinem Quartier in der Lauergasse heraus für den akademischen Müßiggang: "Wenn ein Student in Heidelberg eben nicht viel arbeitet, soll man nicht ein strenges Urteil über ihn fällen. Es ist die wunderbar herrliche Gegend, die milde Luft, die Wälder, die Täler, der Fluss, die alle rufen: Komm heraus, komme zu uns und wirf die Bücher in die Ecke!".

Autor:
Prof. Dr. Klaus-Peter Schroeder
Juristische Fakultät (Deutsche Rechtsgeschichte)
Wilhelm-Blum-Straße 7, 69120 Heidelberg
Telefon (0 69) 75 60 91 22, E-Mail: schroeder.klaus-peter@beck-frankfurt.de

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