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Subtile Zeichen – das Hirn vor dem Infarkt

Wer eine schwere Hirnschädigung infolge eines Unfalls, einer Blutung oder eines Schlaganfalls überlebt, ist trotz aller ärztlichen Kunst weiterhin gefährdet. Häufig kommt es zu verzögert auftretenden Hirnschäden, die den zunächst erzielten Behandlungserfolg wieder zunichte machen. Zu ihnen zählt der "Vasospasmus", ein Gefäßkrampf, der typischerweise eine Woche nach dem akuten Ereignis aufritt und für Patienten tödlich enden kann. Oliver Sakowitz, Daniel Haux und Andreas Unterberg von der Neurochirurgischen Universitätsklinik Heidelberg erforschen frühe Veränderungen, welche die drohende Gefahr rechtzeitig anzeigen. Das Ziel der Wissenschaftler ist, neue Therapieansätze zu entwickeln, mit denen die gefährliche Gefäßveränderung ursächlich behandelt werden kann.

Freitag, 24. Februar 2006, 21.30 Uhr, Kopfklinik der Universität Heidelberg: Der Notarzt bringt eine 46-jährige Patientin. Sie hat zu Hause über schwerste, plötzlich einsetzende Kopfschmerzen geklagt, sich mehrfach erbrochen und ist dann ins Koma gefallen. Eine Computer-Tomographie des Kopfes zeigt eine ausgedehnte Blutung. Sie befindet sich nicht im Hirngewebe selbst, sondern unterhalb der Spinnengewebshaut oder "Arachnoidea", der letzten das Hirn umgebenden Hülle. Ursache solcher spontan auftretenden "Subarachnoidalblutungen", kurz SAB, sind meist angeborene Aussackungen der Hirngefäße, so genannte Aneurysmen. Diese Veränderungen können durch Gefäßdarstellungen mithilfe von Röntgenkontrastmitteln (Angiographie) nachgewiesen werden und sind für ungefähr ein Viertel aller Hirnkreislauf-Todesfälle verantwortlich.

Man schätzt, dass jeder Hundertste Bundesbürger mit einem solchen Hirnarterienaneurysma lebt, davon jedoch zunächst nichts bemerkt. Das Risiko der eigentlichen Blutung aus dem Aneurysma liegt statistisch kumulativ bei zehn Prozent über ein Lebensjahrzehnt. Trotz intensiver Bemühungen ist die Todesrate nach dem Auftreten einer SAB mit 25 bis 50 Prozent noch immer erschreckend hoch. Oft kommt es innerhalb weniger Tage nach dem akuten Ereignis zu einer verheerenden Nachblutung. Solche Blutungen können verhindert werden, indem man das Aneurysma frühzeitig mit einer operativ von außen gesetzten kleinen Metallklammer (mikrochirurgisches Verfahren) ausschaltet oder über einen arteriellen Katheter von innen her (endovaskuläres Verfahren) mit feinen Metallspiralen ausstopft.

Doch selbst Patienten, die von einer Nachblutung verschont bleiben, sind weiterhin gefährdet. In der Zeit nach dem chirurgischen Aneurysmaverschluss ist hierfür in erster Linie eine verzögert einsetzende Gefäßverengung verantwortlich. Dieser "Vasospasmus" (VSP; Gefäßkrampf) tritt typischerweise erst eine Woche nach der Blutung auf und lässt während der zweiten und dritten Woche wieder nach. Meist findet sich der Vasospasmus, dessen Ursachen immer noch im Dunkeln liegen, in der Umgebung des Aneurysmas. Vermutlich wird er durch Substanzen in Gang gesetzt, die während des Abbaus des geronnenen subarachnoidalen Blutes entstehen. Evolutionsbiologisch betrachtet, könnte die vorübergehende Verengung des Gefäßes einst als Schutz vor einer erneuten Blutung gedient haben. Leider kann ein Vasospasmus die Hirndurchblutung soweit reduzieren, dass die Symptome eines Schlaganfalls auftreten und die Patienten im schlimmsten Fall daran versterben.

Die Therapie solcher Durchblutungsstörungen besteht unter anderem in einer Blutdruckerhöhung, die allerdings nicht risikolos ist. Da nicht alle SAB-Patienten gleichermaßen von einem Vasospasmus betroffen sind, sollte diese Therapie nicht prophylaktisch erfolgen. Es gilt also, nach Vorboten des Vasospasmus zu suchen. Eine mehrfach wiederholte Darstellung der Blutgefäße, um Gefäßengstellungen, beispielsweise mittels Angiographie, zu erkennen, ist nicht praktikabel und sagt außerdem nichts darüber aus, ob tatsächlich eine Mangeldurchblutung vorliegt. Die Messung der Strömungsgeschwindigkeit in den basalen Hirnarterien mithilfe von Ultraschall korreliert zwar gut mit dem Ergebnis der Gefäßdarstellung (Angiographie), erlaubt aber keine genauen Angaben darüber, ob die Hindurchblutung ausreicht, um das Hirngewebe optimal zu versorgen.

Sinkt die Hirndurchblutung unter eine kritische Schwelle, kommt es zunächst zu vorübergehenden Funktionsausfällen, die durch eine klinisch-neurologische Untersuchung erkannt werden können. Das Auftreten dieser Funktionsausfälle wird von den meisten Neurochirurgen als das ultimative Argument gesehen, nun zügig mit einer Therapie zu beginnen. Dies setzt allerdings voraus, dass sich die Patienten gut untersuchen lassen. Patienten, die sich wie im eingangs geschilderten Fall bereits im Koma befinden, können so nur unzureichend überwacht werden.

Wenn die Hirnchemie nicht mehr stimmt

Seit Mitte der 90er Jahre lassen sich mit Mikrokathetern Stoffwechselgrößen messen, die für die Durchblutung bedeutend sind. Es können beispielsweise die lokale Hirndurchblutung und -sauerstoffversorgung, die hirnelektrische Funktion und die biochemischen Stoffwechselprozesse überwacht werden. Die "Hirnchemie" wird dabei durch Polymermembranen im Submillimeterbereich (Mikrodialyse), die im gefährdeten Hirnareal platziert werden, einer Messung zugänglich. Ein kontinuierlicher Flüssigkeitsstrom entlang dieser semipermeablen Membranen sammelt Ionen und Substrate, die dem Konzentrationsgefälle folgend aus den Räumen, welche die Nervenzellen umgeben, über die Membran in den Katheter diffundieren. Am Ende des Flüssigkeitsstroms wird eine Lösung gesammelt, die in ihrer biochemischen Zusammensetzung weitgehend dem äußeren Milieu der Zellen entspricht.

In einem Analysegerät am Krankenbett können in diesen Mikrodialysaten dann ein- bis mehrmals pro Stunde Messungen des energieliefernden Fruchtzuckers Glukose sowie seiner Stoffwechselprodukte Laktat und Pyruvat vorgenommen werden. Laktat steigt im Gewebe bei Mangeldurchblutung und verminderter Sauerstoffspannung an, wenn der physiologische Weg des Glukosestoffwechsels über sauerstoffabhängige Zellorganellen versperrt ist.

Das Gleiche gilt für die Aminosäure Glutamat, die gesunden Nervenzellen als Botenstoff an den Zellkontakten dient und normalerweise durch energieabhängige Prozesse rasch wieder aus dem Zwischenzellraum entfernt wird. Dieses Recycling soll eine konzertierte Funktion der Nervenzellen untereinander erlauben und eine Übererregung vermeiden. Inwiefern die aus geschädigten Zellen frei werdenden hohen Glutamatkonzentrationen selbst die Umgebung beeinträchtigen, ist noch nicht vollständig geklärt.

In der Neurochirurgischen Klinik der Universität Heidelberg werden alle oben genannten Diagnoseverfahren eingesetzt, um einen Vasospasmus zu erkennen. Erste Untersuchungsergebnisse zur Wertigkeit des Mikrodialyseverfahrens in der Klinik zeigen, dass die diagnostische Sicherheit für einen klinisch-relevanten Vasospasmus hierdurch erhöht werden konnte. Vorsicht ist jedoch geboten, sich nicht ausschließlich auf eine Messung allein zu verlassen. Einerseits handelt es sich nur um regionale Messungen, andererseits treten bei manchen Patienten diese Stoffwechselveränderungen erst im späten Verlauf auf. Deshalb werden bei entsprechenden Risikopatienten mehrere Parameter (elektrische Hirnaktivität, absolute Hirndurchblutung, Hirnsauerstoffversorgung und Hirnstoffwechsel) parallel verfolgt.

Zerstörerische Erregungswellen

Eines der gegenwärtigen Studienprojekte der Neurochirurgischen Klinik wird von der "ZNS Hannelore-Kohl-Stiftung" (www.kuratorium-zns.de) unterstützt und widmet sich der hirnelektrischen Aktivität in der Umgebungszone von akuten Hirnverletzungen, etwa bei SAB-Patienten. In der Neurophysiologie sind Erregungswellen der Hirnmantelzone mit nachfolgender "Stille" (cortical spreading depression; CSD) seit langem bekannt. Kürzlich wurde eine CSD erstmals bei Patienten beobachtet. Beim Patienten werden Spannungspotenziale mit flachen Streifenelektroden direkt von der Hirnoberfläche abgeleitet. CSD finden sich im Zentralnervensystem von Säugetieren als Antwort auf pathologische Reize (chemisch, elektrisch, mechanisch). Sie pflanzt sich mit einer charakteristischen Geschwindigkeit von ein bis fünf Millimetern pro Minute über die Hirnrinde fort. Im Beginn der Wellenfront steht ein Anstieg der Aktivität auf 200 bis 300 Prozent des Ruhewertes. Danach erreicht die spontane elektrische Aktivität unter den jeweiligen Elektroden innerhalb 30 Sekunden ein Minimum, bei dem sie für zwei bis drei Minuten verweilt, um sich dann langsamer innerhalb von fünf bis zehn Minuten wieder völlig zu erholen.

In gesundem, normal durchbluteten Hirngewebe verursacht eine CSD weder einen anhaltenden metabolischen Stress noch zelluläre Schäden. Weniger harmlos stellt sich die Situation im verletzten Hirngewebe dar. Um das in der CSD zusammengebrochene Gleichgewicht wiederzuerlangen, müssen die Zellen eine hohe zusätzliche Energie aufwenden, die sich in erhöhtem Sauerstoff- und Glukoseverbrauch widerspiegelt. Ob es bei Minderdurchblutung zum irreversiblen Gewebeuntergang kommt, hängt davon ab, wie das Gehirn mit seinen eingeschränkten Ressourcen auf weitere energetische Belastungen reagieren kann. Wird hier nicht therapeutisch eingegriffen, kann es unter Umständen zur Einbeziehung bislang gesunden Hirngewebes in die betroffene Zone kommen. Im Rahmen einer internationalen Studiengruppe (www.cosbid.org) werden CSD nun erstmals klinisch untersucht und könnten zukünftig neue Ansatzpunkte in der pharmakologischen Therapie von Hirnverletzungen bieten.

Veränderte Eiweißmuster

Ob Veränderungen in der Proteinzusammensetzung, dem so genannten Proteom, des Hirngewebes möglicherweise den Vasospasmus einleiten und erlauben, Risikopatienten noch früher zu erkennen, prüfen wird derzeit gemeinsam mit Privatdozent Dr. Martin Maurer vom Institut für Physiologie und Pathophysiologie.

Über das Gesamtspektrum an Eiweißen und deren Funktion bei der SAB ist bislang nur wenig bekannt. Mit der Mikrodialyse ist es nun möglich, neben Stoffwechselprodukten auch Proteine, die durch die Poren der Katheter-Membran diffundieren, zu sammeln und zu analysieren. Trennt man die Proteine nach ihrer Ladung und Größe (zweidimensionale Gelektrophorese) und identifiziert sie anschließend mithilfe der Massenspektrometrie, findet man mehrere Eiweiße, die bei Patienten mit Vasospasmen im Vergleich zu Patienten ohne Vasospasmen in unterschiedlicher Menge synthetisiert werden. In Zukunft könnten so Patienten mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines Vasospasmus anhand veränderter Proteom-Muster erkannt und vorbeugend behandelt werden.

Die Rolle der entsprechenden Eiweiße in der Entstehung des Vasospasmus ist zurzeit noch unklar. Da die Analysen im Augenblick noch sehr zeitaufwändig sind, soll ein Schnelltestverfahren für die Proteom-Analyse entwickelt werden. Ziel ist es, über weiterführende Untersuchungen der entsprechenden Proteine neue Therapieansätze des Vasospasmus zu entwickeln. Anders als die bisherige symptomatische Therapie des Vasospasmus wird so hoffentlich bald eine kausale Behandlung möglich werden.

Autoren:
Dr. Oliver Sakowitz, Dr. Daniel Haux und Prof. Dr. Andreas Unterberg
Neurochirurgische Klinik des Universitätsklinikums Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg
Telefon (0 62 21) 5 63 61 72, E-Mail: oliver.sakowitz@med.uni-heidelberg.de

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