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Die Bremse des Immunsystems lösen

Der schwarze Hautkrebs zählt zu den bösartigsten Tumoren. Früh erkannt, kann er geheilt werden, in einem fortgeschrittenen Stadium ist die Prognose jedoch schlecht. Alexander Enk und Karsten Mahnke von der Universitäts-Hautklinik in Heidelberg stellen neue Strategien vor, mit denen die Wissenschaftler das Immunsystem zu einem starken Verbündeten machen wollen. Das Besondere ihrer Immuntherapie ist, dass dabei zelluläre Bremsen gelöst werden – damit die körpereigene Abwehr im Kampf gegen Krebs in Fahrt kommen kann.

Malignes Melanom  

Der "schwarze Hautkrebs", fachsprachlich malignes Melanom genannt, ist in den letzten Jahren immer häufiger geworden. Eine der Ursachen für seine bedenkliche Zunahme sind die veränderten Freizeitgewohnheiten der Bevölkerung, die mit einem immer stärkeren Bedürfnis nach "gesunder Bräune" und einem ausgeprägten Trend, in südliche Urlaubsländer zu reisen, einhergehen.

Das Melanom ist der bösartigste Tumor der Haut und einer der bösartigsten Tumoren des Menschen überhaupt. Seine Ursprungszellen sind die Melanozyten, melaninhaltige Pigmentzellen, die von ultravioletten Strahlen dazu angeregt werden, das schützende Pigment Melanin zu produzieren. Die ultravioletten Strahlen der Sonne regen die Zellen aber auch dazu an, sich zu teilen. Die Folge einer unkontrollierten und übermäßigen Teilung kann ein malignes Melanom sein. Früh erkannt, sind Melanome heilbar; haben sie aber erst Metastasen, Tochtergeschwülste, gebildet, ist die Prognose schlecht. Um auch diesen Patienten eine Erfolg versprechende Therapie anbieten zu können, sind neue Behandlungsstrategien erforderlich. Unser Ziel ist es, das Immunsystem in den Kampf gegen den Tumor einzubeziehen.

Das maligne Melanom ist ein Tumor, der im Unterschied zu vielen anderen Tumoren das Immunsystem natürlicherweise auf sich aufmerksam macht. Es liegt daher nahe zu überlegen, wie das Immunsystem einbezogen werden kann, um Melanome zu bekämpfen. Als viel versprechend haben sich in der Vergangenheit Impfbehandlungen herausgestellt, die eine spezifische und relativ nebenwirkungsarme Immunantwort gegen den Tumor bewirken. Erste Impfstudien dokumentierten, dass eine Impfbehandlung des malignen Melanoms prinzipiell wirksam ist. Darauf folgende Studien enttäuschten allerdings. Warum die Versuche fehlgeschlagen waren, zeigte eine sorgfältige Analyse. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sollen jetzt in neuen Studien zum Wohl der Patienten verwendet werden.

Spezialisten der körpereigenen Abwehr, etwa dendritische Zellen und T-Zellen, werden mithilfe speziell präparierter Antikörper dazu angeregt, Tumoren gezielt anzugreifen.

Spezialisten der körpereigenen Abwehr, etwa dendritische Zellen und T-Zellen, werden mithilfe speziell präparierter Antikörper dazu angeregt, Tumoren gezielt anzugreifen.


Das Immunsystem verfügt über zahlreiche Mechanismen, die es grundsätzlich in die Lage versetzen, gegen Tumoren vorzugehen. Grundlage jeder Reaktion des Immunsystems (Immunantwort) ist die "Antigenpräsentation". Nur dann können ausführende Zellen des Immunsystems, so genannte T-Zellen, Tumorzellen erkennen, angreifen und vernichten.

Die Antigenpräsentation übernehmen "antigenpräsentierende Zellen", kurz APCs. Sie zählen zur ersten Verteidigungslinie des Immunsystems und patrouillieren in der Peripherie des Körpers, um eingedrungene Krankheitserreger oder andere Fremdstoffe aufzuspüren. Sie sind auch in der Lage, Tumorzellen der Haut zu erkennen. Dazu binden die antigenpräsentierenden Zellen kleinste, von Tumorzellen stammende Eiweißbruchstücke – "Antigene" – an einen Molekülkomplex in ihrer Membran. Mitsamt ihrer Antigen-Fracht wandern sie nun zu einem Lymphknoten, wo sie ihr Antigen den stets in den Lymphknoten anwesenden T-Zellen präsentieren. Die antigenpräsentierenden Zellen zeigen den T-Zellen quasi einen Steckbrief mit dem Portrait des Übeltäters, den die T-Zellen bekämpfen sollen. Diejenigen T-Zellen, die den Übeltäter – die tumorzelltypische Eiweißstruktur, das "Tumorantigen" – erkannt haben, vermehren sich daraufhin und verlassen den Lymphknoten, um Tumorzellen, die mit genau diesem Antigen ausgestattet sind, im Körper aufzuspüren und zu vernichten.

In einer Studie, die derzeit in der Heidelberger Hautklinik erfolgt,wird Patienten ein spezieller Wirkstoff verabreicht, der regulatorische T-Zellen gezielt ausschaltet.
In einer Studie, die derzeit in der Heidelberger Hautklinik erfolgt,wird Patienten ein spezieller Wirkstoff verabreicht, der regulatorische T-Zellen gezielt ausschaltet. Die Hoffnung ist, dadurch die Abwehrkraft des Immunsystems zu konzentrieren und eine vollständige Rückbildung der Tumoren zu erreichen.

Dieses Szenario ist der Idealfall einer Immunantwort. Nicht immer funktionieren die natürlichen Abwehrmechanismen jedoch in dieser vollkommenen Weise. Deshalb versucht man, das Immunsystem mit medizinischen Maßnahmen so zu unterstützen, dass sich der Idealfall – die erfolgreiche Abwehr eines Tumors durch das Immunsystem – weitestgehend realisiert.

Für diese "biologische Tumorabwehr" nutzen wir spezielle Immunzellen, die "dendritischen Zellen". Dabei handelt es sich um eine Untergruppe der antigenpräsentierenden Zellen, die besonders gut Tumorantigene binden, den T-Zellen präsentieren und deren Vermehrung anregen. Seit kurzem ist es möglich, dendritische Zellen in vitro ("im Reagenzglas") aus Blut, das Patienten entnommen wurde, zu isolieren. Dies macht es möglich, dendritische Zellen im Reagenzglas gezielt mit Bruchstücken von Tumorzellen, die ebenfalls vom Patienten stammen, zu "füttern". Gibt man die dendritischen Zellen in den Körper des Patienten zurück – so die Hoffnung – veranlassen sie das Immunsystem, schlagkräftig gegen die Tumoren im Körper vorzugehen.

Das praktische Vorgehen sieht folgendermaßen aus: Zunächst werden den Patienten Krebsmetastasen chirurgisch entfernt. Aus dem Blut der Patienten gewinnt man unterdessen die dendritischen Zellen, überführt sie in Kulturschalen und gibt Gewebe hinzu, das von den Metastasen der Patienten stammt. Die dendritischen Zellen nehmen nun winzigste Bruchstücke des Tumorgewebes auf und "verdauen" sie. Nach einer solchen "Beladung" mit Tumorantigenen werden die dendritischen Zellen in den Körper des Patienten zurück injiziert. Die Vorstellung: Die mit Tumorantigenen beladenen dendritischen Zellen wandern zu den Lymphknoten und aktivieren dort gezielt T-Zellen, die Tumorzellen fortan zuverlässig erkennen und erfolgreich bekämpfen.

Dieser Ansatz wird derzeit in klinischen Studien erprobt – die Erfolge allerdings sind nur mäßig. Unbestritten ist, dass der Therapieansatz einzelne Melanompatienten bislang vor Rückfällen bewahren konnte. Noch viele Untersuchungen werden jedoch erforderlich sein, bis daran gedacht werden kann, eine derartige Therapie in der Klinik zu etablieren.

Ein Problem, das den Erfolg der Therapie verhindert, ist bereits erkannt: Die dendritischen Zellen wandern nicht in der erforderlichen Anzahl zu den Lymphknoten. Nur rund fünf Prozent der injizierten dendritischen Zellen finden tatsächlich zu ihrem Ziel – alle anderen gehen im Gewebe oder in der Milz verloren.

Ein neuer Ansatz besteht darin, sich den "Umweg" über das Reagenzglas zu sparen und die dendritischen Zellen direkt im Körper mit Tumorantigenen zu beladen. Das "Zielsteuerungsproblem" bleibt dennoch bestehen: Auch wenn man Tumorantigene direkt in den Körper injiziert, findet nur ein Bruchteil zu den dendritischen Zellen – wenn die dendritischen Zellen aber kein Tumorantigen präsentieren können, kann auch das Immunsystem nicht aktiv werden.

Wir glauben dieses Problem mit einem Verfahren lösen zu können, das es möglich macht, dendritische Zellen im Körper gezielt mit Antigenen zu beladen. Dazu nutzen wir Antikörper, die "Spürhunde" des Immunsystems. Mit ihrer Hilfe wollen wir Tumorantigene präzise zu dendritischen Zellen dirigieren. Wir sprechen vom "Antikörper-Targeting" der dendritischen Zellen.

Antikörper sind Eiweißmoleküle, die im Körper von bestimmten Immunzellen, den B-Zellen, produziert werden. Die ypsilonförmigen Moleküle haben die Eigenschaft, hochspezifisch an Oberflächenmoleküle von Zellen zu binden. Solche Antikörper können inzwischen auch im Labor "maßgeschneidert" werden. Antikörper binden nach dem "Schlüssel-Schloss-Prinzip": Sie docken einzig und allein an jenes Oberflächenmolekül der Zelle an, das zu ihnen wie ein Schloss zum Schlüssel passt. Die Herausforderung besteht nun darin, ein solch einzigartiges "Schloss" – ein Molekül auf der Oberfläche von dendritischen Zellen – zu finden. Hat man ein solches Molekül entdeckt, bedeutet das: Im Labor kann ein Antikörper hergestellt werden, der speziell dendritische Zellen erkennt.

Ein Oberflächenmolekül, das nahezu ausschließlich auf dendritischen Zellen vorkommt, gibt es tatsächlich: den Rezeptor "DEC-205". Man weiß, dass DEC-205 ständig Antigene bindet und wie ein Fahrstuhl ins Zellinnere bringt, wo sie so aufbereitet werden, dass T-Zellen sie wahrnehmen können. Nach seinem "Ausflug" ins Zellinnere kehrt der Rezeptor wieder zur Zelloberfläche zurück und ist für weitere Transportrunden verfügbar.

Genau gegen diesen Rezeptor richtet sich ein eigens hergestellter Antikörper. Bindet man an diesen Antikörper Tumorantigene, verspricht er, sie gezielt zu den dendritischen Zellen zu bringen und dem DEC-205-Rezeptor zu übergeben. Der Rezeptor nimmt das Antigen daraufhin "huckepack" mit in das Innere der Zelle. Der erhoffte Effekt: Das Tumorantigen wird von den dendritischen Zellen aufbereitet, sodass es T-Zellen unmissverständlich präsentiert werden kann. Theoretisch sollte ein solches Verfahren in der Lage sein, eine spezifische Immunantwort gegen den Tumor auszulösen.

Bei Versuchen mit Tieren konnten wir mit dieser Vorgehensweise bereits Erfolge erzielen. Wir konnten beispielsweise zeigen, dass Antikörper, die sich gegen DEC-205 richten, im Körper der Mäuse tatsächlich zu den dendritischen Zellen wandern und von ihnen aufgenommen werden. An die derart zielsicher operierenden Antikörper haben wir ein Tumorantigen gebunden, das von Melanomzellen stammt. Der DEC-205-Rezeptor schleust diesen Antigen-Antikörper-Komplex in die dendritischen Zellen ein, anschließend wird das Tumorantigen T-Zellen präsentiert. Die Präsentation bewirkt, dass sich die T-Zellen vermehren und als Armada ausschwärmen, um im Körper Tumorzellen zu zerstören, die das entsprechende Tumorantigen tragen.

Prinzip der klassischen Impfung.
Bei der klassischen Impfung werden Bestandteile des Tumors (Tumorantigene) in die Haut gespritzt (1). So genannte Antigenpräsentierende Zellen (APC) nehmen die Tumorfragmente auf und transportieren sie zu den Lymphknoten (2). Alternativ können APC auch im Reagenzglas gezüchtet werden und hier mit Tumorfragmenten beladen werden. Im Lymphknoten werden dann weitere Immunzellen, die T-Zellen, aktiviert. Sie schwärmen aus, um Tumorzellen im Körper zu bekämpfen. Die neue Impfung will zusätzlich eine natürliche zelluläre Bremse lösen.

In einem experimentellen Tier-Melanom-Modell waren wir mit dieser Strategie erfolgreich: Die Tumoren verkleinerten sich deutlich, viele der Versuchstiere konnten von einem sonst tödlich endenden Melanom geheilt werden. Unsere Hoffnung ist, das Antikörper-Targeting so weiterzuentwickeln, dass es auch beim Menschen erfolgreich angewendet werden kann. Neben Komponenten, die eine Immunantwort aktiv anstoßen, gibt es natürlicherweise Mechanismen, die eine Immunantwort unterdrücken. Solche gegen-regulatorischen Mechanismen sind beispielsweise wichtig, um die "Immuntoleranz" aufrecht zu erhalten. Immuntoleranz bedeutet: Körpereigenes Gewebe wird vom Immunsystem nicht angegriffen. Verliert das Immunsystem seine Toleranz gegenüber körpereigenen Strukturen, entstehen schwere Krankheiten, so genannte Autoimmunerkrankungen, beispielsweise Arthritis, bestimmte Formen von Diabetes oder Multiple Sklerose. Deshalb ist es wichtig, dass regulatorische Zellen die Aktivierung der T-Zellen kontrollieren, beziehungsweise aktivierte T-Zellen wieder "ausschalten", nachdem diese ihre Arbeit erledigt haben. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn nach einer Grippe alle Viren, die in den Körper eingedrungen sind und Symptome wie Fieber, Schnupfen und Husten verursacht haben, erkannt und vernichtet worden sind. Dann hat der erkrankte Mensch die Infektion überstanden – und die aktivierten T-Zellen müssen abgeschaltet werden.

Hautkrebszellen – mithilfe der Immunfluoreszenz sichtbar gemacht.
Hautkrebszellen – mithilfe der Immunfluoreszenz sichtbar gemacht.

Im gesunden Körper übernehmen diese Aufgaben regulatorisch aktive Zellen. Wir sind besonders an den regulatorischen T-Zellen, den "Tregs", interessiert. Diese Zellen sind ständig im Körper präsent und dämpfen – supprimieren – die Aktivierung von Effektor-T-Zellen. Eine solche sonst lebensnotwendige Immunsuppression kann für einen Menschen, der an einem Tumor leidet, von Nachteil sein: Bei ihm muss das Immunsystem maximal stimuliert werden, damit es den Tumor attackiert – das Vorhandensein regulatorischer T-Zellen ist in diesem Fall eher kontraproduktiv. Ein weiteres Forschungsziel ist deshalb, die regulatorischen T-Zellen im Körper des Patienten während der Tumortherapie auszuschalten, also gleichsam die Bremse zu lösen, damit das Immunsystem in Fahrt kommen kann.

In einer Studie, die derzeit in unserem Hause erfolgt, wird Patienten, die an einem Melanom leiden, ein spezieller Wirkstoff verabreicht, der regulatorische T-Lymphozyten ausschalten soll. Bei diesem Wirkstoff handelt es sich um ein Fusionsprotein, das in der Lage ist, an den so genannten IL-2-Rezeptor, der auf regulatorischen T-Zellen zu finden ist, zu binden. Das Ziel ist, die regulatorischen T-Zellen zunächst gezielt zu entfernen und die Patienten danach mit Tumorantigen zu impfen. Wir hoffen, damit eine Therapiealternative anbieten zu können, die das Tumorwachstum im fortgeschrittenen Stadium bremsen, möglicherweise den Tumor rückbilden und die Überlebenschance der Patienten verbessern kann.

Autoren:
Prof. Dr. Alexander Enk
Universitäts-Hautklinik Heidelberg
Voßstraße 2, 69 115 Heidelberg
Telefon (0 62 21) 56 85 00
E-Mail: alexander.enk@med.uni-heidelberg.de;

Priv.-Doz. Dr. Karsten Mahnke
Telefon (0 62 21) 5 63 85 09
E-Mail: karsten.mahnke@med.uni-heidelberg

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