Siegel der Universität Heidelberg
Bild / picture

Editorial

Lehre statt Forschung?

Liebe Leserin, lieber Leser,
die Zahl der Studierenden an Deutschlands Hochschulen wird in den nächsten Jahren weiter ansteigen – nicht so sehr wegen der demographischen Entwicklung, sondern vor allem wegen der Forderung der Politik, den Prozentsatz der an Hochschulen Ausgebildeten von gut vierzig auf deutlich über fünfzig zu steigern. Denn auch insoweit hinkt Deutschland im internationalen Bildungswettbewerb hinterher. An der Entwicklung von Konzepten zur Bewältigung dieser neuen Herausforderung müssen sich die Universitäten schon deshalb intensiv und vielstimmig beteiligen, weil sie andernfalls Gefahr laufen, in ihren Forschungsaktivitäten einschneidend beeinträchtigt zu werden. Denn mancher Politiker, vorzüglich manche Finanzpolitiker, könnte sich nur allzu schnell mit dem Gedanken anfreunden, die Universitäten zu zwingen, ihre Ressourcen-Nutzung aus dem Bereich der Forschung in den der Lehre zu verlagern. Einen solchen Effekt hat das Land Baden-Württemberg unlängst en passant mit der Erhöhung der professoralen Lehrverpflichtung auf neun Semesterwochenstunden erzielt. – Mit welchen Ansätzen könnte man die Herausforderung erhöhter Studierendenzahlen in den Griff bekommen? Wohl nur mit einem ganzen Bukett untereinander abgestimmter Einzelmaßnahmen.

Vor allem ist zu betonen: Die Erhöhung der Studierendenzahlen an den Hochschulen kostet Geld, zusätzliches Geld. Wenn die Politik mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit Deutschlands die hoch qualifizierte Ausbildung auch quantitativ steigern will, dann muss sie diese Zukunftsinvestitionen dadurch finanzieren, dass sie innerhalb der Staatshaushalte Ausgaben zugunsten der Bildung umschichtet: Bildungs- und Finanzpolitik aus einem Guss. Aus den Hochschulen lassen sich weitere Lehrkapazitäten nicht herauspressen. Und auch die Studierenden können (über die momentan vorgesehenen 500 Euro pro Semester zur Verbesserung der Lehr- und Lernbedingungen hinaus) allenfalls dann zur Zusatzfinanzierung herangezogen werden, wenn dies auf der Grundlage neu definierter Staatsaufgaben und damit verbunden einer generellen Steuerentlastung geschieht.

Ein weiterer Lösungsansatz liegt im Kapazitätsausbau an den Fachhochschulen – gewiss durch eine Erhöhung der Mittel, davor aber noch durch eine drastische Veränderung der Betreuungsrelation. Insoweit herrschen an den Fachhochschulen momentan im Vergleich zu den Universitäten paradiesische Zustände. Man vergleiche nur die Verhältnisse im Massenfach Jura an der Ruperto Carola mit der College-Atmosphäre im Fach Wirtschaftsrecht an der Fachhochschule Pforzheim. Schon jetzt ist deren Privilegierung kaum länger hinnehmbar, erst recht nicht für die künftigen Entwicklungen. Hierüber müssen die Universitäten mit den Fachhochschulen, aber auch und vor allem mit der Politik schon bald das Gespräch suchen. – Der viel bessere Weg, die universitären Betreuungsrelationen auf das Niveau der Fachhochschulen anzuheben, ist momentan und auf absehbare Zeit nicht finanzierbar.

Und die Universitäten? Sollten sie keine Lösungsbeiträge beisteuern? Mitnichten; sie müssen ihre Personalstrukturen öffnen, sobald die Gesetze es ihnen erlauben. Veränderte Personalstrukturen vornehmlich im Mittelbau, aber auch bei den Professoren, können für die Lehre Synergiepotenziale erschließen, die im Augenblick noch normativ verkapselt sind. Die Stichworte könnten nach englischem Vorbild teaching assistant, reader, lecturer und senior lecturer sein und in Deutschland zur neuen Kategorie der Lehrprofessoren führen – also eines Hochschullehrers, der sich auf Lehre, Prüfung, Studierendenauswahl und -beratung konzentriert und nur einen Bruchteil seiner gesetzlichen oder tarifvertraglichen Arbeitszeit für die Forschung verwenden kann. Das hindert ihn selbstverständlich nicht daran, darüber hinaus in seiner "Freizeit" zu forschen. Andererseits sollte kein Universitätsprofessor ohne jegliche Forschung tätig sein; andernfalls wäre die Einheit von Forschung und Lehre nicht personal rückgebunden.

Lehrprofessoren könnten die Universitäten von dem Zwang befreien, den Ausbau von Lehrkapazitäten stets auch mit einem noch größeren (und teuren) Aufwuchs an Forschungskapazität verbinden zu müssen. So gesehen wäre die neue Figur des Lehrprofessors nicht ein bloßes Sparmodell, sondern vor allem ein Instrument, um besonders an der Lehre interessierte und hierfür begabte Hochschullehrer zu gewinnen und die ohnedies stets zu knappen Forschungsressourcen zu schonen und sie davor zu bewahren, auf noch mehr Professuren verteilt zu werden. Daher könnten senior lecturer und Lehrprofessor gerade Forschungs-konzentrierte Universitäten wie Heidelberg in ihrer Stärke trotz anwachsender Studierendenzahl schützen und darüber hinaus vielleicht sogar Forschungsprofessuren mit einem Lehrdeputat von zwei bis maximal vier Semesterwochenstunden ermöglichen – und sei dies für einen längeren, aber begrenzten Zeitraum.

Peter Hommelhoff
Rektor

Seitenbearbeiter: Email
zum Seitenanfang