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Zielgenau gegen Krebs

Tumoren der Bauchspeicheldrüse zählen zu den aggressivsten und therapeutisch unzugänglichsten Krebsarten. Die jahrzehntelange Arbeit der Krebsforscher scheint jetzt jedoch auch bei dieser gefährlichen Krebsart Früchte zu tragen. Helmut Friess und Jörg Kleeff von der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg berichten von den Fortschritten der molekularen Forschung, die einen Weg für neue Therapieansätze bahnt und bereits erste zielgenau ansetzende Medikamente hervorgebracht hat.

Bösartige Tumoren des Pankreas, der Bauchspeicheldrüse, zählen zu den aggressivsten Krebserkrankungen. Trotz beträchtlicher Fortschritte in der Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen in den vergangenen beiden Jahrzehnten ist die Prognose von Patienten, die an einem Pankreaskarzinom leiden, nach wie vor schlecht: Der Tumor wird zumeist erst in einem fortgeschrittenen Stadium erkannt, medizinische Hilfe ist dann nur noch begrenzt möglich. Wegen des örtlich häufig umfangreichen Tumorwachstums oder der Tatsache, dass sich der Tumor bereits im Körper ausgebreitet und beispielsweise in der Leber Metastasen (Tochtergeschwülste) gebildet hat, ist bei 75 bis 80 Prozent der Patienten keine Operation mehr möglich – das einzige Therapieverfahren, das dem Patienten eine Chance auf Heilung bieten könnte. Doch selbst wenn es gelingt, den Tumor operativ zu entfernen, ist eine Heilung nicht garantiert: Bei rund zwei Dritteln der operierten Patienten tritt die Erkrankung erneut auf, es bildet sich ein Rezidiv. Auch die Bemühungen, das Pankreaskarzinom durch bewährte Verfahren der Krebsmedizin wie Strahlen- und Chemotherapie zu heilen oder langfristig zu kontrollieren, haben nicht den Erfolg, den man sich von ihnen erhofft. Aus diesen Gründen sind dringend neue therapeutische Konzepte erforderlich, die es erlauben, den gefährlichen Tumor erfolgreich zu bekämpfen.

Tumorzellen bilden ein Übermaß an löslichen Wachstumsfaktoren.
Tumorzellen bilden ein Übermaß an löslichen Wachstumsfaktoren. Auch von den dazugehörenden Rezeptoren werden zu viele hergestellt und in die Zellmembran eingebaut. Diese Überproduktion hat fatale Folgen: Die entarteten Zellen werden dazu angeregt, sich wieder und wieder zu teilen.

Die molekulare Grundlagenforschung hat hierfür in den vergangenen Jahren zahlreiche Ansätze geliefert, die Erfolg versprechend sind. Es ist beispielsweise gelungen, wesentliche molekulare Mechanismen der Entstehung von Bauchspeicheldrüsentumoren und ihrer Ausbreitung im Körper aufzuklären.

Unter anderem unsere Arbeitsgruppe konnte bereits vor Jahren zeigen, worauf die Aggressivität dieser Krebsart entscheidend beruht: Von den Tumorzellen werden verstärkt lösliche Wachstumsfaktoren und die dazugehörigen Rezeptoren, Aufnahmestrukturen für die Wachstumsfaktoren auf der Oberfläche der Zellen, produziert. Normalerweise steuern die Faktoren das Wachstum und das Überleben gesunder Zellen und sind für das reibungslose Funktionieren des Organismus unerlässlich. Im Falle des Bauchspeicheldrüsenkrebses kommt es jedoch zu einer fatalen Überproduktion: Die von den entarteten Zellen gebildeten Wachstumsfaktoren fördern die Teilung der Tumorzellen und die der benachbarten Zellen. Ein derartiges "Verhalten" konnte inzwischen auch bei anderen Krebsarten beobachtet werden.

Mittlerweile haben Forscher Substanzen entwickelt, mit denen wachstumsfördernde Signalwege unterbrochen werden können
Mittlerweile haben Forscher Substanzen entwickelt, mit denen wachstumsfördernde Signalwege unterbrochen werden können: Ein Beispiel sind Hemmstoffe (Inhibitoren) von Tyrosinkinasen, Enzyme, die Wachstumssignale ins Innere der Zelle weitervermitteln.

Mittlerweile ist es gelungen, Substanzen zu entwickeln, die versprechen, die wachstumsfördernden Signalwege zu unterbrechen. Unter Laborbedingungen zeigte sich, dass die neuen Wirkstoffe das Wachstum von entarteten Bauchspeicheldrüsenzellen verhindern und auch andere Mechanismen wie das Auswandern von Tumorzellen in die Lymphgefäße unterdrücken können. Diese Ergebnisse der Grundlagenforschung sind die Basis für klinische Studien, in denen jetzt untersucht wird, ob die neuen Substanzen auch Patienten helfen können, die an einem Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt sind.

Der Weg von der Arbeit der Grundlagenforscher im Labor bis hin zur ersten Anwendung bei den Patienten in der Klinik soll am Beispiel des Epidermalen Wachstumsfaktors, kurz EGF, dargestellt werden. Der Rezeptor für diesen Wachstumsfaktor wird mit dem Kürzel EGF-R bezeichnet und zählt zu denjenigen, die in der Krebsforschung am besten untersucht sind.

Bindet ein löslicher Wachstumsfaktor an seinen Rezeptor, wird der Rezeptor aktiviert, worauf sich das Zellwachstum und eine Reihe anderer Funktionen im Innern der Zelle verändern. Der Epidermale Wachstumsfaktor und der so genannte Transformierende Wachstumsfaktor-alpha (TGF-alpha) sind als Prototypen derjenigen Wachstumsfaktoren charakterisiert worden, die an den EGF-Rezeptor binden und ihn aktivieren. Wird der EGF-Rezeptor verstärkt produziert, kommt es zu einer malignen Zelltransformation: Die vormals gesunde Zelle wandelt sich in eine unkontrolliert teilende Zelle, eine Krebszelle, um. Sind außerdem die Wachstumsfaktoren EGF und TGF-alpha anwesend, werden die transformierten Zellen zusätzlich angetrieben, sich zu teilen und zu einer gefährlichen Geschwulst heranzuwachsen.

Vor mehr als zehn Jahren konnte erstmals gezeigt werden, dass Pankreaskarzinome des Menschen deutlich mehr EGF-Rezeptoren auf der Oberfläche der Zellen und deutlich mehr EGF- und TGF-alpha-Wachstumsfaktoren aufweisen als gesunde Zellen. Außerdem wurde nachgewiesen, dass Patienten, die sowohl EGF-Rezeptoren als auch die dazugehörenden Wachstumsfaktoren (Liganden) vermehrt bilden, eine schlechtere Überlebenschance haben als Patienten, bei denen keine gleichzeitige Überproduktion von Rezeptoren und Wachstumsfaktoren nachgewiesen werden kann. Zusätzlich zu diesen ersten Studienergebnissen erfolgten Untersuchungen, die klären sollten, welche Rolle den anderen Mitgliedern der EGF-Familie bei der Entstehung eines Pankreaskarzinoms zukommt. Auf diesen Ergebnissen aufbauend, wurde schließlich nach möglichen therapeutischen Ansatzpunkten im EGF-Rezeptor-System gesucht und folgender Zusammenhang erkannt: Wird der innerzelluläre Signalweg, der vom EGF-Rezeptor ausgeht, mit Hilfe eines so genannten "dominant-negativen" EGF-Rezeptors unterbrochen, der zwar die Liganden bindet, das Signal aber nicht mehr weitervermittelt, kann das Wachstum der Bauchspeichelkrebszellen gehemmt werden. Auch Antikörper, die sich gegen den EGF-Rezeptor richten, vermindern das Wachstum von Pankreastumoren in vivo (im Reagenzglas) – dies beruht einerseits auf einer verminderten Zellteilung und andererseits auf einer Hemmung der Blutgefäßneubildung, der Neoangiogenese, die notwendig ist, damit Tumoren wachsen können.

Ein wesentlicher Fortschritt war die Entwicklung so genannter Tyrosinkinase-Inhibitoren, Hemmstoffe des signalübermittelnden Enzyms Tyrosinkinase. Bei den Inhibitoren handelt es sich um synthetische Moleküle, die gezielt die Tyrosinkinase und mit ihr den Aktivierungsteil des EGF-Rezeptors blockieren und damit die Signalübermittlung stoppen. Das beeinflusst gleich mehrere Aspekte des Tumorwachstums: Sowohl die Zellteilung als auch die Gefäßneubildung und Metastasierung werden vermindert; die Apoptose hingegen, das "Selbstmordprogramm" der Tumorzellen, wird aktiviert.

Blockierte Signalwege

Der neue Wirkstoff Iressa, der zurzeit zur Behandlung des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms erprobt wird, ist ein Beispiel für diese Tyrosinkinase-Inhibitoren. Iressa, konnte unsere Arbeitsgruppe kürzlich nachweisen, kann auch das Wachstum und die Ausbreitung von Pankreaskarzinomzellen hemmen, indem es den innerzellulären EGF-Signalweg blockiert. Nun anstehende klinische Studien, an denen Pankreaskarzinom-Patienten teilnehmen, sollen zeigen, ob sich das Wachstum des Bauchspeicheldrüsenkrebses mit Iressa tatsächlich bremsen lässt.

Über die Identifizierung molekularer Defekte lassen sich also neue, spezifisch ansetzende Medikamente entwickeln, die dazu beitragen, Krebserkrankungen besser zu behandeln. Ein wesentlicher Aspekt für das Auffinden neuer Wirkstoffe gegen das Pankreaskarzinom wird sein, die gestörten Signalwege möglichst umfassend zu identifizieren und diejenigen herauszufinden, die therapeutische Ansatzpunkte bieten.

In der Vergangenheit haben solche Entwicklungen über zehn Jahre beansprucht. Mit neuen Technologien, beispielweise der so genannten DNA-Microarray-Analyse, lassen sich in der molekularen Forschung in kürzerer Zeit Fortschritte erzielen. Vor einigen Jahren konnten mit den damals verfügbaren molekularbiologischen Arbeitstechniken nur Einzelfaktoren bestimmt werden, heute gibt es Technologien, zum Beispiel Proteom-Analysen, mit denen nahezu alle Faktoren, die von menschlichen Zellen produziert werden, gleichzeitig erfasst und analysiert werden können. Daraus resultiert ein exponentieller Wissenszuwachs, der für neue diagnostische und therapeutische Ansätze genutzt werden kann.

Mit Hilfe dieser neuen Techniken konnten in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg und in Kooperation mit der Industrie zahlreiche bislang unbekannte Fehlregulationen beim Pankreaskarzinom aufgedeckt werden. In einer der ersten Analysen dieser Art bei Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse konnte unsere Arbeitsgruppe 186 Gene identifizieren, die bei Pankreaskarzinomzellen verglichen mit gesunden Zellen unterschiedlich exprimiert, also abgelesen und in Genprodukte (Proteine) übersetzt werden. Weitergehende Untersuchungen mit den neuesten Microarrays zeigten über 800 Gene auf, die bei Karzinomen verglichen mit normalem Bauchspeicheldrüsengewebe eine veränderte Expression aufweisen. Derzeit werden die viel versprechendsten Einzelfaktoren in aufwändigen Studien daraufhin analysiert, ob sie sich als mögliche Zielstrukturen für neue Wirkstoffe eignen. Zwei Beispiele: Kürzlich wurde ein Faktor (CDC25B) identifiziert, der in Pankreaskrebszellen in sehr großen Mengen vorhanden ist und wahrscheinlich die Fähigkeit der Zellen unterstützt, in der Leber Tochtergeschwülste zu bilden. Der Faktor, stellte sich heraus, spielt normalerweise eine wichtige Rolle bei der Steuerung der Zellteilung. Substanzen, die diesen Faktor blockieren, stoppen weitere Teilungen der Krebszellen. Ein anderes kürzlich durch DNA-Microarray-Analysen identifiziertes Schlüsselgen des Pankreaskarzinoms enthält die genetische Information für den Bau des so genannten Arylhydrocarbon-Rezeptors (AhR), der normalerweise für Entgiftungsvorgänge zuständig ist. Unsere Arbeitsgruppe hat ihn als weiteres viel versprechendes "Target", als Zielstruktur, zur besseren Behandlung des Pankreaskarzinoms identifiziert. Substanzen, die an diesen Rezeptor binden, haben eine ähnliche Struktur wie Dioxin, allerdings nicht dessen toxische Nebenwirkungen. Diese Substanzen sind in der Lage, das Wachstum von Tumorzellen der Bauchspeicheldrüse zu bremsen und ihr aggressives Wachstumsverhalten zu blockieren.

Zurzeit sind diese Substanzen noch nicht weit genug entwickelt, um sie beim Menschen einzusetzen. Es ist jedoch zu hoffen, dass einige von ihnen den Weg in die Klinik finden werden. Ähnliche viel versprechende Untersuchungen sind mittlerweile für eine Reihe neu entdeckter Schlüsselfaktoren des Pankreaskrebses erfolgt, von denen wir ebenfalls hoffen, das sie sich als neue therapeutische Ansatzpunkte etablieren.

Europäisches Pankreaszentrum: www.pankreasinfo.com

Vor drei Jahren wurde in der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg das Europäische Pankreaszentrum (www.pankreasinfo.com) eingerichtet. In diesem Zentrum wird der Transfer von neuem, von Grundlagenforschern erarbeitetem Wissen in die klinische Anwendung erfolgreich praktiziert. Denn neben den Fortschritten in der Grundlagenforschung ist die klinische Forschung von wesentlicher Bedeutung, um Patienten mit Bauchspeicheldrüsentumoren bestmöglichst zu behandeln. So sind beispielsweise Operationen der Bauchspeicheldrüse sehr komplex und schwierig: In der Vergangenheit musste bei Bauchspeicheldrüsenoperationen eine hohe Sterblichkeit in Kauf genommen werden. Mit der Errichtung des Europäischen Pankreaszentrums konnte an der Universität Heidelberg eine Institution etabliert werden, die in der Bauchspeicheldrüsenchirurgie führend ist. Wie eigene und andere Untersuchungen offensichtlich machen, sind für eine erfolgreiche Bauchspeicheldrüsen-Operation vor allem zwei Faktoren bedeutend: die Erfahrung des Chirurgen und die Anzahl der Pankreasoperationen, die jährlich in einer Klinik erfolgen. Das Heidelberger Zentrum hat sich innerhalb von nur drei Jahren zum größten europäischen Zentrum für Pankreasoperationen entwickelt.

Da Pankreaskarzinome auch nach einer erfolgreichen und kompletten Entfernung dazu neigen, wieder aufzutreten, sind zusätzliche Therapiemodalitäten notwendig, um die Erkrankung nachhaltig zu behandeln. Auch hier konnten in Heidelberg in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte erzielt werden. In der bisher größten Studie dieser Art und unter Federführung der Chirurgischen Klinik konnte etwa nachgewiesen werden, dass eine Chemotherapie, die sich an die operative Entfernung eines Bauchspeicheldrüsentumors anschließt, die Prognose deutlich verbessert, das heißt, die Patienten überleben länger. Dieses Resultat hat die weitere Behandlung der Patienten nach einer Operation mittlerweile neu definiert. Zurzeit erfolgen in Heidelberg zwei Studien, die auf diesen Ergebnissen aufbauen. Sie prüfen, ob die Prognose von Patienten nach der operativen Tumorentfernung mit Hilfe neuer Medikamente beziehungsweise neuer Kombinationstherapien weiter verbessert werden kann.

Wir hoffen, dass sich durch das Bündeln der klinischen und molekularbiologischen Forschung im Europäischen Pankreaszentrum der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg, durch die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum und dem Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie in Heidelberg sowie weiteren nationalen und internationalen Partnern neue Horizonte eröffnen, um Menschen, die an einem Pankreaskarzinom leiden, besser versorgen zu können. Die Voraussetzungen scheinen uns derzeit gegeben, dass Patienten bereits in den nächsten Jahren bessere Therapien angeboten werden können.

Autoren:
Prof. Dr. Helmut Friess und Dr. Jörg Kleeff,
Chirurgische Universitätsklinik, Abteilung für Allgemein-, Viszeral- und Unfallchirurgie,
Im Neuenheimer Feld 110, 69120 Heidelberg,
Telefon (0 62 21) 56 48 60,
e-mail: helmut.friess@med.uni-heidelberg.de

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