Siegel der Universität Heidelberg
Bild / picture

"Gute Forscher wollen intelligent spielen"

Für seine wegweisenden Forschungen auf dem Gebiet des programmierten Zelltods, der Apoptose, wurde Professor Peter Krammer, Leiter der Abteilung Immungenetik des Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, vor knapp einem Jahr mit dem Lautenschläger-Forschungspreis in Höhe von 250.000 Euro ausgezeichnet. Die Ruperto Carola fragte nach, welche Bedeutung der Preis für den Fortgang der aktuellen Arbeiten hat, welche Anwendungen sich aus der grundlegenden Erforschung der Apoptose ergeben und mit welchen Problemen die Forscher bei der Umsetzung und Verwertung ihrer grundlegenden Erkenntnisse zu kämpfen haben.

Manfred Lautenschläger (rechts)  gratuliert Professor Peter Krammer zu seinen wegweisenden Arbeiten.

Manfred Lautenschläger (rechts), der Stifter des Forschungspreises, gratuliert Professor Peter Krammer zu seinen wegweisenden Arbeiten.

Professor Peter Krammer

Ruperto Carola: Herr Professor Krammer, vor knapp einem Jahr haben Sie den Lautenschläger-Forschungspreis dotiert mit 250 000 Euro erhalten. Was haben Sie mit dem Geld gemacht?

Professor Dr. Peter Krammer: Als Forscher ist man außerordentlich froh, zusätzliches Geld zu haben, weil es Spielmöglichkeiten zulässt, die es sonst nicht gibt. Die Freiheit, die man dadurch gewinnt, macht das Forscherleben leichter, weil man nicht so bleischwer an die Bürokratie gebunden ist. Dem Stifter des Preises, Manfred Lautenschläger, möchte ich da ein großes Kompliment machen. Es müsste in Deutschland mehr Menschen wie ihn geben, die das Können und das Glück hatten, sehr viel Geld zu verdienen, und bereit sind, es für den intellektuellen Fortschritt in der Wissenschaft einzusetzen.

Ruperto Carola: Spielmöglichkeiten und bleischwere Bürokratie – das klingt unvereinbar ...

Krammer: Das ist auch tatsächlich so. Gute Forscher wollen sinnvoll – das heißt intelligent – spielen. Diese spielerische Freiheit, die Möglichkeit zur intensiven und unverwalteten intellektuellen Auseinandersetzung mit einem wissenschaftlichen Thema sind wichtige Voraussetzungen für neue Gedanken, neue Ansätze, kurzum für Kreativität. Es gibt ja nun wirklich genug Beispiele aus der Vergangenheit, die zeigen, dass wichtige Ergebnisse zumeist von Forschern erarbeitet wurden, die das Glück hatten, nicht in ein Programm gesteckt worden zu sein, das im Bearbeiten von Papierenbergen stecken bleibt.

Ruperto Carola: Welche zusätzlichen "Spielwiesen" konnten Ihre Mitarbeiter und Sie denn dank der finanziellen Zuwendung betreten?

Krammer: Wir nutzen das Geld in erster Linie, um zumindest in unserem kleinen Kreis ein Defizit auszugleichen, das in Deutschland seit langem besteht und nach wie vor ein großes Problem ist – die unzureichende Kooperation zwischen Grundlagenforschung und klinischer Forschung. Denn diese enge Zusammenarbeit ist letztlich entscheidend dafür, dass Erkenntnisse, die im Labor erarbeitet wurden, so schnell wie möglich weiterentwickelt werden, damit sie den Patienten zugute kommen.

Ruperto Carola: Und wie sieht das konkret aus? Was tun Sie, um Grundlagenforscher und Kliniker enger zusammenzubringen?

Krammer: Wir sorgen beispielsweise dafür, dass Kliniker eine Auszeit nehmen und bei uns im Labor im Krebsforschungszentrum arbeiten können. Derzeit haben wir einen Mediziner von der Hautklinik in Mannheim bei uns, der seltene Hauttumoren des lymphoiden Systems erforscht. Eine Dermatologin von der Uniklinik in Düsseldorf arbeitet bei uns gerade über Lupus erythematodes, die Schmetterlingsflechte. Auch für deren Entstehen, das zeigt sich immer mehr, sind apoptotische Prozesse verantwortlich. Offenbar werden apoptotische Zellen nicht ausreichend abgeräumt, was wahrscheinlich zu Autoimmunität führt.

Ruperto Carola: Gibt es bereits fortgeschrittenere Beispiele, die deutlich machen, welche Vorteile Patienten erwarten können, wenn Grundlagenforscher und anwendungsbezogene Forscher ihre Arbeiten enger verzahnen und ihre Bedürfnisse besser aufeinander abstimmen? Krammer: Nehmen Sie einmal unser Kooperationsprojekt mit der Heidelberger Radiologischen Universitätsklinik. Es hat eine sehr klare Ausgangsfragestellung und eine ebenso klare praktische Zielsetzung. Es ist ja so, dass durch eine kombinierte Chemo- und Strahlentherapie Tumoren oft nahezu vollständig zurückgedrängt werden können. Der Grund: die Krebszellen sterben durch Apoptose. Nach einer gewissen Zeit verlieren sie jedoch ihre "Apoptosefähigkeit". Sie werden resistent, widerstehen allen weiteren Behandlungsversuchen und wachsen erneut zu einem Tumor heran. Der Betroffene erleidet ein Rezidiv, an dem er letztlich stirbt. Die konkrete, den Patienten unmittelbar zugute kommende Fragestellung ist hier: Was genau verhilft Tumorzellen zu dieser verhängnisvollen Widerstandskraft und wie kann ihre ursprüngliche Strahlen- und Chemosensitivität wieder hergestellt werden?

Ruperto Carola: Kürzlich haben Sie mit Ihrem Forschungsprojekt "Rückenmarksverletzungen" in den Medien bis in die täglichen Nachrichtensendungen hinein Aufsehen erregt. Sie und Ihre Mitarbeiter konnten im Tierversuch zeigen, dass Querschnittslähmungen, etwa nach Rückenmarksverletzungen, rückgängig gemacht werden können, wenn man frühzeitig verhindert, dass weitere Zellen durch Apoptose zugrunde gehen. Wie steht es denn damit? Wann können die ersten Patienten von diesen Ergebnissen der Grundlagenforschung profitieren?

Krammer: Wir haben unlängst eine Firma gegründet, deren Mitarbeiter damit beschäftigt sind, Wirkstoffe zu prüfen, mit denen die Apoptose gezielt blockiert werden kann. Langfristig ist es unser Ziel, Medikamente zu entwickeln, mit denen Querschnittslähmungen nach Rückenmarksverletzungen verhindert oder wieder rückgängig gemacht werden können. Wir sind da schon ziemlich weit. Wir haben einen bestimmten Antikörper, der imstande ist, ein Protein namens CD95 L auszuschalten. Dieses Protein löst die Selbstmordkaskade der Zellen aus. Wenn man es aber daran hindert, gehen die Zellen nicht zugrunde, sondern bleiben erhalten und funktionstüchtig. Um dieses Prinzip allerdings so weiterzuentwickeln, dass es tatsächlich als Medikament bei Menschen eingesetzt werden kann, braucht man sehr viel Geld und potente industrielle Partner. Beides ist in Deutschland schwer zu erreichen.

Ruperto Carola: Man sollte doch meinen, dass solche Vorlagen für forschende Pharmafirmen ausreichend interessant sein sollten, um sich zu engagieren?

Krammer: In Deutschland besteht nach wie vor ein schlechtes Innovationsklima für biotechnologische Entwicklungen. Das ist der eine Grund für den schleppenden Fortgang. Zudem wird die Zusammenarbeit mit deutschen Pharmafirmen immer schlechter, wenn nicht gar unmöglich, so dass wir überlegen, ob wir mit unseren Entwicklungen nicht in die Vereinigten Staaten gehen. Das muss man leider und zum wiederholten Male so sagen, obwohl ich das persönlich in keiner Weise für gut heiße. Aber die Verhältnisse sind eben so.

Ruperto Carola: Und was müsste Ihres Erachtens nach geschehen, damit sich die Verhältnisse ändern? Gibt es irgendeinen konkreten Vorschlag?

Krammer: Einen konkreten Vorschlag hätte ich sehr wohl zu machen. Er bezieht sich darauf, die große Lücke, die zwischen der Entwicklung von Dingen im Labor und ihrer Verwertung besteht, zu schließen, wenigstens aber ein Stück zu verkleinern. Diese Lücke ist Schuld daran, dass Innovationen in ihren präklinischen Stadien oft erstaunlich zügig und erfolgreich vorangetrieben werden – dann aber an einen Punkt gelangen, an dem nichts mehr geht, weil das Geld fehlt. Das ist dann das Aus, selbst für die vielversprechendsten Projekte. Am NIH, den Nationalen Gesundheitsinstituten der Vereinigten Staaten, gibt es ein eigenes Gremium, das über Projekte im Übergangsbereich von der Präklinik in die Klinik kompetent befindet und die Lücke zwischen beiden schließt, indem es die Finanzierung zunächst mit öffentlichen Mitteln sicherstellt. Eine solche "Lückenfinanzierung" gibt es bei uns nicht, und sie wird es in Zeiten leerer Kassen wohl auch so bald nicht geben. Nichtsdestotrotz könnte sich daraus eine enorme Schubkraft entwickeln – im Sinne des Forschungs- und Industriestandorts Deutschland und im Sinne der Patienten, die an bislang unheilbaren Krankheiten leiden.

Professor Krammer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Die Fragen stellte Claudia Eberhard-Metzger.
Seitenbearbeiter: Email
zum Seitenanfang