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Emissionsdaten – ein Geschenk des Himmels

Reine Luft ist für Menschen, Tiere und Pflanzen äußerst wichtig. Schon ein Schadstoffmolekül, etwa Stickstoffdioxid oder Schwefeldioxid, in zehn Millionen Luftmolekülen kann Schäden anrichten. Zuverlässige und unabhängige Messungen von Spurengaskonzentrationen in der Atmosphäre sind unerlässlich, wenn wir verstehen wollen, wie umweltrelevante Stoffe freigesetzt, umgewandelt und abgebaut werden.

Viele atmosphärische Spurenstoffe, beispielsweise Ozon, Stickoxide, Schwefeldioxid und freie Radikale wie Halogenoxide (Chloroxid, Bromoxid, Iodoxid) weisen charakteristische Absorptionseigenschaften im ultravioletten und sichtbaren Spektralbereich auf. Bereits vor über 100 Jahren wurde entdeckt, dass Ozon den Grossteil des ultravioletten Lichts der Sonne in der Stratosphäre absorbiert. Absorptionsspektroskopie von im Zenit gestreutem Sonnenlicht ("Himmelslicht") wird seit den siebziger Jahren zur Untersuchung von wichtigen Spurengasen in der Erdatmosphäre angewandt. Zenitgestreutes Sonnenlicht wird auf dem Weg zum Erdboden durch Absorptionen stratosphärischer Spurenstoffe (vor allem Ozon) sowie durch troposphärische Absorber beeinflusst und erlaubt es, den Spurenstoffanteil in der durchleuchteten Luftsäule zu messen. Die untersten Luftschichten, insbesondere die von natürlichen und anthropogenen Emissionen an der Erdoberfläche am stärksten beeinflusste bodennahe Grenzschicht, hinterlassen entsprechend ihrer geringen Konzentration nur schwache Absorptionen im Spektrum des zenitgestreuten Sonnenlichts. Um eine Größenordnung höhere Absorptionen in der bodennahen Grenzschicht findet man dagegen in Sonnenlicht, das wenige Grad über dem Horizont gestreut wurde. Dieses Licht ist auf seinem gegenüber der Zenitrichtung stark verlängerten – annähernd horizontalen – Weg durch die bodennahe Grenzschicht einem Vielfachen der Absorption durch Spurengase in den bodennahen Luftschichten ausgesetzt.

In den vergangenen Jahren wurde am Institut für Umweltphysik eine Methode entwickelt, die Streulicht-Absorptionsmessungen im Zenit kombiniert mit zeitgleichen oder -nahen Streulichtmessungen unter einer Reihe von Winkeln über dem Horizont, die so genannte MAX-DOAS (Multi AXis Differential Optical Absorption Spectroscopy). Die Unterschiede der Spurenstoff-Absorptionen im gestreuten Sonnenlicht, das man beispielsweise 5, 10 oder 20 Grad über dem Horizont beobachtet, erlauben zudem relativ genaue Aussagen über die Vertikalverteilung der untersuchten Spurengase in Bodennähe.

Ist das Vorkommen eines Absorbers etwa beschränkt auf den untersten Kilometer der Atmosphäre, findet man, dass die Absorption sich annähernd umgekehrt proportional zum Winkel über dem Horizont verhält. Andererseits verschwinden die Unterschiede zwischen den Horizontblickrichtungen fast völlig, wenn das Vertikalprofil des Spurenstoffs beispielsweise nur signifikante Konzentrationen zwischen 1 km und 2 km aufweist. In diesem Fall erkennt man das Vorhandensein des Spurengases oberhalb der bodennahen Luftschicht am Unterschied zwischen der Absorption im Zenitstreulicht und den Beobachtungsrichtungen in Horizontnähe.

Zunächst wurden die MAX-DOAS-Messungen mit für diesen Zweck modifizierten Zenit-Streulicht-Geräten durchgeführt. Die Entwicklung von handflächengroßen Miniatur-Spektrometern führte schließlich zur Miniaturisierung des MAX-DOAS-Messgeräts, die insbesondere auch den Stromverbrauch stark verringerte. Das am Institut für Umweltphysik entwickelte Mini-MAX-DOAS-Gerät kann mit einer normalen Autobatterie problemlos mehr als einen Tag betrieben werden.

Das Bild auf Seite 45 zeigt den MAX-DOAS-Messaufbau während eines Feldexperiments am größten Salzsee der Erde, dem Salar de Uyuni in Bolivien. Dort wurden 2002 erstmalig Messungen von Bromoxid durchgeführt. Das Diagramm rechts daneben zeigt als Beispiel die Ergebnisse der MAX-DOAS-Messungen vom Morgen des 31. Oktober 2002.

Deutlich zu erkennen ist der Anstieg der Bromoxidwerte auf über 25 ppt (schwarze Kurve, 1 ppt entspricht einem Molekül in 1 000 000 000 000 Luftmolekülen). Aus dem Verhältnis der schwarzen, grünen und blauen Kurven, die den jeweils angegebenen Beobachtungswinkel über dem Horizont repräsentieren, kann zudem geschlossen werden, dass das Bromoxid im wesentlichen in einer 1 km dicken Luftschicht über der Salzfläche vorkommt.

Mithilfe dieser Messungen konnte der riesige Salzsee als bedeutende Emissionsquelle von reaktivem Brom identifiziert werden. Freisetzung von im Salz gebundenem Bromid als reaktives Brom in die Atmosphäre führt lokal zu einem drastischen Abbau des bodennahen Ozons, was wiederum das Gleichgewicht anderer atmosphärischer Prozesse empfindlich stören kann. Auch dieser lokale Ozonverlust konnte gleichzeitig gemessen werden, wie im Diagramm zu sehen. Die rote Kurve für Ozon zeigt einen Ozonrückgang von 50 auf 30 ppb (1 ppb entspricht einem Molekül in 1 000 000 000 Luftmolekülen). Die gefundenen Bromemissionen spielen vermutlich auch eine bisher vernachlässigte Rolle auf überregionaler Ebene, insbesondere weil der Salzsee auf 3600 m Höhe reaktives Brom direkt in höhere Troposphärenschichten emittiert, was eine schnellere und weitere Verbreitung des emittierten Broms zur Folge hat.

Ein weiterer großer Vorteil der MAX-DOAS-Technik ist die Tatsache, dass die Messungen relativ einfach automatisiert werden können. Seit Februar 2003 ist ein MAX-DOAS-Instrument in Alert, der nördlichsten permanenten Mess-Station in der kanadischen Arktis, circa 800 km entfernt vom Nordpol in Betrieb und liefert seitdem kontinuierliche Messdaten. Das Mini-MAX-DOAS ist an der GAW (Global Atmospheric Watch) Station von Alert installiert und trotzt dort erfolgreich den harschen Umweltbedingungen mit bis zu 40 Grad unter dem Gefrierpunkt. Vollautomatische Messungen finden im Zeitraum zwischen der Dämmerung vor dem polaren Sonnenaufgang Anfang März und dem Beginn der Polarnacht im Oktober jeden Jahres statt. Die Daten werden täglich automatisch nach Toronto übertragen und dort ausgewertet. Hauptzweck dieser Messungen ist die genauere Untersuchung von plötzlich auftretenden "Ozonlöchern" in den bodennahen Luftschichten im polaren Frühjahr.

Dieses erstmals Mitte der achtziger Jahre beobachtete Phänomen wird im Wesentlichen verursacht durch Freisetzung von reaktivem Brom aus dem bromidhaltigen Seesalz des Meereises und die effektive katalytische Ozonzerstörung durch emittiertes Brom. Die 2003 begonnenen Langzeitmessungen sollen Aufschluss geben über die zeitliche Variation der Bromemissionen nach dem polaren Sonnenaufgang sowie über den jahreszeitlichen Zyklus und über mögliche Veränderungen von Jahr zu Jahr.

MAX-DOAS eignet sich ebenfalls hervorragend zur Untersuchung der Gasemissionen von Vulkanen, Waldbränden sowie von anthropogenen Quellen wie Industriegebieten oder Kraftwerken und hat das Potenzial, zukünftige Studien und die Überwachung in diesen Bereichen maßgeblich zu bestimmen.

Autor:
Dr. Gerd Hönninger promovierte am Institut für Umweltphysik der Ruperto Carola und erhielt im Jahr 2003 den Umweltpreis der Viktor und Sigrid Dulger-Stiftung.
Derzeit arbeitet er beim "Meteorological Service of Canada" in Toronto.

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