Siegel der Universität Heidelberg
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Replik aus Tübingen

Innovative Entwicklungen verfolgen statt Nützlichkeitsattrappen aufstellen

Prof. Eberhard Schaich, Rektor der Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Prof. Eberhard Schaich, Rektor der Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Prof. Eberhard Schaich, Rektor der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, antwortet auf den Meinungsbeitrag der Heidelberger Professoren Tonio Hölscher und Michael Ursinus in der Ruperto Carola 2/2002 mit der Überschrift "Wer heute Millionen an den Geisteswissenschaften spart, muss morgen Milliarden für die Sanierung der Gesellschaft zahlen".

So ein Lob liest man in Tübingen gern, erst recht, wenn es aus der renommierten Universität Heidelberg kommt: "Die Universität Tübingen ist seit Jahrhunderten nicht nur eine Hochburg geisteswissenschaftlicher Forschung, sondern hat mit bedeutenden Vertretern der Geisteswissenschaften die Gesellschaft, Politik und Kultur in Deutschland nachhaltig geprägt." Was dann folgt, ist allerdings bisher im Umgang zwischen befreundeten Universitäten nicht üblich: In belehrendem Ton werden Entscheidungen kritisiert, die die Tübinger Universitätsleitung vorbereitet hat und die nach umfangreichen, auch öffentlichen Diskussionen in den zuständigen Gremien einvernehmlich beschlossen wurden. Dies gipfelt in dem Satz: "In diesem Sinn bedeutet die Reduzierung der Geisteswissenschaften eine verhängnisvolle, irreversible Entscheidung, für die die Verantwortung nicht einer einzelnen Universität überlassen werden darf."

Demgegenüber ist festzuhalten, dass die Tübinger Strukturentscheidungen mitnichten eine Schwächung der Geisteswissenschaften darstellen, sie wurden vielmehr in einer ausgewogenen Balance zwischen allen an der Universität vertretenen Disziplinen getroffen. Die Autoren selbst haben ja errechnet, dass etwa die Hälfte der Stellen von den Natur- und Lebenswissenschaften aufgebracht wird. Die relativen Größenverhältnisse zwischen den Wissenschaftsbereichen bleiben damit erhalten. Manche geisteswissenschaftlichen Disziplinen an der Universität Tübingen gehören nach wie vor zu den bestausgestatteten in Deutschland. Für die Aussage, in Tübingen sollten Fächer "zur Bedeutungslosigkeit reduziert oder ganz ausgelöscht werden", lässt sich nicht ein einziges Beispiel anführen. Im Gegenteil ist an der Universität Tübingen bereits vor Jahren sehr viel dafür getan worden, kulturelle und ethische Kompetenzen zu stärken, um die es den Heidelberger Autoren besonders zu gehen scheint. In Tübingen gibt es ein breit ausgebautes interfakultären Zentrum für Ethik in den Wissenschaften mit bundesweit einmaligen Professuren für Ethik in den Biowissenschaften und Ethik in der Medizin, die mit Ethikexperten in den beiden Theologischen Fakultäten und der Philosophie kooperieren. Dieses neue Miteinander der Wissenschaftskulturen sollte man auch in Heidelberg zur Kenntnis genommen haben.

Eine Überschrift wie "Wer heute Millionen an den Geisteswissenschaften spart, muss morgen Milliarden für die Sanierung der Gesellschaft zahlen" zeugt von einer gigantischen Selbstüberschätzung von Geisteswissenschaftlern. Die Autoren bleiben in ihrem Beitrag dafür jeden Beweis schuldig. Im Gegenteil haben ja bekanntlich geisteswissenschaftliche Disziplinen immer wieder markante gesellschaftliche Fehlentwicklungen geistig mit vorbereitet und daran entscheidend mitgewirkt. Natürlich gibt es gute Gründe für die Förderung geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen in größtmöglicher Breite – dies wird auch von der Tübinger Universitätsleitung so gesehen -, aber die Vorstellung, dass damit gesellschaftliche Probleme zu lösen seien, ist verbreitet, aber nicht haltbar und erntet in den Feuilletons großer Zeitungen auch Spott: So sieht die FAZ (vom 9.12.2002) die größte Gefahr für die Geisteswissenschaften "in ihrer Bereitschaft, um der eigenen Mittelausstattung willen jede noch so absurde Nützlichkeitsattrappe aufzustellen." (FAZ vom 9.12.02)

Die Universität Tübingen wird auch in Zukunft die in ihrer Geschichte angelegte Balance zwischen Geistes- und Naturwissenschaften beibehalten. Sie ist nicht auf eine geisteswissenschaftliche Hochburg zu verkürzen, sie hat bereits 1863 als erste deutsche Universität eine mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät gegründet und an den Fortschritten der natur- und biowissenschaftlichen Disziplinen stets an vorderster Stelle mitgewirkt. An dem durch Stellenumwidmung gewonnenen Pool für die Verfolgung innovativer Entwicklungen, können die Geistes- und Sozialwissenschaften ebenso partizipieren wie alle anderen Fächer. Einen Grund, die Tübinger Beschlüsse zu revidieren, wie es die Heidelberger Kollegen empfehlen, gibt es also nicht. Die Universitäten werden sich daran gewöhnen und damit umgehen müssen, dass Sparen zu den Hauptaufgaben der nächsten Jahre gehören wird. Die Dominanz der Haushalte wird tägliches Brot für Universitätsleitungen sein, in Tübingen, in Heidelberg und anderswo. Hiervon können die Geisteswissenschaften ebenso wenig verschont bleiben wie die Naturwissenschaften.

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