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Aus der Stiftung Universität Heidelberg

Verleihung des Ruprecht-Karls-Preises

 

Die Publizistik in allen Medien zeichnet derzeit ein eher düsteres Bild unserer Gegenwart. Die Wirtschaftsprognosen sind mutlos, der Generationenvertrag scheint im Zusammenbrechen, die deutsche Außenpolitik wenig weltoffen, Wissenschaftspolitik in Bürokratie und Enge befangen.

Ganz anders ist das Bild, das uns die Jugend unserer Heidelberger Wissenschaftler zeichnet, die wir heute mit dem Ruprecht-Karls-Preis 2002 auszeichnen dürfen. In diesen Arbeiten geht es um die Schönheit der Frau, um Jugend, Gesundheit, Energie und Gold. Unsere Autoren widmen sich der Frage nach unserer Zukunft in einer freiheitsfähigen Jugend, der Bedeutung weiblicher Bildnisse in unserer Geschichte, der erfolgreichen Abwehr menschlicher Parasiten und ihrer Überträger, um energieunabhängige Transporte zwischen Zellkern und Zytoplasma und um immer kleinere Strukturen auf Materialoberflächen, die für die Mikroelektroindustrie bei der Herstellung von Chips bedeutend sind.

Dr. Margit Tünnemann fragt nach dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie und der Förderung der Kindererziehung im Rahmen des staatlichen Kinderleistungsausgleichs. Deutschland ist bekanntlich eines der ärmsten Staaten dieser Welt. Wir stehen unter 192 Staaten in der Armutstabelle an der Position 180; Entwicklungshilfe ist nicht zu erwarten. Ich spreche von der Kinderarmut, nicht von unserem Reichtum an Kapital, dessen Ansammlung unerheblich ist, wenn wir nicht wissen, in wessen Hände wir diesen Reichtum geben werden.

Margit Tünnemann unternimmt es nun, die rechtlichen Defizite des Schutzes von Ehe und Familie im gegenwärtigen Steuer-, Sozial- und Wirtschaftsrecht zu analysieren, das den Willen der jungen Menschen zum Kind behindert. Die Entscheidung für das Kind und damit für die Familie bedeutet heute einen wesentlichen Einkommensverzicht, der mit Zusatzbelastungen wegen des Kinderbedarfs, aber auch einer Überforderung der Eltern in gleichzeitiger Familien- und Berufsverantwortlichkeit einhergehe.

Der rechtsempirische Befund einer rechtlichen Vernachlässigung der Familie veranlasst die Verfasserin, auf der Grundlage eines Vergleichs der Familienpolitik in ausgewählten Staaten rechtliche Maßstäbe für eine sachgerechte Anerkennung der Kindererziehung zu entwickeln. Dabei geht es um Überlegungen zur Gleichwertigkeit von Erziehungstätigkeit und Erwerbstätigkeit, von Kindererziehung und Kinderbetreuung, vom Vorrang der Familienförderung vor der Finanzierung von Kinderbetreuungseinrichtungen, also der Stärkung elterlicher Erziehungsverantwortung. Der Kinderleistungsausgleich in Form eines Erziehungsgeldes anerkennt die Erziehungs- und Betreuungsleistung für Kinder, er soll die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft stärken und das Gelingen der individuellen Biographie sichern. Die Arbeit wurde als wegweisendes Werk bewertet, das die wesentliche Leistung allen Rechts erbringt, nämlich Verantwortlichkeit klarzustellen und zuzuweisen.

Dr. Michael Wenzel stellt mit seiner Dissertation "Heldinnengalerie – Schönheitsgalerie, Studien zu Genese und Funktion weiblicher Bildnisgalerien von 1470 bis 1715" ein Stück europäischer Kulturgeschichte vor, in der die Galerien von Frauendarstellungen in Mittel-, West- und Südeuropa gewürdigt werden. Zunächst wird die Entstehung eines Portraittyps der "schönen Frau" in Italien des 15. Jahrhunderts behandelt, dann das weibliche Bildnis im Kontext der Kunst- und Wunderkammern zugeordnet, später vor allem die soziale Funktion der Bildnisgalerien in der Hofkultur des 17. Jahrhunderts gedeutet, in der sich Frauen "der kulturellen Funktion der Schönheit zur Überwindung gesellschaftlicher Grenzen und zur Emanzipation von männlicher Dominanz" bedienen.

Die eigenständige Darstellung berühmter Frauen beginnt im 15.Jahrhundert mit den Portraits von Frauen aus der römischen Antike, die insbesondere in der Darstellung tugendhafter Frauen "gemalte Handlungsanweisungen" vor Augen führen. Im 16.Jahrhundert herrscht die Konzeption der "starken Frau" vor: Es werden regierende Frauen, Königinnen und andere Regentinnen dargestellt, um eine weibliche Herrschaftsausübung zu rechtfertigen und Portraits vorzustellen, mit denen sich viele nach Herrschaft und Regentschaft strebende Frauen identifizieren konnten.

Im 17. Jahrhundert zeigt sich dann eine ganz neue Art von Frauengalerie: nicht historische oder mythologische Frauen werden portraitiert, sondern Zeitgenossinnen. Darstellungen von Angehörigen königlicher Familien und solchen des "imitierenden Adels" dienen dem Repräsentationsbedürfnis und belegen die neuen Möglichkeiten sozialer Entfaltung der Hofdamen am frühneuzeitlichen Fürstenhof.

Die Arbeit besticht durch ihre Übersicht über knapp 250 Jahre von Kulturgeschichte in Italien, Frankreich, England, den Niederlanden und Deutschland. Sie umfasst fast 600 Seiten; zwei umfangreiche Abbildungsbände ergänzen die Arbeit, denen der Leser zumindest die gleiche Aufmerksamkeit widmen wird wie dem Text.

Dr. Katharina Ribbeck beginnt ihre Untersuchungen zum Kern-Zytoplasma-Transport mit dem Novalis-Wort "Hypothesen sind Netze; nur der wird fangen, der auswirft". Sie wirft das Netz ihrer wissenschaftlichen Neugierde auf den Zellkern, der von der übrigen Zelle durch die Kernmembran abgrenzt ist. Lebewesen wie Tiere, Pflanzen und Pilze teilen ihre Zellen in eine Vielzahl von Reaktionsräumen, den Kompartimenten, die eine strikte Arbeitsteilung organisieren. Nur diese Arbeitsteilung erlaubt den Sprung zur Entwicklung vielzelliger Lebewesen.

Das größte Kompartiment ist der Zellkern, gleichsam das Gehirn der Zelle. In ihm wird die genetische Information aufbewahrt, verwaltet und abgerufen. Der Zellkern exportiert genetische Information in das Zytoplasma und importiert die Enzyme aus dem Zytoplasma. In einer wachsenden Zelle müssen pro Minute mehrere Millionen Moleküle kontrolliert zwischen Kern und Zytoplasma ausgetauscht werden. Dieser enorme und zugleich streng kontrollierte Materialfluss vollzieht sich durch porenartige Strukturen, die in die Kernhülle eingelagert sind und die das Kernmilieu mit dem Zytoplasma verbinden und als Kernporenkomplexe bezeichnet werden. Wir müssen uns den Zellkern also wie einen durchsiebten Fußball vorstellen, in dem zwar nicht Luft ist, sondern das Wesentliche, dieses aber in einem ständigen Austausch mit der Außenwelt steht.

Zu diesen Kernporenkomplexen untersucht Katharina Ribbeck nun die Fragen, welche Komponenten an den Transportprozessen beteiligt sind, aus welchen Schritten sich die zyklischen Transportprozesse zusammensetzen und was die Funktionsprinzipien der Kernporenkomplexe sind. Katharina Ribbeck zeigt, dass die Translokation durch die Kernporen energieunabhängig verläuft. Sie schlägt ein "selektives Phasen-Modell" für Translokation in den und aus dem Zellkern vor.

Die Arbeit wird von den Gutachtern als eine Dissertation gewürdigt, die sich fundamentale Fragen stellt und mit einem Erkenntnisgewinn beantwortet, der eher dem von zwei erstklassigen Doktorarbeiten entspricht.

Dr. Stefan Kanzok untersucht die antioxidativen Mechanismen bei Malariaerregern. Malaria ist eine gefährliche, von einer Mücke übertragene Infektionskrankheit, die durch einen Parasiten hervorgerufen wird. Diese Parasiten gelangen über die Mücke in den Menschen, dort zunächst in die Leber und nach sieben bis 15 Tagen in die Blutbahn. Hier entwickeln und vermehren sich die Parasiten, bis die infizierten roten Blutkörperchen zerstört werden und Symptome wie schwere Anämie, hohes Fieber und zerebrale Komplikationen verursachen, die, wenn sie nicht behandelt werden, mit großer Wahrscheinlichkeit zum Tode führen. An der schwersten Form der Malarie tropica sterben ein bis zwei Millionen Menschen pro Jahr, darunter überwiegend Kinder unter fünf Jahren. Stefan Kanzok untersucht nun Organismen – unter anderem des Malariaüberträgers und des Malariaerregers –, die Sauerstoff zum Atmen brauchen, bei denen Sauerstoff aber auch toxisch wirken kann und deshalb entgiftet werden muss. Dieses Entgiftungssystem ist Gegenstand der Dissertation.

In seinen Aufsehen erregenden Entdeckungen hat Stefan Kanzok Voraussetzungen für die Entwicklung ganz spezifischer Enzyminhibitoren geschaffen, die neue, noch bessere Medikamente gegen die Malaria erlauben. Die Arbeit wird in der Sicht verschiedener Fachdisziplinen als herausragende Leistung gewürdigt, die sich durch Originalität, methodische Disziplin und herausragende wissenschaftliche Bedeutung auszeichnet.

Dr. Wolfgang Geyer hat in seiner Doktorarbeit neue Strategien zur Strukturierung von Oberflächen im Nanometermaßstab entwickelt. Gegenwärtig verdoppelt jede neue Generation von Speicherchips in etwa zwei Jahren ihre Kapazität. Die Erzeugung von immer höheren Speicherdichten hat zur Folge, dass sich in gleichem Maße die jeweiligen Strukturgrößen verkleinern müssen. Die bislang verwendeten optischen Litographiemethoden nähern sich damit ihren Grenzen. Deswegen müssen neue Strukturierungskonzepte entwickelt werden.

Bei der Erzeugung kleiner Strukturen gibt es zwei Ansätze: Zum einen wird versucht, mit den litographischen Methoden immer kleinere Strukturgrößen zu erreichen (Top-down-Methode). Zum anderen bemüht man sich, mit selbstorganisierenden biologischen und chemischen Prozessen kontrolliert Objekte mit Nanostrukturen zu erzeugen (Bottom-up-Ansatz). Ziel der Arbeit von Wolfgang Geyer ist es, die Vorzüge dieser beiden Methoden zu verbinden.

Wolfgang Geyer hat im Ergebnis mit seinen Forschungen zur Strahlungsempfindlichkeit von Molekülen eine neue Technologie entwickelt, die der Forschung auf dem Gebiet der Nanostrukturen und der Herstellung von strukturierten Oberflächen wesentliche Impulse gibt. Dabei bewegt er sich im interdisziplinären Aufgabenfeld zwischen Chemie, Physik und Ingenieurswissenschaften, arbeitet mit Wissenschaftlern und Ingenieuren verschiedenster Institutionen zusammen, entwickelt seine Ergebnisse für Goldsubstrate, die sich aber auch auf andere Substrate wie Silizium oder Indiumzinnoxyd übertragen lassen.

Prof. Dr. Paul Kirchhof
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