Siegel der Universität Heidelberg
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Schwerkraft, Quantenzustände und hüpfende Neutronen

Die Schwerkraft ist wahrscheinlich die alltäglichste Kraft, die wir kennen. Dieser Artikel beschreibt vom Prinzip her ein Fallexperiment, wie es erstmals Galilei durchführte. Heute ist das Objekt der Wahl allerdings ein energiearmes Neutron, die Fallhöhe beträgt nur wenige Mikrometer und zur Beschreibung der Ergebnisse ist die Quantenmechanik notwendig. Denn es ist das erste Mal gelungen, Quantenzustände im Schwerefeld der Erde zu beobachten. Das spannende Experiment, das Hartmut Abele vom Physikalischen Institut hier anschaulich schildert, überprüft Superstringtheorien und ist ein Beitrag bei der Suche nach einer Vereinigung der Kräfte.

Galileo Galilei würde sich verwundert die Augen reiben. Seinen Experimenten zufolge fallen Objekte unabhängig von ihrer Masse mit der konstanten Erdbeschleunigung g im Gravitationsfeld der Erde. Wiederholt man sein berühmtes Fallexperiment mit Neutronen, so fallen die Neutronen jedoch nicht mehr. Sie tun es jedenfalls nicht, wenn man eine Fallhöhe von 0,05 Millimeter unterschreitet und einen Neutronenspiegel zur Reflexion verwendet. Auf Grund der Quantennatur des Neutrons sind nur diskrete Energieniveaus erlaubt, auf denen sich die Neutronen befinden, und diese Energieniveaus finden sich als Stufen in den Messdaten wieder. So wird sichtbar, wie Quantenphänomene von der klassischen Physik abweichen. Derartige gebundene Zustände der Quantenmechanik erwartet man immer dann, wenn die Stärke des Kraftfeldes größer als die Energie der Teilchen ist. Die Zustände können dann nur ganz bestimmte Energiewerte annehmen. Das Wasserstoffatom – das elektromagnetisch gebundene System aus Elektron und Proton – ist dafür ein Beispiel. Die klassische Physik genügt nicht mehr, den Aufbau des Atoms befriedigend zu erklären, und die Energiestufen werden quantenmechanisch berechnet. Wir haben als Erste ein gravitativ gebundenes Quantensystem beobachtet, bei dem das Neutron im Schwerefeld der Erde sozusagen dem elektromagnetisch gebundenen Elektron im Wasserstoffatom entspricht. In unserem Fall haben die Quantenzustände eine Energie von pico-Elektronenvolt, was viele Zehnerpotenzen kleiner ist als die Energie der Elektronen im Wasserstoffatom. Aus physikalischer Sicht spielt die Gravitation nämlich eine Sonderrolle, da sie viel schwächer ist, als alle anderen fundamentalen Kräfte der Natur. Die Experimente ermöglichen es nun, bei diesen Energiebereichen in bisher unübertroffener Genauigkeit neuartige Gravitationsexperimente durchzuführen oder fundamentale Konstanten neu zu bestimmen. Weitere Motivationen für Gravitationsexperimente kommen von modernen Superstring-Theorien, bei denen der Kräfteunterschied zwischen der äußerst schwachen Gravitation und den anderen fundamentalen Wechselwirkungen, also dem Elektromagnetismus, der starken und der schwachen Kraft aufgehoben wird. In einigen dieser Theorien können dann gravitationsähnliche Kräfte auftreten, die bei kurzen Abständen, sagen wir ein bis zehn Mikrometer, milliarden- bis billionenfach stärker als die Gravitation sein könnten, ohne dass wir es bisher gemerkt hätten. Dieser Artikel beschreibt nun ein Gravitationsexperiment unseres internationalen Forscherteams, bei dem diese Quantenzustände im Gravitationsfeld der Erde beobachtet wurden. Das Experiment ermöglicht außerdem Aussagen über die Reichweiten und Stärken von gravitationsähnlichen Kräften in einem Bereich, in dem bisher keine Grenzen bekannt waren. Erste Ergebnisse wurden im vergangenen Jahr in der Zeitschrift "Nature" veröffentlicht.

Das Experiment erfolgte in Grenoble am Institut Laue-Langevin. Hier steht eine europäische Neutronenquelle, in der weltweit die größten Neutronenflüsse erzeugt werden. Neutronen machen zusammen mit den Protonen die Bestandteile des Atomkerns aus. Wir selbst bestehen etwa zur Hälfte aus Neutronen und zur Hälfte aus Protonen. Die leichten Elektronen fallen dabei kaum ins Gewicht. Ein Neutron ist neutral, das heißt, es trägt keine elektrische Kraft. Um große Neutronenflüsse zum Experimentieren zu gewinnen, haben sich zwei Prozesse etabliert. Zum einen kann man Neutronen durch Kernspaltung erhalten, wie etwa am Institut Laue-Langevin in Grenoble, der europäischen Neutronenquelle. Alternativ kann man auch mit einem hochenergetischen Protonenstrahl auf den Atomkern schießen. Beim anschließenden so genannten Spallationsprozess zerplatzt der Kern, und etwa 30 hochenergetische Neutronen pro Proton kommen frei.

Die im Kernspaltprozess erzeugten Neutronen sind zunächst alle sehr "heiß" (mehr als zehn Milliarden Grad, was einer Energie von zwei Mega-Elektronenvolt entspricht). Für das Experiment braucht man aber äußerst langsame, das heißt "ultrakalte" Neutronen, die bis herab auf ein Tausendstel Grad über dem absoluten Temperaturnullpunkt gekühlt werden und eine Transversalenergie von circa einem pico-Elektronenvolt haben. Den Energieunterschied von 18 Zehnerpotenzen erhält man durch verschiedene Kühlprozesse und einer weiteren Selektion von Neutronen mit zu hoher Energie. Die ersten sieben Größenordnungen gewinnt man praktisch umsonst ohne große Anstrengungen. Das Brennelement, in dem die heißen Neutronen durch Kernspaltung erzeugt werden, befindet sich nämlich in einem Wassertank, der mit schwerem Wasser gefüllt ist und Zimmertemperatur hat. In diesem Wasserbad bewegen sich die Neutronen wie ein ideales Gas; die schnellen Spaltneutronen stoßen mit den Wassermolekülen zusammen und das Wasser überträgt seine Temperaturverteilung auf die Neutronen. Nachdem die Neutronen nun Zimmertemperatur angenommen haben, können sie sehr effektiv eingesetzt werden, beispielsweise als Sonden, um die Struktur und Dynamik von Festkörpern zu untersuchen. Am Institut Laue-Langevin stehen dafür zahlreiche Instrumente zur Verfügung. Damit können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Fragestellungen aus der Biologie, Chemie, Physik, Medizin, Technik oder interdisziplinäre Fragestellungen klären. Durch Tomographie mit Neutronen ist es inzwischen möglich, technische Objekte zu untersuchen, und die innere Struktur auf dem Computer sichtbar zu machen und dreidimensional zu rekonstruieren.

Heidelberger Physiker haben vor kurzem mit Hilfe von thermischen Neutronen Aufnahmen eines Motorradmotors mit einem Hubraum von 1000 Kubikzentimeter angefertigt. Das Durchdringungsvermögen der Neutronen ist so gut, dass in Echtzeit Aufnahmen eines laufenden Motors möglich sind. Damit lassen sich dann Verbrennungsvorgänge in Motoren besser verstehen und die Hoffnung besteht, sie in der Zukunft weiter optimieren zu können.

Unser Gravitationsexperiment benötigt noch wesentlich kältere Neutronen. Im nächsten Schritt gelangen die thermischen Neutronen in eine zweite Moderatorstufe, die "kalte Quelle", die aus schwerem Wasserstoff bei einer Temperatur von 20 K oder – 253 ºC besteht. Die Neutronen erhalten hier wiederum durch Stöße mit Wasserstoff die Temperaturverteilung der kalten Quelle. Man spricht dann von kalten Neutronen. Diese kalten Neutronen können sehr effizient durch so genannte Neutronenleiter zu weiteren Experimenten und Instrumenten geführt werden.

Möglich werden Neutronenleiter durch einen Effekt der Quantentheorie: Materie stellt für Neutronen einen natürlichen Spiegel dar. Wenn die Energie der Neutronen unter einer gewissen Potenzialschwelle liegt, werden sie reflektiert, liegt sie darüber, dringen die Neutronen in die Materie ein und werden absorbiert und dadurch beseitigt. Kalte Neutronen werden noch bis zu einem Auftreffwinkel von circa einem Grad reflektiert.

Im Physikalischen Institut der Universität Heidelberg wurde eine neue Technik aus der Neutronoptik weiterentwickelt, mit der Neutronenleiter mit Vielfachschichten, so genannten Supermirrors ausgestattet werden. Diplomanden und Doktoranden haben sich mit dieser Technologie inzwischen selbstständig gemacht und betreiben als Start-up-Unternehmen die Firma S-DH.

Der mit der neuen Technik von uns am Institut Laue-Langevin aufgebaute Neutronenleiter hat durch den Einsatz dieser Superspiegel die Zahl der Neutronen verzehnfacht. Allerdings ist der Anteil an brauchbaren Neutronen für unser Experiment aus der kalten Quelle sehr gering. Auf zehn Millionen Neutronen kommt gerade ein Neutron, das langsam genug ist. Alle anderen Neutronen müssen ausselektiert werden. Die schnelleren Neutronen beseitigt man dadurch, dass man Neutronen im Gravitationsfeld steigen lässt und durch einen gekrümmten Neutronenleiter hindurchschickt. Die schnelleren Neutronen reflektieren nicht und werden absorbiert, so dass am Ende des Leiters nur noch Neutronen mit einer Geschwindigkeit von unter 50 m/s zur Verfügung stehen. Durch ein weiteres Kollimationssystem wird unser Experiment mit Neutronen beliefert, die eine Geschwindigkeit von unter 5 m/s haben. Diese Neutronen sind so langsam, dass sie im Gegensatz zu schnelleren Neutronen unter allen Auftreffwinkeln an Wänden reflektieren. Diese besonderen Neutronen nennt man ultrakalte Neutronen. Sie haben einige Eigenschaften eines idealen Gases und sind brauchbar für unser Experiment.

Der Aufbau des Experiments ist schnell erläutert: Die Neutronen werden über einen horizontalen Spiegel im Gravitationsfeld der Erde zu einem Detektor, der die ankommenden Neutronen zählt, geführt. Jedes Neutron wird an diesem Spiegel mindestens zweimal reflektiert. Ein zusätzlicher Absorber reduziert die Energie der Transversalkomponente um einen weiteren Faktor 100 000. Dabei dringen die Neutronen, die zu hoch hüpfen, in den Absorber ein und werden absorbiert, oder sie werden aus dem Experiment herausgestreut, ohne den Detektor zu erreichen.

Falls die Neutronen genügend Energie haben – für Hüpfhöhen oberhalb 50 Mikrometer über dem Spiegel -, kann nicht zwischen klassischer Beschreibung und Quantenmechanik unterschieden werden und die Messdaten folgen der klassischen Erwartung. Werden die Hüpfhöhen von oben durch einen Neutronenabsorber beschränkt, dann macht sich für die entsprechenden kleinen Neutronenergien das Quantenregime bemerkbar. Im Unterschied zu Licht zeigen Neutronen nun Eigenschaften, wie sie nur durch die Gravitation im Zusammenspiel mit der Quantenmechanik hervorgerufen werden können: Die Neutronen können nur ganz bestimmte Energiewerte annehmen.

Der Grund liegt in der Natur der Quantenmechanik. Wie anfangs erwähnt, sind in gebundenen Systemen nur ganz bestimmte Energiewerte erlaubt – dies gilt für Neutronen, die im Gravitationspotenzial gefangen sind genauso wie für Elektronen im Wasserstoffatom. Für den ersten erlaubten Zustand, den Grundzustand, sind es genau 1,4 pico-Elektronenvolt, für den nächsten Zustand dann 2,4 pico-Elektronenvolt. Diese Energiewerte entsprechen einer Steighöhe von 13 Mikrometer beziehungsweise 24 Mikrometer für Neutronen im Gravitationsfeld der Erde.

Über den Aufenthaltsort eines Neutrons lassen sich über seinen Quantenzustand Wahrscheinlichkeitsaussagen treffen. Die ersten drei Zustände sind in der Abbildung auf Seite 20 zu sehen und erläutern das Messprinzip: Zunächst einmal wird der Absorber ganz auf den Spiegel abgesenkt. Es können keine Neutronen den Detektor erreichen. Dann wird der Absorber langsam angehoben. Solange das Neutron den Absorber "spürt", was quantenmechanisch heißt, dass die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Neutrons am Absorber nicht Null ist, wird das Neutron weiterhin nicht den Detektor erreichen können, da es im Absorber durch eine Kerneinfangreaktion beseitigt wird. Die Zählrate ist weiterhin Null, abgesehen von einem kleinen Beitrag, der auf den Hallenuntergrund zurückzuführen ist.

Erreicht der Absorber eine Höhe von etwa 15 Mikrometer, können Neutronen, die sich im Grundzustand befinden, das System durchqueren und erreichen den Detektor, da der Absorber nun keinen Einfluss mehr hat. Diese Neutronen sorgen für einen ersten Anstieg der Zählrate im Detektor, was sich in einer Stufe bemerkbar macht.

Neutronen in höheren Zuständen werden weiterhin absorbiert. Das ändert sich erst wieder bei einer Absorberhöhe von circa 24 Mikrometer, bei welcher der zweite Neutronenzustand für den Detektor geöffnet wird und was sich in einer weiteren Stufe andeutet. Ab 35 Mikrometer können die Neutronen des nächsten Zustands den Detektor erreichen und nach und nach geht die quantenmechanische Messkurve in eine Messkurve der klassischen Physik über.

In dieser Hinsicht hat unser Versuch einige Ähnlichkeiten mit dem Franck-Hertz-Versuch, der vor vielen Jahren die Energie-Niveaus in Atomen nachwies. Sehr faszinierend ist, dass sich die Besetzungszahlen des Grundzustandes und des nächsten Zustandes durch den Einsatz zweier verschieden zueinander orientierter Neutronenspiegel beeinflussen lassen, beispielsweise konnte die Population des Grundzustandes um 80 Prozent reduziert werden.

Es ist das erste Mal, dass gravitativ gebundene Quantenzustände nachgewiesen werden. Das Experiment zeigt, dass unter bestimmten Bedingungen die Neutronen nicht der klassischen galileischen Erwartung folgen, wenn sie an einem Spiegel reflektiert werden. Ist nämlich der gewählte Energiebereich der Neutronen zu gering, können keine Neutronen transmittiert werden. Könnte man die Gravitation ausschalten, würde das Signal im Detektor völlig anders aussehen. Licht, das nicht der Erdanziehung unterworfen ist, wird ungestört transmittiert.

Die Gravitation ist wohl die alltäglichste Kraft, die wir kennen. Inzwischen bietet sie eine der größten Herausforderungen für die theoretische Physik, da es eine quantenmechanisch konsistente Theorie der Gravitation nicht gibt. Dazu kommt noch der große Unterschied in der Stärke zwischen der Gravitation und den anderen Kräften, der Kopfzerbrechen bereitet. Die elektrostatische Abstoßung zweier Elektronen beispielsweise ist 1042 Größenordnungen stärker als ihre Massenanziehung. Nichts erklärt die Schwäche der Gravitation, ein Rätsel, das unter dem Stichwort Hierarchieproblem bekannt ist.

"Große Vereinigungstheorien" versuchen, alle elementaren Kräfte der Natur auf ein gemeinsames Grundprinzip zurückzuführen, aus dem sich dann alle Eigenschaften der Kräfte herleiten lassen. Immerhin lassen sich die Kräfte im Rahmen einer Quantentheorie beschreiben, dem Standardmodell der Teilchenphysik, das bis heute sehr erfolgreich alle Phänomene aus der Teilchen-, Kern- und Astrophysik beschreibt. Leider konnte die Gravitation bisher nicht einbezogen werden. Die Superstringtheorie gilt hier als viel versprechender Ansatz. Für Experimentalphysiker recht entmutigend war bisher die Tatsache, dass die Planckskala – die Skala, auf der interessante String-Physik zu beobachten wäre – ungefähr 20 Zehnerpotenzen kleiner als der Neutronendurchmesser ist. Selbst der mit den höchsten Energien ausgestattete Large Hadron Collider (LHC) am C.E.R.N. wird letztendlich gerade noch Distanzen von einem Zehntausendstel des Neutrondurchmessers auflösen können.

Diese Komplikation der Stringtheorien ist darauf zurückzuführen, dass sie nur in einem höherdimensionalen geometrischen Raum möglich ist. Unser Universum scheint nun einmal aber nur vier Dimensionen zu haben: drei Raumdimensionen (auf/ab, links/rechts und vor und zurück) und eine Zeitdimension. Den Stringtheorien zufolge spüren wir normalerweise nichts von diesen Zusatz- oder Extradimensionen, da man annimmt, dass diese Zusatzdimensionen kompaktifiziert sind, das heißt, sie weisen die Topologie eines Kreises auf, in diesem Fall mit einem Radius von der Größenordnung der Planckskala.

Neuen Stringtheorien zufolge könnte die Kompaktifizierung einiger dieser Extradimensionen auf Längen stattfinden, die weit größer als die Plancklänge sind, und damit würde die Gravitation durch einen Geometrieeffekt schon weit oberhalb der Planckskala die Stärke der anderen Wechselwirkungen erreichen. Diese Stringtheorien umgehen dadurch das Hierarchieproblem.

Im Rahmen dieser Theorien werden sogar gravitationsähnliche, aber abstoßende, kurzreichweitige Kräfte erwartet, die, falls es sie gäbe und wenn sie auf unser massives Neutron einwirkten, milliarden- bis billionenfach stärker als die Gravitation wären. Wenn dies zuträfe und Kräfte in Zusatzdimensionen existierten, dann sollte man Abweichungen von Newtons Gravitationsgesetz bei kleinen Abständen finden. Abweichungen vom bekannten 1/r-Potenzial der Gravitation wären dann bis in den Millimeterbereich hinein erlaubt.

Erstaunlicherweise konnten bisher solch gewaltigen Extradimensionen experimentell nicht widerlegt werden. Hier setzt wiederum unser Experiment ein. Das Neutron wird von der Gesamtmasse unserer Erde angezogen. Die Kraft auf das Neutron ist Newton zufolge proportional zum Quadrat des Abstandes zum Erdmittelpunkt, was zur bekannten Erdbeschleunigung g = 9,81 m/s2 führt. Wenn das Neutron sich jetzt dem Spiegel nähert, könnte nur die Masse des Spiegels die Erdbeschleunigung modifizieren, falls es die oben geschilderten starken Abweichungen vom Newton-Potenzial bei kleinen Abständen unterhalb eines Millimeters gäbe.

Die hypothetischen Zusatzbeiträge lassen sich auch einfach berechnen, da im Wesentlichen nur die Dichte des Spiegels, die Reichweite und die Stärke der Zusatzkraft von Bedeutung sind. Für Abstände größer als 50 ?m haben wir volle Übereinstimmung mit der klassischen Erwartung und wir können in diesem Bereich Abweichungen vom Newton'schen Gesetz durch Extradimensionen ausschließen. Unsere Aussagekraft ist in diesem Bereich nicht besondern gut, und inzwischen sind bessere Grenzen von Torsionspendelexperimenten, wie sie etwa von der Universität Washington in Seattle durchgeführt werden, bekannt. Im Bereich unterhalb 50 Mikrometer haben wir in unserem Experiment allerdings Abweichungen von der klassischen Erwartung beobachtet. Wir führen sie aber nicht auf eine Abweichung von Newton-Potenzial zurück, sondern auf die beschriebenen Quantenzustände im Gravitationsfeld der Erde und auf der Grundlage des Newton'schen Gravitationsgesetzes.

Dennoch können wir in diesem Bereich die Vorhersagen von Superstringtheorien überprüfen. Bei solch kleinen Abständen wurde bisher das Gravitationsgesetz noch nicht überprüft. Unser Experiment findet keine Abweichungen vom Newton'schen Kraftgesetz und es kann inzwischen die hypothetischen Billionenfach stärker abstoßenden Kräfte bei kleinen Abständen bis hinunter zu einem Mikrometer ausschließen.

Zusammenfassend zeigt das Experiment, dass Neutronen unter bestimmten Bedingungen nicht der klassischen Newton'schen oder Galilei'schen Erwartung folgen, jedenfalls nicht, wenn man ihre Reflektion an einem Spiegel ermöglicht. Die Messungen zeigen zum ersten Mal die erwarteten Quantenzustände im Gravitationsfeld der Erde. Damit ist die Quantenmechanik der Gravitation näher gekommen. Die Beobachtung einer Quantengravitation ist damit nicht verbunden, aber es können Theorien, die Abweichungen vom Newton-Potenzial vorhersagen, mit engeren Grenzen bei Reichweiten zwischen ein und zehn Mikrometer eingeschränkt werden.

Insbesondere beschränkt das Experiment Superstringtheorien, die mit Hilfe von Zusatzdimensionen eine Lösung des Hierarchieproblems suchen in einem Bereich, in dem noch keine Grenzen bekannt waren.

Autor:
Priv.-Doz. Dr. Hartmut Abele,
Physikalisches Institut,
Philosophenweg 12, 69120 Heidelberg,
Telefon (0 62 21) 54 92 14, Fax (0 62 21) 47 57 33,
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