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Ausgezeichnete Doktorarbeiten

Die Preisträger des Ruprecht-Karls-Preises, des Fritz-Grunebaum-Preises und des Umweltpreises der Viktor und Sigrid Dulger-Stiftung im Jahr 2008

von Paul Kirchhof

Für den Ruprecht-Karls-Preis der Universität Heidelberg werden unter den besten, von den Fakultäten vorgeschlagenen Dissertationen die allerbesten ausgewählten. Die Preisträger des Jahres 2008 haben sich elementaren Anliegen des Menschen – jeder in der Perspektive seines Fachs – gewidmet.

Die theologische Arbeit von Dr. Christoph Koch beschäftigt sich mit der für unsere Kulturgeschichte grundlegenden Frage, inwieweit Religion und Recht sich wechselseitig anregen und stützen. Sein Doktorvater ist Professor Dr. Jan Christian Gertz.

Dem Alten Testament liege die Vorstellung zugrunde, dass Gott einen Bund mit dem Herrscher, der Herrscher sodann einen Bund mit dem Volke schließe. Diese These von einem Bund, einem Vertrag, einem Treueid zwischen Gott und dem Herrscher bietet einerseits ein Instrument, um die rechte Religion mit Mitteln der Staatsgewalt durchzusetzen, schafft andererseits eine Vorstellung von Herrschaft und Gehorsam, die den jeweiligen Herrscher deutlich stärkt, seine Macht über seine Untertanen, aber auch über abhängige Vasallenkönige begründet und vertieft.

Allerdings reicht die Vorstellung dieses Bundes weit über machttheoretische Anliegen hinaus. Auch den modernen demokratischen Staat erklären wir vielfach mit einem Vertrag, den die freien Menschen mit dem Staat geschlossen haben, in dem sich der Staat zur Sicherung von Frieden und Existenz des Einzelnen verpflichtet, der freie Bürger dafür ein Stück seiner natürlichen Freiheiten zurücknimmt.

Christoph Koch belegt nun, dass die alttestament­liche Vorstellung von Vertrag und Bund wesentlich auf einer Rezeption assyrischen Vertragsrechts be­-ruht und dass diese Vorstellungen letztlich die moderne Debatte über Demokratie, den Verfassungsge­danken, das Widerstandsrecht veranlasst und angeregt haben.

Die Gelehrsamkeit seines Buches zeigt sich insbesondere in den eigenständigen Übersetzungen aus mehreren antiken Sprachen, insbesondere des aramäischen und des arkadischen, der eingehenden Untersuchung des keilinschriftlichen Quellenmaterials sowie der dogmatischen Kraft, diese Jahrtausende alten Texte in der Perspektive unseres modernen Religions- und Staatsverständnisses zu deuten.

Dr. Ralph Schilha widmet sich dem Recht verletzenden Tatbestand der Untreue. Sein Doktorvater ist Prof. Dr. Thomas Hillenkamp.

Die Krise der Finanzmärkte und die überhöhten Einkommen von Vorstandsmitgliedern und Kapitalgebern veranlassen gegenwärtig eine lebhafte Debatte, ob die Aufsichtsräte der Kapitalgesellschaften ihrer Aufsichtsverantwortung hinreichend gerecht werden und ob sie sich strafrechtlich der Untreue schuldig machen. Maßstäbe weltoffenen Wirtschaftens sind jedenfalls mit der sittenbildenden Kraft des Strafrechts bisher nicht gefunden worden. Mancher wegen Untreue verurteilter Repräsentant des Wirtschaftslebens fühlt sich als Opfer von Missgunst und allgemeiner Enttäuschung über die Wirtschaftsentwicklung. Andere rügen, dass die Strafverfahren nach dem „Millionärsparagraphen“ des § 153a StPO eingestellt, die Reichen damit weniger als die Armen ihrer verdienten Strafe zugeführt würden.

Ralph Schilha fügt nun dieser aufgeregten Diskussion nicht einen weiteren rechtspolitischen Akzent hinzu, sondern schreibt ein „Pflichtenheft der Aufsichtsratsmitglieder“, in dem sachlich und gelassen den Mandatsträgern und ihren Rechtsberatern gesagt wird, was die geltende Rechtsordnung von ihnen verlangt. Dabei wird insbesondere auch die Strafbarkeit einer Untätigkeit, des Unterlassens hinreichender Überwachung dargestellt.

Der Verfasser entwickelt dabei insbesondere die einsichtige These, dass ein Verhalten, das nach Gesellschaftsrecht erlaubt ist, nicht strafbar sein kann, während ein nach Gesellschaftsrecht nicht erlaubtes, pflichtwidriges Verhalten umgekehrt nicht notwendig Strafen zur Folge haben muss. Diese Auffassung scheint selbstverständlich, wird aber bisher vom Bundesgerichtshof – insbesondere in der Entscheidung des dritten Senats im Mannesmann-Prozess – nicht geteilt. Die in den Einzelfolgerungen prägnante, die Wirklichkeit der Aufsichtsratstätigkeit erfassende Arbeit ist insoweit mutig, praktisch ertragreich und hoch aktuell.

Dr. Susan Richter behandelt in ihrer von Prof. Dr. Eike Wolgast betreuten Dissertation die Fürstentestamente der Frühen Neuzeit.

Dabei geht es weniger um ein Testament im modernen Sinne, das die Vermögensnachfolge des Erben nach dem Tode des Erblassers regelt. Gegenstand der Dissertation sind Testamente deutscher Fürsten, in denen diese den Thronfolger nach ihrem Ableben auf ein bestimmtes Herrschaftsverständnis und eine kontinuier­liche Politik verpflichten wollen. Wir kennen solche Testamente etwa von dem ersten und zweiten politischen Testaments Friedrichs des Großen, in dem er uns unter anderem die noch heute beherzigenswerte Maxime vermittelt, dass der Staat niemals mehr als die Hälfte des individuellen Einkommens steuerlich für sich fordern dürfe.

Susan Richter erschließt uns rund 150 bisher noch unveröffentlichte Testamente aus der Zeit von etwa 1530 bis zum Ende des Alten Reiches. Diese Verfügungen von Todes wegen sollten den Thronfolger vor allem in dem traditionellen Rollenverständnis als Amtmann Gottes, Vater des Landes und seiner Bewohner, seit dem 18. Jahrhundert auch als Staatswirt binden, ihn auf die Konfession des Erblassers einschwören, ihn oft auch – selbst für die lutherischen Stände – auf den Kaiser als Garanten von Frieden und als Vor­kämpfer insbesondere bei der Türkenabwehr ver­pflichten. Beachtlich ist auch, dass diese Testamente regelmäßig darauf verzichten, Heiratsanweisungen zu erteilen.

Die Arbeit zeigt uns auch die politische Bedeutung der Testamentseröffnung, in welcher der Erbprinz oft eine Doppelrolle übernahm: Er war seit dem Tod des Testators bereits regierender Fürst, begegnet aber in der Testamentseröffnung noch einmal dem Verstorbenen, dem er sich durch Handtreue oder Eid zur Befolgung seines letzten Willens verpflichtet. Dieser Pflichtenstatus ist nicht selten auch vermieden worden, indem das Testament unterschlagen oder nicht eröffnet worden ist, oder indem der Erbe die Entgegennahme des Testamentes verweigerte.

So erfahren wir, dass die Hoffnung fast aller Eltern, ihren Kindern ihre Idee von Weltsicht, Familie, Religion und Recht, von Wirtschaftlichkeit und Anstand zu vermitteln, eine Frage der Erziehung und später der menschlichen Begegnung, nicht aber von Recht und Testament sein kann. Auch hier fühlen wir uns nach der Lektüre dieser Dissertation wissenschaftlich und menschlich klüger.

Dr. Nixon M. Abraham untersucht in seiner Arbeit, wie lange das Riechsystem braucht, um zwei unterschiedliche Duftstoffe in einem Gemisch zu erkennen. Sein Doktorvater ist Prof. Dr. Stephan Frings.

Aus Erfahrung glaubt wohl jeder von uns zu wissen, welche Sinneserlebnisse am schnellsten zu einer Wahrnehmung führen und in welcher Reihung das geschieht: Das Sehen veranlasst die schnelle Wahrnehmung, das Hören steht an zweiter und das Riechen an dritter Stelle. Nixon Abraham weist nun aber in einem neuartigen verhaltensphysiologischen Testverfahren nach, dass die herkömmliche Auffassung, das Riechen sei eine eher langsame Sinnesleistung, unrichtig ist. Das Riechen erlaubt ebenso schnell Unterscheidungen wie das Sehen und das Hören.

Anhand anspruchsvoller Verhaltenstests an Mäusen zeigt er, dass die Riechsinneszellen ihre Information in ähnlicher Geschwindigkeit an die erste Umschaltstelle im Gehirn, den bulbus olfactorius (herkömmlich: „Riechkolben“ genannt), übermitteln wie in anderen Sinnessystemen. Dabei untersucht Abraham Nixon im Einzelnen auch die Rolle dieses ersten Verarbeiters der Riechinformation für die Geruchsentscheidung. Die Arbeit wird von den Gutachtern als „zukünftiger Klassiker in der Literatur zur Riechforschung“ bezeichnet und ist an prominenten Stellen veröffentlicht worden.

Dr. Kai Michelsen beschäftigt sich in seiner biowissenschaftlichen, von Prof. Dr. Felix Wieland betreuten Dissertation mit Sortierungssignalen, die beim Transport von Membranproteinen zur Zelloberfläche eine wichtige Rolle spielen.

Diese Signale übernehmen die Aufgabe, die heute bei der Post die Postleitzahlen erfüllen: Wenn ein Brief mit einer Postleitzahl versehen ist, ist geklärt, dass dieser Brief transportiert werden soll, und wohin er zu befördern ist. In ähnlicher Weise – das zeigt Kai Michelsen mit dem Modellorganismus Bäckerhefe – wirken die Arginin-Signale für die „Logistik“ innerhalb einer Zelle.

Die Arbeit klärt molekulare Mechanismen auf, die den Transport von Proteinen in der Zelle bestimmen. Diese Ergebnisse sind für die biomedizinische Forschung erheblich, weil die über diese Signale transportierten Moleküle eine große physiologische Bedeutung haben. Sie zeigen, wie man wichtige Medikamente transportieren und an den Ort ihrer Wirksamkeit bringen kann, beispielsweise Sulfonyl-Harnstoffe zur Behandlung von Altersdiabetes.

Den diesjährigen Fritz-Grunebaum-Preis erhält Dr. Olaf Weber für seine Arbeit über die justizielle Ausgestaltung der Streitbeilegung in der Welthandelsorganisation, die er mit den gerichtsförmigen Verfahren innerhalb der Europäischen Union vergleicht. Sein Doktorvater ist Prof. Dr. Peter-Christian Müller-Graff.

Im Jahr 1994 hat die WTO ein neues Streitbeilegungssystem für grenzüberschreitende wirtschaftsbe­zogene Sachverhalte entwickelt. Das dort begründete Streitbeilegungsgremium unterscheidet sich von der Europäischen Union dadurch grundlegend, dass ihm kein rechtssetzendes Gegengewicht gegenübersteht, auch ein die WTO-Interessen wahrendes Organ wie in der Europäischen Union der Rat fehlt. So gewinnen die Vertragsstaaten eine starke Stellung, und das Bedürfnis nach richterlicher Unabhängigkeit, rechtlichem Gehör, einem gerichtsähnlichen Verfahren wächst.

Die kenntnis- und gedankenreiche Arbeit von Olaf Weber bietet dem Rechtssuchenden gediegene Informationen über die Streitbeilegung in der WTO, dem Dogmatiker ein System von Institutionen und Verfahren, die entwicklungsleitend den weiteren Weg der WTO begleiten können, dem Rechtspolitiker eine fundierte Kritik an dem nicht hinreichenden gerichtlichen Charakter der WTO-Institutionen und -Verfahren.

Dabei konzentrieren sich die vorgetragenen Reformvorschläge insbesondere auf einen verbesserten Individualrechtsschutz, der gegenwärtig mehr als eine bloße Schiedsgerichtsbarkeit, aber auch deutlich weniger als eine echte Gerichtsbarkeit, wie wir sie vom EuGH her kennen, bietet.

Den Umweltpreis der Viktor und Sigrid Dulger-Stiftung wird Dr. Grischa Perino für eine von Prof. Dr. Timo Goeschl betreute Arbeit zugesprochen, die sich den ökonomischen und ökologischen Konsequenzen von neuen Technologien zuwendet.

Heute werden Gefrierschränke entwickelt, die FCKW-frei sind, aber mit Kühlmitteln arbeiten, die in erheblich größerem Umfang zum Treibhauseffekt beitragen. Heute kennen wir einen Biotreibstoff, der die Umweltschäden von Benzin und Diesel vermeidet, in seinen landwirtschaftlichen Produktionsmethoden und der Verwendung von Nahrungsmitteln aber höhere Schäden verursacht. Grischa Perino stellt fest, dass technologischer Fortschritt Umweltprobleme in modernen Industriegesellschaften schafft, neue Technologie weniger Umweltbelastungen verursachen als alte oder aber Umweltbelastungen gänzlich vermeiden. Er macht aber auch bewusst, dass der Zeitpunkt einer neuen Technologie – die Berücksichtigung der zusammengeballten Schadstoffe und Investitionen – wesentlich zur Umweltverträglichkeit von Forschung und Entwicklung beiträgt.

Sodann vergleicht Grischa Perino die unterschiedlichen Methoden des Staates, durch Genehmigungen, Umweltsteuern, handelbare Emissionszertifikate, auch durch Auflagen und Patentpolitik Umweltverhalten zu steuern. Vielfach seien Selbstverpflichtungen der beteiligten Akteure wirksamer als staatliche verbind­-liche Vorgaben. Diese Arbeit leistet einen wesent­-lichen Beitrag für eine abgestimmte, ausgleichende Entwicklung von Umweltschutz und Forschungsentwicklung.

Die preisgekrönten Doktoranden des Jahres 2008
Die preisgekrönten Doktoranden des Jahres 2008, von links nach rechts: Christoph Koch, Ralph Schilha, Grischa Perino, Nixon M. Abraham, Olaf Weber, Kai Michelsen, Susan Richter. Rechts im Bild: Rektor Bernhard Eitel und Bernhard Schreier, Vorsitzender der Stiftung Universität Heidelberg; im Hintergrund links: Paul Kirchhof, Vorsitzender der Preis-Jury.

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 03.06.2009
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