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Prof. Helmut Digel bei der Heidelberger Ringvorlesung zum Doping

. Dezember
Digels zehn Thesen zur Dopingproblematik: Der Sport muss versuchen, besser zu sein als die Gesellschaft. Es gibt keine Alternative als konsequent die eigenen Regeln zu beachten – Nächste Vorlesung: Dr. Heiko Striege, Universität Tübingen/Olympiastützpunkt Stuttgart: Doping im Breiten- und Freizeitsport – 19.6., 16.00 Uhr
Mit Prof. Dr. Helmut Digel sprach einer der profiliertesten Bearbeiter der Dopingproblematik bei der Heidelberger Ringvorlesung. Als Kenner der nationalen und internationalen Szene wies er darauf hin, dass trotz aller Bekämpfungsmaßnahmen der Betrug durch Doping im Lauf der Zeit zugenommen hat. In Resignation zu verfallen, wäre aber grundlegend falsch, vor allem auch zum Schutz von Jugendlichen. Mit dem Thema "Fairplay als Prinzip – warum Doping niemals erlaubt sein darf" sprach Digel ein Kernproblem des Wettkampfssports an und erläuterte seine Position mit Hilfe von 10 Thesen.

1. Doping ist ein Grauzonen-Phänomen: Die Geschichte des Hochleistungssports war immer eine Geschichte grandioser Leistungen, zugleich aber auch eine Geschichte des Betrugs (und der Bestechung). Dass heute fast jede große Leistung verdächtig wird, ist ein großes Problem für saubere Athleten. Die Grauzone aufzuhellen, was zum Schutz der sauberen Athleten notwendig wäre, ist kaum möglich, denn Doping findet in geschlossenen Gesellschaften statt, in der Obhut von kriminellen Wissenschaftlern, Ärzten, Funktionären und Trainern; exaktes Wissen fehlt weitgehend, womit das wirkliche Ausmaß von Doping zwar erahnt werden kann, aber nicht gerichtsfest nachweisbar ist. Für jüngere Sportnationen, die wie Singapur, Malaysia u.a.m. Sport erst als  Kolonialexport kennen gelernt haben, war Leistungssport von Anfang an ein dopinginfizierter Sport. Von daher haben in solchen Staaten die meisten kein Problembewusstsein für die Notwendigkeit der Dopingbekämpfung.

2. Ohne staatliche Unterstützung ist der Kampf gegen Doping relativ chancenlos: Ohne diese bleibt der Sport hilflos, da er über notwendige investigative Möglichkeiten nicht verfügt. Skandalaufdeckungen und -bearbeitungen wie beim Festinaskandal 1998 (Polizei), beim Balco-Skandal (Staatsanwaltschaft) oder bei den Olympischen Winterspielen in Turin 2006 (Polizei) sind mit den Mitteln des Sports nicht zu stemmen; ähnliche Erfolge der Dopingbekämpfung fehlen in Deutschland. Deshalb kommt bei Athleten an: Betrug lohnt sich, der saubere Athlet ist benachteiligt.

3. Spitzenleistungen stehen unter Generalverdacht: Wenn z.B. von einem internationalen 100m-Endlauf jeder Läufer von allen anderen behauptet, diese seien gedopt, ist das System auf dem Weg zur Selbstzerstörung. Ein Generalverdacht liegt verständlicherweise nahe, da jede der im Spitzensport notwendigen Fähigkeiten (Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit) medikamentös beeinflusst werden kann. Als Konsequenz fordern nicht wenige die Freigabe des Dopings; dabei wird immer wieder auf das schnell zunehmende Alltagsdoping in der Gesellschaft verwiesen, mit der Argumentation: Wir leben in Medikamentengesellschaft, in der Leistungsmanipulation Alltag ist. Bei einer Freigabe könnten Zuschauer dann selbst entscheiden, ob sie einen solchen Sport (sehen) wollen. Solche Argumente für eine Freigabe haben eine fatale Wirkung, zumal der Generalverdacht dadurch noch verschärft wird.

4. Plädoyers für eine Freigabe sind nicht gut begründet: Warum soll das Dopingverbot bestehen bleiben und nicht die einfachere Lösung der Freigabe gewählt werden? Zunächst wählte Digel den Weg der Begriffsklärung: Doping ist eine besondere Form des Medikamentenmissbrauchs, die es nur in der Welt des Leistungssports gibt. Im Alltag gibt es weit vielfältigere Formen des Medikamentenmissbrauchs, für die es im Gegensatz zum Leistungssport keine schriftlichen Regeln gibt. Die Regeln des Leistungssports sind klar definiert: Es geht um Fairplay, Unversehrtheit der Athleten und Chancengleichheit, d.h. um die Idee des modernen Sports. Wer dopt, stellt sich außerhalb dieser Regelgemeinschaft.

Wer sich für die Freigabe ausspricht, denkt selten darüber nach, was die Folgen einer Freigabe wären. Zwar würde im optimalen Fall Chancengleichheit zwischen Dopern hergestellt, die zudem durch gegen ihre Berufsethik verstoßende Ärzte medizinisch begleitet werden könnten. Im ungünstigen Fall sucht jeder Athlet weiterhin nach dem wirksamsten Medikament, es käme zu einem Leistungsvergleich der Pharmaindustrie, wobei gefährliche Nebenwirkungen billigend in Kauf genommen würden. Der Leistungssport würde noch mehr zu einer Monsterschau – für manche Zuschauer dann natürlich erst richtig interessant. Selbstmord ist nach unserer Verfassung nicht verboten. Wann immer der Tod lauert oder etwas Spektakuläres sich ereignen könnte, wächst das Interesse.
 
5. Doping ist eine Bedrohung von Menschlichkeit und erzieherischen Werten: Befürworter der Dopingfreigabe sollten sich fragen, ob sie selbst einen solchen Medikamentensport betreiben oder ihren Kindern empfehlen würden. Mit den Dopingverbotsregeln werden zwar wesentliche Rechte der Athleten eingeschränkt; ihr Privatleben  wird öffentlich, Körperverletzung in Form von Blutproben oder Verletzung der Intimsphäre durch beobachtetes Urinieren wird zur Normalität, was ein erhebliches ethisches Dilemma mit sich bringt. Zugunsten eines Erfolg versprechenden Kampfs gegen Doping werden solche komplexen Fragen gar nicht mehr gestellt. Aber schlechte Argumente werden auch durch Wiederholung nicht zu guten Argumenten. Ohne Doping wären solche Einschränkungen der individuellen Freiheitsrechte gar nicht nötig.

6. Der Sport steuert sich über seine eigenen Regeln: Wettkampfsport produziert menschliche Leistung pur – nur Leistungen zählen, die auf der Grundlage der Regeln erzielt wurden; das macht ihn interessant und pädagogisch wertvoll. Da sehr viele vom Betrug profitieren, ist es nicht leicht, überzeugend dafür zu plädieren, dass sich die Einhaltung der Regeln lohnt. Sport sei nicht besser als die Gesellschaft – eine solche Argumentation sieht Digel als dumm und fahrlässig an. Der Weg von dieser Argumentation hin zu einer Freigabe des Dopings wäre nicht weit; nach Digel wird er von Funktionären ohne Erfahrung des Eigenweltcharakters des Sports propagiert. Diese Argumentation bringt eine schleichende Transformation und Zerstörung des Sports mit sich. Will der Sport sich selbst erhalten, muss er sich seiner eigenen Grundlagen versichern.

7. Das Prinzip des Fairplay hat weiterhin Gültigkeit: Wenn diese Grundorientierung des Sports, dass er besser sein soll als die Gesellschaft, keine Übereinstimmung mehr finden würde, dann würde die Grundlage für die Vermittlung von Sportarten im Schulsport weg brechen, dann wäre z.B. Rückenschule, Sporttherapie als Inhalte angebrachter. Sport ist der einzige Teilbereich der Gesellschaft, der sich solche schriftlichen Regeln gegeben hat, ein schriftliches Bezugssystem, auf das sich jeder berufen kann und auf das sich jeder verpflichtet, der den Weg in den Leistungssport geht. Der regelgeleitete Sport ist durch seine Regeln einzigartig.

8. Der heutige Sport ist in Gefahr, sein konstitutives Element zu verlieren: Die Regeln verweisen darauf, dass es im Sport eine Mitgliedschaftsbedingung gibt, die die Moral im Sport sichern soll. Jeder Teilnehmer muss sich darauf verlassen können, dass alle die Regeln genauso einhalten wie er/sie selbst. Neben den Regeln gibt es noch Prinzipien:
– Konkurrenzprinzip
– Fairplay als leitende Norm
– Unversehrtheit des Athleten

Ein Hochleistungssport, der auf gesundheitliche Gefährdung angelegt wäre, hat keine Berechtigung mehr und schon gar nicht einen Anspruch auf staatliche Förderung. Nach dem Soziologen Luhmann soll der Unterschied zwischen Siegen und Verlieren sportliche Ursachen haben und nicht Doping.

9. Sportfunktionäre benötigen ein fundiertes Regelbewusstsein, auch zu Dopingregeln: Verantwortliche im Sport müssen über die Potentiale des Sports, aber auch über dessen Gefahren Bescheid wissen. Wer Verfehlungen im Sport mit dem Hinweis auf Verfehlungen in der Gesellschaft zu banalisieren versucht, weist damit nach, dass er über den Sport nicht ausreichend Bescheid weiß, er ist damit als Funktionär, Trainer, Arzt im organisierten Sport nicht geeignet. Viele Ehrenamtliche, vor allem auf höherem Leistungsniveau, machen sich nicht klar, dass der Sport ein Modell für eine bessere Gesellschaft sein muss.

10. Das Dopingproblem kann nicht gelöst, aber bewältigt werden: Hochleistungssport ohne Betrug hat es noch nie gegeben. Wo es Regeln gibt, gibt es auch die Versuchung, gegen diese zu verstoßen und sich dadurch einen illegitimen Vorteil zu verschaffen. Nur starke Persönlichkeiten können einer solchen Versuchung widerstehen. Die 10 Gebote der Christen werden nicht dadurch unsinnig, dass es Menschen gibt, die dagegen verstoßen. Das Gleiche gilt für Verkehrsregeln. Der Sport hat ein Medikamenten-, aber auch ein Drogenproblem. Der Sport ist eine Sondergesellschaft innerhalb der Gesellschaft, ein künstliches Gebilde. Und hier gibt es keine andere Alternative, als konsequent die eigenen Regeln zu beachten und einzuhalten. Fairplay ist das Prinzip, das menschliches Leisten im Sport kontrolliert ermöglichen soll.

Die recht lebhafte Diskussion gab Digel die Möglichkeit, manche Punkte seines Beitrags noch weitergehend zu klären, aber auch den Zuhörern Einblicke in die Praxis seines Ehrenamts als internationaler Funktionär zu gewähren, wo Gremien oft keinerlei Verständnis für die Notwendigkeit des Kamps gegen Doping aufbringen. Wer sich darüber beklagt, solle  sich darüber klar werden, dass in einem Land, wo Ingenieure Medaillen produzieren (Materialentwicklungsstelle in Berlin, z.B. im Bob- und Schlittensport), wo die Sportmedizin hoch entwickelt ist und manchmal sich ebenfalls primär der Produktion von Medaillen verpflichtet fühlt, mit so vielen hoch entwickelten Sportanlagen und einer um fangreichen Sportwissenschaft es eigentlich keinen Grund zur Klage über andere, weniger gut gestellte Länder mit fehlendem Problembewusstsein zur Dopingproblematik gibt. Dopingabrüstung im eigenen Land erst dann, wenn andere Länder damit anfangen?

Nächste Vorlesung: Dr. Heiko Striegel (Universität Tübingen/Olympiastützpunkt Stuttgart): Doping im Breiten- und Freizeitsport. Donnerstag, 19.6., 16.00 Uhr

Wegen einer dringenden Verpflichtung in Berlin steht der Generalsekretär des DOSB, Michael Vesper, am 26.6. nicht zur Verfügung. An diesem Termin wird Prof. Dr. Gerhard Treutlein zum Thema "Prävention – Königsweg der Dopingbekämpfung?" sprechen.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Gerhard Treutlein
Tel. 06221 477607 oder 0172-9334838
treutlein@ph-heidelberg.de

Allgemeine Rückfragen von Journalisten auch an:
Dr. Michael Schwarz, Pressesprecher der Universität Heidelberg
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de

Irene Thewalt
presse@rektorat.uni-heidelberg.de

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