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Faszination der Fremde

5. Juni 2008

Der Assyriologe Markus Hilgert präsentierte seine Übersetzung der „Klage über den Untergang Sumers“


Wissenschaft bedeutet, sich manchmal auch nicht festzulegen. Wo uns heute schriftliche Überlieferungen fehlen, Fakten und Daten nicht eindeutig auszumachen sind, bleiben nur vorsichtige Mutmaßungen, ein Quäntchen Unzufriedenheit immer mit eingeschlossen. Davon kann gerade Prof. Markus Hilgert, der seit 2007 Professor für Assyriologie mit dem Schwerpunkt Sumerologie an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg ist, ein Lied singen. Aber die Faszination des Fremden und Andersartigen lässt ihn wohl sein Leid gerne ertragen.

Jetzt stellte er mit viel Leidenschaft für das Fach seine deutsche Übersetzung der „Klage über den Untergang Sumers“ im Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg vor. Die Übersetzung wurde von Xenia Linke vorgetragen, während Hilgert die politischen, sozialen und kulturellen Hintergründe zu dem überlieferten Text schilderte. Unterstützt wurde die Veranstaltung auch vom Forum der Freunde des ägyptologischen Instituts der Universität Heidelberg und fand in diesem Rahmen bereits zum fünften Mal statt.

„Die Klage über den Untergang Sumers“ erzählt eine ganz konkrete Geschichte, nämlich die der Zerstörung des ganzen Landes Sumer und auch von Ur, einer seiner ältesten Städte, heimgesucht von Naturkatastrophen und Göttern. Aber sie wirft gleichzeitig ganz universale Fragen auf: Wie bewältigt ein Volk politische Krisen, soziale Ungerechtigkeit, Kultur- und Wertewandel? Das in sumerischer Sprache verfasste Werk ist als literarische Reflexion und Verarbeitung dieser Grundstimmung des Zweitstromlandes – der Sehnsucht nach dem unwiederbringlich Verlorenen, dem gleichzeitigen Wissen um die Vergänglichkeit allen Seins – zu verstehen und zählte um 2000 v. Chr. zum Bildungskanon in Mesopotamien.

Das Klagelied ist in der sumerischen Bilderschrift, der so genannten Keilschrift, verfasst – sie ist die älteste schriftlich dokumentierte Sprache der Welt. Diese wurde üblicherweise mit einem Griffel auf Tontafeln geschrieben. Die Ausbildung zum Keilschriftkundigen war schon zu dieser Zeit nicht ganz so einfach – und heute solle man nur mal die Studierenden der Assyriologie fragen, betonte Hilgert. Von diesen wird nämlich verlangt, das komplexe Schriftsystem zu erlernen. Man kennt keine Sprache, die auch nur ansatzweise mit dem Sumerischen genetisch verwandt ist. Doch schon damals bot die Sprache einen Zugang zum Wissen und damit auch: zur Macht.

Den Verfasser der „Klage über den Untergang Sumers“ kennt man nicht. Der Text wurde lange Zeit wohl primär mündlich überliefert und erst später von verschiedenen Gelehrten oder Schülern aus dem Gedächtnis niedergeschrieben. Möglich, meint Hilgert, dass das Klagelied damals so berühmt war wie heute Schillers „Räuber“ oder Thomas Manns „Zauberberg“. Aber wie viel Einfluss der Text tatsächlich auf seine Zeit hatte, wird man vielleicht nie erfahren.

Die Übersetzung eines solchen Textes ist ohne Zweifel eine Herausforderung, die ihresgleichen sucht. Aufgrund der räumlichen wie zeitlichen Distanz lässt sich eine gewisse Fremdheit nie ganz überwinden. Auf diese Fremdheit muss man sich allerdings einlassen. Belohnt wird man mit der Erkenntnis der sprachlichen und gedanklichen Schönheit des Textes. Zumindest das Publikum durfte dies erfahren, als Xenia Linke mit der Lesung begann. Zwar brauchte man einige Zeit, bis man sich im Fluss der Geschichte zurechtgefunden hatte. Doch Hilgert behielt Recht: Man hatte am Ende fast vergessen, dass womöglich nur ein kleiner Junge diesen Text mit einem Griffel auf Ton geschrieben hat.

Von Eileen Blädel
© Rhein-Neckar-Zeitung


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