Siegel der Universität Heidelberg
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Der dunklen Materie auf der Spur

14. Mai 2008

"Hier könnte ein Durchbruch bevorstehen" – Dekan Matthias Bartelmann über die Fakultät für Physik und Astronomie – Interviewserie zum Exzellenzstatus der Ruperto Carola

Das nachfolgende Gespräch mit Prof. Matthias Bartelmann, dem Dekan der Fakultät für Physik und Astronomie, setzt die Interviewserie zur Ruperto Carola in den Zeiten der Exzellenz fort. In der Forschung liegt die Fakultät in der europäischen Spitzengruppe.

Herr Prof. Bartelmann, die Fakultät für Physik und Astronomie war schon in der ersten Runde der Exzellenzinitiative mit der Graduiertenschule "Fundamental Physics" erfolgreich. Wie entwickelt sich diese Graduiertenschule?

Sie ist seit November 2006 auf einem sehr guten Weg. Derzeit schließen wir die Besetzung einer zweiten neuen Professur ab. Bereits eingestellt wurden vier Nachwuchsgruppenleiter, die sowohl an der Doktoranden- als auch an der Grundausbildung mitarbeiten. Die Graduiertenschule etabliert sich als neue produktive Struktur unserer Fakultät. Sie zählt inzwischen etwa hundert Doktoranden, Tendenz steigend. Auch das Zukunftskonzept der Universität enthält eine erhebliche Unterstützung unserer Fakultät, die einen andauernden Generationenwechsel bewältigen muss. Mit diesen Mitteln können wir die zu besetzenden Professuren viel besser ausstatten.

In welchem Verhältnis stehen Physik und Astronomie in Ihrer Fakultät?

Die Heidelberger Astronomie hat seit 2003 personell wie wissenschaftlich einen rasanten Wechsel durchlaufen, vor allem infolge des Generationenwechsels. Die Fakultät hat 35 Professoren, darunter sind jetzt sieben Astronomen. In dieser Hinsicht macht die Astronomie etwa 20 Prozent aus – zugleich ist sie allerdings ein Zugpferd und ein thematischer Schwerpunkt der Fakultät. Viele unserer Studienanfänger kommen auch wegen dieses Angebotes.

Hier spielt auch das neue Zentrum für Astronomie (ZAH) eine wichtige Rolle.

Das Zentrum für Astronomie wurde gebildet aus dem Institut für Theoretische Astrophysik, dem Astronomischen Rechen-Institut und der Landessternwarte auf dem Königstuhl. Seit 2005 bündelt dieses Zentrum die Universitätsastronomie. In der Fakultät sehen wir sie als festen Bestandteil der Heidelberger Physik an: Beide Bereiche gehen ineinander über. Auch haben wir enge Beziehungen zu den Heidelberger Max-Planck-Instituten für Kernphysik und für Astronomie. Die dortigen Direktoren etwa sind zugleich Mitglieder unserer Fakultät.

Welche Schwerpunkte gibt es in der Heidelberger Physik?

Dazu zählen die Untersuchung von fundamentalen Teilchen und Wechselwirkungen, die Untersuchung komplexer Quantensysteme, Kosmologie und Astronomie, sodann die in Heidelberg entstandene Umweltphysik. Hinzu kommen Technische Informatik sowie Biophysik. Es läuft gerade die Neuberufung eines Kollegen, der sich mit biophysikalischen Themen beschäftigt und eine Brücke zu den Lebenswissenschaften schlagen wird.

Welche physikalischen Projekte sind besonders wichtig?

Der Large Hadron Collider (LHC) am CERN bei Genf, der Ende 2008 in Betrieb gehen soll, spielt in unserer Experimentalphysik eine sehr große Rolle. Einige Heidelberger Wissenschaftler sind dort leitend an Projekten beteiligt. Erforscht werden soll, wie Hadronen, also z.B. Kernteilchen, zusammengesetzt sind und wie sich die Physik auf Skalen, die wir noch nicht kennen – weil sie uns durch die bisherigen Beschleuniger unzugänglich waren –, weiterentwickelt. Wir wollen wissen, ob es hinter unseren physikalischen Theorien Hinweise auf notwendige Veränderungen unserer Vorstellungen gibt.

Stellt der LHC das weltweit größte Experiment dar, das in der Physik durchgeführt wird?

Ja, er wird das zukünftige Zentrum der Teilchenphysik sein. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe physikalischer Experimente, die beispielsweise die Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt einbeziehen. Große Kollaborationen werden zudem im Bereich der Quantendynamik durchgeführt. Auch in Heidelberg sind zahlreiche Experimente angesiedelt – vor allem im Bereich der komplexen Quantensysteme.

Wo liegen die Forschungsschwerpunkte der Heidelberger Astronomie?

Einen Schwerpunkt bilden die extragalaktische Astrophysik und die Physik der Galaxien. Dann sind Theorie und Beobachtung der Entstehung von Sternen und Planeten zu nennen. Hinzu kommt die Kosmologie, welche die Struktur des gesamten Universums untersucht. Schließlich spielt die Entwicklung neuer Instrumente für Großprojekte eine wichtige Rolle.

Die Heidelberger Astronomie hat Zugang zu den großen erdgestützten Spiegelteleskopen

Wir sind auch in Chile am Very Large Telescope (VLT) tätig, das von der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Garching betrieben wird. Aber unsere Einbindung am Large Binocular Telescope (LBT) im US-Staat Arizona ist direkter, denn für diese Anlage werden in Heidelberg auch Instrumente gebaut. Ein Beispiel dafür ist der Doppelspektrograph "Lucifer" für die beiden Spiegel des LBT, der von der Landessternwarte in Heidelberg mit entwickelt und gebaut wurde. Am Max-Planck-Institut für Astronomie ist er derzeit im Test, bevor er zum LBT gebracht wird.

Außerdem ist Heidelberg an Satelliten und Weltraumteleskopen beteiligt.

Das Max-Planck-Institut für Astronomie wird Instrumente für das zukünftige James-Webb-Weltraumteleskop liefern. Dann sind wir am "Planck"-Projekt, dem europäischen Mikrowellensatelliten, beteiligt. Auch zum "Herschel"-Satelliten haben Heidelberger Astronomen Instrumente beigesteuert: Er soll gemeinsam mit "Planck" Ende 2008 starten. Schließlich gibt es eine Heidelberger Beteiligung an dem großen Projekt des "Gaia"-Satelliten, der für 2011 geplant ist. Noch weiter entfernte Zukunftsprojekte kommen hinzu.

Stehen Physik und Astronomie vor neuen Erkenntnissen – etwa hinsichtlich der dunklen Materie und Energie jenseits des sichtbaren Universums?

Wir können nur dann ein konsistentes kosmologisches Modell aufstellen, wenn wir annehmen, dass es dunkle Materie und – davon unterschieden – dunkle Energie gibt. In beiden Fällen haben wir nur wenige Erkenntnisse. Aber etwas mehr wissen wir über die dunkle Materie: Wahrscheinlich ist sie aus uns unbekannten schwach wechselwirkenden massereichen Elementarteilchen zusammengesetzt. Darüber erhoffen wir uns neue Erkenntnisse durch die Experimente am Large Hadron Collider. Hier könnte ein Durchbruch bevorstehen. Aber bei der dunklen Energie tappen wir tatsächlich noch weitestgehend im Dunkeln.

Klarer sind die baulichen Perspektiven der Fakultät in Heidelberg.

Zunächst entsteht im Neuenheimer Feld das Gebäude Physik II, das architektonisch eine benachbarte Kopie des Kirchhoff-Instituts darstellen wird. Für diesen zweiten Bauabschnitt Physik wird im kommenden Herbst der Spatenstich sein. In den Neubau werden die Experimentalphysiker aus dem Physikalischen Institut (Philosophenweg 12) ziehen. Und in diesem dann freien Gebäude werden das Astronomische Rechen-Institut, das Institut für Theoretische Astrophysik und ein Teil der Theoretischen Physik vereinigt. Noch in weiter Ferne liegt der dritte Bauabschnitt Physik.

Der neue Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider am CERN bei Genf stellt das weltweit größte Experiment der Physik dar. Und Heidelberger Forscher sind daran leitend beteiligt.  
Der neue Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider am CERN bei Genf stellt das weltweit größte Experiment der Physik dar. Und Heidelberger Forscher sind daran leitend beteiligt.
Foto: Fakultät für Physik und Astronomie

 

Wie ist die Fakultät im internationalen Wettbewerb positioniert?

Das letzte Forschungsranking des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) sieht unsere Fakultät in der europäischen Spitzengruppe. Aber wir müssen noch daran arbeiten, dieses Niveau auch in der Lehre zu erreichen. Was die Astronomie betrifft, so vergleichen wir uns in Deutschland mit München, Potsdam und Bonn, in der Physik wechseln die Konkurrenzstandorte auf den verschiedenen Feldern.

Welches waren die wichtigsten Heidelberger Physiker? Und kann es einmal einen weiteren Nobelpreisträger geben?

Die Möglichkeit besteht nach wie vor. Obwohl wir im weltweiten Vergleich meistens unter deutlich ungünstigeren Bedingungen arbeiten, konnten wir bislang international erfolgreiche Forschung durchführen. Anlässlich des 100. Geburtstages des Heidelberger Physik-Nobelpreisträgers Hans Jensen im vergangenen Jahr wurde wieder offenbar, dass die Muße, nachzudenken und unabhängig forschen zu können, eine notwendige Voraussetzung für nobelpreiswürdige Leistungen ist. Aber diese Muße haben wir nur noch sehr selten. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren neben den Nobelpreisträgern Walter Bothe und Hans Jensen vor allem Hans Kopfermann und Otto Haxel wichtig für den Aufbau der Heidelberger Physik.
Heribert Vogt
© Rhein-Neckar-Zeitung

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Dr. Michael Schwarz
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