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Das Festspielhaus als Fanmeile der Nation

8. Mai 2008

Nike Wagner über "Weimar-Bayreuth-Heidelberg – Deutsche Provinz als geistige Lebensform" an der Universität

Eine prominente Gastrednerin gab es in der Reihe "Was ist deutsch?" im dicht gefüllten Hörsaal 14 der Heidelberger Universität, als Prof. Dieter Borchmeyer mit Nike Wagner über "Weimar-Bayreuth-Heidelberg – Deutsche Provinz als geistige Lebensform" sprach. "Sie ist die einzige aus dem Hause Wagner, mit der man wie mit einem Menschen sprechen kann", machte Borchmeyer der Urenkelin von Richard Wagner zunächst ein Kompliment. Zu Bayreuth und Weimar hat Nike Wagner gleichermaßen starke Verbindungen. Sie ist im "Haus Wahnfried" aufgewachsen, lebt dort derzeit und leitet das Kunstfest Weimar, das sie "Pélerinages" nannte.
Bayreuth und Weimar seien zusammen die Summe dessen, was uns den Ruf einer Kunstnation eingebracht habe, sagte Nike Wagner zu Beginn ihres Vortrags, in welchem sie die große kulturelle Geschichte der beiden Provinzstädte in wechselseitig beleuchteten Schlaglichtern umriss. Wagnerscher Verschmelzungsgedanke hier und pädagogische Aufklärung in der Stadt Schillers und Goethes dort.

Auch wenn Richard Wagner wie ein Diktator in Bayreuth residiert habe, so habe er doch ein erstes Kunsthaus auf dem Grünen Hügel errichtet und den Festspielbegriff als Erster begründet. Gemeinsam mit seinem Schwiegervater Franz Liszt hatte Wagner das Festspielhaus der Wagner-Festspiele ursprünglich für Weimar geplant, doch der Revolutionär Wagner, der 1849 ins Exil ging, war in Weimar nicht geduldet. Erst in der Nach-Wagner-Ära sei aus Bayreuth ein internationaler Gesellschafts-Treffpunkt geworden. Der Aufmarsch des Festspielpublikums gliche einer Pilgerfahrt, "wobei man den Grünen Hügel auf Knien hinaufrutschen müsste", so die Erkenntnis der Wieland-Wagner-Tochter. So manche spitz formulierte Polemik schickte die Kulturschaffende gegen das Haus Wagner. Stürmischer Fortschritt und Stillstand auf künstlerischem Gebiet habe es wechselseitig in Bayreuth und Weimar gegeben. Anfang des 20. Jahrhunderts habe der Diplomat und Kunstmäzen Harry Graf Kessler die moderne Kunst in Weimar eingeführt und auf internationalen Standard geführt, wenig später hat Walter Gropius hier das Bauhaus und damit die Moderne der Architektur begründet.

Die 20er und 30er Jahre in Bayreuth waren von großen Namen wie Furtwängler, Toscanini und Tietjen geprägt gewesen, "der Tigersprung in die neue Zeit aber blieb aus". Und auch auf die unrühmliche Rolle, die die Nazis in beiden Kulturstädten spielten, kam Nike Wagner zu sprechen, auf die Vereinnahmung Bayreuths ebenso wie Weimars, wo sie vor den Toren der Stadt, in Buchenwald, ihr erstes KZ errichteten. Nach 1945 herrschte in Weimar wieder museales Denken, allen "Vorwärts"-Appellen des sozialistischen Systems zum Trotz, während zeitgleich Bayreuth im Kielwasser des Wirtschaftswunders einen künstlerischen Aufschwung erlebte. Ab den 70er Jahren sei Bayreuth endgültig ein "Kassenmagnet" geworden und "das Festspielhaus zur Fanmeile der Nation und zur ewigen WM". Viele Künstler hätten den Grünen Hügel aber als Polizeistaat empfunden, so die streitbare Publizistin.

Auch Heidelberg sei um 1900 eine bedeutende Kulturstadt gewesen: Das geistige Leben blühte nicht nur an der Universität um Max Weber, sondern auch in den Künsten, im George-Kreis, führte Borchmeyer anschließend weiter aus. Wagner besuchte die Stadt und hier, bei einer Kasperletheater-Aufführung auf der Alten Brücke, sah er "den Ursprung des Theaters, aus dem Geist der Improvisation". Manch vergnügliche Anekdote wusste der emeritierte Literaturprofessor aus dem Geistesleben der Stadt zu erzählen, und er umriss die geistige Bedeutung der Stadt, die keineswegs nur das "schmuddelige badische Mekka des Geschwätzes" war, wie Ernst Bloch vermutete.
Rainer Köhl
© Rhein-Neckar-Zeitung

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