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Professor Dr. Markus Oberthaler erhält Landesforschungspreis für Grundlagenforschung

11. April 2008

Dem Unvorstellbaren auf der Spur: Bei der Erforschung des Tunneleffekts entwickelt Oberthaler eine neue Methode zur Messung extremer Kälte

Professor Dr. Markus Oberthaler  
Foto: Horst Rudel
Während wir Menschen mühsam Tunnel bohren, um einen Berg zu überwinden, geht das in der Quantenphysik auch anders: Atome können aufgrund des Tunneleffekts spontan räumliche Hindernisse durchdringen, ohne Beschädigungen zu hinterlassen. Dies ist in der klassischen Welt der Physik eigentlich unvorstellbar, in der Quantenmechanik jedoch nicht.

Dem Heidelberger Physiker Markus Oberthaler ist es weltweit erstmals gelungen, Bedingungen zu schaffen, die dieses Tunneln begünstigen und die Vorgänge mit einem einfachen Mikroskop zu beobachten. Gleichzeitig entwickelte er eine neue Methode zur Messung extremer Kälte, die in bislang unzugängliche Bereiche vorstößt. Markus Oberthaler schaffte es, Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt von minus 273 Grad Celsius zu bestimmen.

"Mithilfe des Tunneleffekts können wir erstmals in Bereichen messen, die mit bisherigen Verfahren nicht zugänglich waren", sagt Oberthaler. "Jetzt können wir systematisch kaum vorstellbar tiefe Temperaturen erforschen." Solche Erkenntnisse helfen nicht nur dabei, neue Wege im Bereich der Messtechnik zu beschreiten, sondern auch, quantenmechanischen Vorhersagen präzise zu testen.
Tunneln mit eiskalten Atomen

Der Weg zum Erfolg war für Markus Oberthaler lang: Über drei Jahre lang hat er daran gearbeitet. "Wir haben herausgefunden, dass man wenige Teilchen für ein solches Experiment verwenden muss, denn zu viele Teilchen verhindern das Tunneln", sagt der gebürtige Österreicher. "Auch die Höhe der Barriere ist extrem kritisch und stellt höchste Anforderung an die Stabilität des experimentellen Aufbaus."

Um das Tunneln von Atomen beobachten zu können, muss der Physiker rund 1000 Atome dazu bringen, sich wie ein einziges Objekt zu verhalten. Hierzu benötigt Oberthaler zunächst ein spezielles Gas. "Wir verdampfen Rubidium-Gas, das wir dann mit Hilfe von Laserlicht sehr stark abkühlen", erklärt er. "Dabei werden die Atome von rund 300 Grad fast auf den absoluten Nullpunkt heruntergekühlt." Unterschreitet man eine kritische Temperatur, verändert dieses extrem kalte Gas seine Eigenschaften dramatisch - es entsteht ein sogenanntes Bose-Einstein-Kondensat, das ist ein extremer Aggregatzustand, bei dem sich die Teilchen in einer Art "Gleichtakt" schwingen. Sie verhalten sich wie ein einziges "Quantenobjekt".

In diesem Zustand gelang es Oberthaler und seinem Team, nicht nur zu sehen, dass die Teilchen tunneln, sondern auch, wie sie das tun. "Was wir unter dem Mikroskop beobachten ist, wie eine Wolke von Atomen von einer Seite einer Barriere zur anderen wechselt", erklärt Oberthaler.  "Da die atomare Wolke aber ein Bose-Einstein-Kondensat ist, verhält sie sich wie ein Quantenobjekt und kann dementsprechend auch den Tunneleffekt zeigen. Da es sich um viele Atome handelt, kann die Tunneldynamik jetzt direkt beobachtet werden."

Um die genaue Temperatur festzustellen, werden zwei Bose-Einstein-Kondensate, die im selben Gleichtakt schwingen, durch eine Barriere getrennt. Anschließend wird anhand der Interferenzmuster ermittelt, ob sie immer noch im Gleichtakt schwingen. Je mehr sie voneinander abweichen, desto größer ist die Teilchenbewegung und desto höher die Temperatur.

Quantum Engineering

Nicht nur die Welt der Quantenphysik profitiert von Oberthalers Forschungen. Auch in der "klassischen Welt" kommen die Erkenntnisse des Physikers in der Praxis zum Einsatz: Quantenmechanische Errungenschaften helfen beispielsweise, Präzisionsmessungen von technischen Geräten noch genauer zu machen. Jüngste Ergebnisse der Forschungen von Markus Oberthaler zeigen, dass beispielsweise die Messleistung von Atominterferometern deutlich verbessert werden kann. Mit Atominterferometern misst man Beschleunigen und Rotationen. Dank Oberthalers Forschungen sind solche Messungen heute nicht nur genauer, sondern kosten auch weniger Zeit.

"Ich bin davon überzeugt, dass künftige Präzisionsmessungen allesamt auf quantenmechanischen Messungen basieren werden", sagt der Physiker – obwohl er selbst die Anwendbarkeit seiner Forschungen eher scherzhaft infrage stellt. "Schon mein Doktorvater sagte immer: Ich mache nur Dinge, die keine Anwendung haben. Und an diesen Satz halte ich mich auch."

Dennoch hofft Oberthaler, in den nächsten fünf Jahren etwas Fundamentales zu entdecken und dafür alle gelernten und entwickelten Techniken anwenden zu können. "Ich möchte irgendwann etwas bauen, das jemand anderen weiterbringt", erklärt der Wissenschaftler. "Die Umweltphysik würde ich zum Beispiel gerne unterstützen, um herauszufinden, wie warm es vor 400 Jahren war. Oder wenn ich herausfinden würde, dass Antimaterie anders fällt als Materie, dann wäre das für mich wahrlich ein Riesenerfolg. Ideen dazu, wie man das messen könnte, gibt es heute schon."

Das Preisgeld des Landesforschungspreises will Markus Oberthaler vor allem in seine Projekte investieren: "Zuerst werde ich wohl etwas für unsere technische Ausrüstung tun, um dem "heiligen Gral" der Quantenverschränkung in ultrakalten Gasen näherkommen zu können." Bis es so weit ist, wird sich Markus Oberthaler aber wohl erst einmal um seine Familie kümmern, denn Ende Februar ist er zum ersten Mal Vater geworden.

Vita Prof. Dr. Markus Oberthaler
Markus Oberthaler wurde 1968 im österreichischen Innsbruck geboren. Nach der Matura, dem österreichischen Abitur, studierte er Physik an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Dort schloss seine Promotion 1997 mit Auszeichnung ab. Von 1997 bis 1999 forschte Oberthaler an der University of Oxford zum Thema Atominterferometrie und Quanten-Chaos mit kalten Atomen. Im November 1999 wurde er Leiter des Bereichs Atomphysik am Lehrstuhl von Prof. Jürgen Mlynek an der Universität Konstanz, 2000 übernahm er die Leitung einer Nachwuchsgruppe des Zentrums für den wissenschaftlichen Nachwuchs der Universität Konstanz. Im selben Jahr wurde Markus Oberthaler in das Emmy-Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Thema Nichtlineare Atomoptik - Vielteilchenoptik aufgenommen. Im September 2003 erhielt er eine C3-Professur für komplexe Systeme am Kirchhoff Institut für Physik an der Universität Heidelberg, 2006 übernahm er dort eine W3-Professur für "Synthetische Quantensysteme".
 
Markus Oberthaler hat Artikel in international renommierten Zeitschriften sowie Bücher und Buchbeiträge veröffentlicht. 1996 erhielt er den European Optics Prize der European Optical Society. Nun wird ihm der Baden-Württembergische Landesforschungspreis für Grundlagenforschung verliehen, mit dem das Wissenschaftsministerium einmal im Jahr herausragende Forscherinnen und Forscher ehrt. Das Preisgeld beträgt 100.000 Euro je Preisträger für Arbeiten in den Bereichen Grundlagenforschung und angewandte Forschung. Das Wissenschaftsministerium vergibt damit das höchste Preisgeld eines Bundeslandes.
Markus Oberthaler unterhält unterschiedliche Drittmittelprojekte, zum Beispiel im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms, der Landesstiftung Baden-Württemberg, der German Israeli Foundation Research Grant und von verschiedenen EU-Projekten.

Glossar
Quantenphysik ist der Bereich der Physik, der sich mit dem Verhalten und den Wechselwirkungen der kleinsten Teilchen befasst. Die Quantenphysik geht davon aus, dass Energie nicht kontinuierlich, sondern paketweise, also in Form von "Quanten" existiert. Die Theorien der Quantenphysik dienen beispielsweise dazu, die Vorhersage von Messergebnissen auf kleinen Längen- und Massenskalen zu ermöglichen.

Tunneleffekt: Unter dem Tunneleffekt versteht man den quantenmechanischen Effekt, durch den Teilchen endliche Barrieren überwinden können - ein Phänomen, das für die klassische Physik eigentlich unvorstellbar ist.

Absoluter Nullpunkt: Der absolute Nullpunkt ist die theoretisch tiefste mögliche Temperatur. Sie ist als 0 Kelvin definiert, was minus 273,15 Grad Celsius entspricht. In der unmittelbaren Nähe des absoluten Nullpunkts kann Materie einen neuen Aggregatzustand annehmen, den des Bose-Einstein-Kondensats.

Bose-Einstein-Kondensat: Beim Bose-Einstein-Kondensat handelt es sich um einen extremen Aggregatzustand, bei dem sich die meisten Teilchen in ein und demselben quantenmechanischen Zustand befinden und sie in einer Art "Gleichtakt" schwingen. Dies ist aber nur unter bestimmten Bedingungen möglich. Das Bose-Einstein-Kondensat ist wie ein einziges makroskopisches "Quantenobjekt", dessen Verhalten im Falle von ultrakalten Gasen sogar unter dem Mikroskop beobachtet werden kann.
(Pressemitteilung des Ministeriums für Wissenschaft,
Forschung und Kunst, Baden-Württemberg)

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