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Klaus von Beyme hat den vergleichenden Blick

16. Februar 2008

Die letzte Kommastelle eines Wahlergebnisses interessiert den renommierten Politologen nicht – Er will den weiten Bogen spannen

"Die Putzfrau wundert sich immer wieder, dass ich auch am Sonntag im Büro bin", schmunzelt Klaus von Beyme. Eine kleine Bemerkung am Rande des Gesprächs, die vor allem eines zeigt: Der Politikwissenschaftler kann es nicht lassen. Obgleich seit 1999 emeritiert, muss er einmal in der Woche in den Hörsaal. Oder er spricht zur Zukunft der EU oder über "Architektur und Gesellschaft in Heidelberg". Und nebenbei hat er gerade mal wieder ein 250 Seiten starkes Buch zum Thema Föderalismus veröffentlicht. Eines von vielen. Denn Beyme war immer ein Einzelkämpfer im wissenschaftlichen Räderwerk, der sich als Vielschreiber den Moden seiner Disziplin möglichst geschickt widersetzt hat. Gerade deshalb gilt der 73-Jährige als einer der kreativsten und angesehensten deutschen Vertreter seines Fachs. Sucht man nach seinem Namen in der Unibibliothek, erhält man eine exotische Mischung von 187 Treffern: "Politische Soziologie im zaristischen Russland" – "Kulturelle Vielfalt – Grenzen der Toleranz?" – "Empirische Revolutionsforschung" – "Architektur als politische Kultur".

In Beymes Brust schlagen – ach – drei Seelen. Als Politikwissenschaftler hat er das Heidelberger Institut für Politische Wissenschaft (IPW) aufgebaut und dessen internationales Renommee geprägt wie sonst keiner. Kurzzeitig war er Rektor an der Uni Tübingen, der einzige deutsche Vorsitzende der Internationalen Politologen-Vereinigung, war Gastprofessor in Stanford, Paris und Melbourne. Viel weiter kann man es als Geisteswissenschaftler kaum bringen. Im Mai wird Beyme mit dem Schader-Preis geehrt, eine der bedeutendsten Auszeichnungen für Gesellschaftswissenschaftler in Deutschland. Vermutlich wird er dann in einer humorigen Dankesrede mit der ihm eigenen Zurückhaltung andeuten, er habe den Preis doch gar nicht verdient.

70 Doktoranden, 18 Habilitanden und Tausende Studenten sind von der "Beyme'schen Schule" geprägt, deren einziges Paradigma der vergleichende Blick ist. Sein Ehrgeiz ist es, die weiten Bögen zu spannen. Er will Strukturen aufdecken und analysieren. Die letzte Kommastelle eines aktuellen Wahlergebnisses zu erklären, langweilt ihn. Er arbeitet aber auch vergleichend über die Politologie hinaus. Seine zweite Leidenschaft war immer die Kunstgeschichte. "Manchmal denke ich, dass ich in der Kunstgeschichte origineller gewesen wäre", glaubt er. "Denn die sozialen Bezüge, die ich in der Kunst herstelle, machen die Kunsthistoriker heute auch. Aber vor 40 Jahren war das etwas Besonderes. Da wäre ich wahrscheinlich ein Neuerer gewesen."

Dass es dazu nicht kam, liegt an Beymes Geschichte. Zum Abitur gaben ihm seine Eltern mit auf den Weg: "Mach' was Handfestes!" Den begabten Jungen zum Studium zu schicken, das konnte sich die aus Schlesien vertriebene Familie nicht leisten. Doch als es diesen nach der Lehre zum Verlagsbuchhändler noch immer an die Uni zog, durfte er immerhin Jura studieren. Aber ihn interessierte mehr öffentliches Recht und Politik als die staubige Juristerei. Wenn Kommilitonen ins Theater gingen, setzte sich Beyme in Parteiveranstaltungen jeder Couleur.

Mit 24 trat er der SPD bei – als Akt der Rebellion gegen sein deutsch-konservatives Elternhaus, in dem die SPD als revolutionär empfunden wurde – und das gefiel dem jungen Klaus: "Das ist meine SPD." Auch diese dritte Seele schlägt seit 50 Jahren in Beymes Brust. Obwohl er nicht immer "Seit an Seit steht" mit den Genossen. Den Mindestlohn hält er ebenso für einen Schmarrn wie das Rauchverbot. Und in der Stadtpolitik ist er auf Würzners Linie für den Ausbau der Stadthalle.

"Ich denke immer unabhängig", sagt er und erklärt damit, warum er sich mit einer Karriere als Politiker schwer getan hätte. Die müssten zu oft ökonomisch mit der Wahrheit umgehen. Zwar wurde er als Gutachter von Kanzler Helmut Schmidt bestellt – "was ganz selten was genützt hat". Ansonsten pflege er sein "Sündenbewusstsein" gegenüber der SPD und bekennt schmunzelnd, nicht einmal in seiner Familie Ordnung halten zu können. Seine Frau weigere sich vehement, Genossin zu werden, die Tochter wähle immer wieder die Grünen und der Sohn tendiere mittlerweile zur Linken. Beyme muss also in der Lage sein, "Andersartigkeiten" zu tolerieren. Mehr: Er setzt sich damit auseinander.

Während der Zeit der Studentenproteste warfen die Linken mit Eiern und Tomaten nach ihm. "Aber wenn ich dem gekonnt auswich, gab es Applaus. Es war eine Grundsympathie vorhanden." Beiderseits. Der Umgang mit seinen Studenten war und ist von Respekt geprägt. Und wer zu ihm zur Prüfung kommt, dem wird erstmal ein frischer Tee angeboten. Ob er es je schaffe, nicht mehr an die Uni zu gehen? "Das weiß ich nicht, ob ich das aushalte. Ich bin innerlich verbunden, bin hier zu Hause." Vielleicht werde der anstehende Umzug des Instituts in die alte Krehl-Klink eine Zäsur. Und vielleicht würde er dann sein Büro so sehr vermissen, wie er momentan seinen Garten in Ziegelhausen vermisst – nachdem er vor fünf Jahren in die Altstadt ziehen musste.
Alexander R. Wenisch
© Rhein-Neckar-Zeitung

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