Siegel der Universität Heidelberg
Bild / picture

Die Kunst zerstört das Schweigen

8. Januar 2008

Künstlerische Erinnerung an NS-Rassen- und Vernichtungspolitik – Urs Heftrich, Heinz-Dietrich Löwe und Frank Grüner (Universität Heidelberg) gelingt es, erstmals die künstlerische Erinnerung in Osteuropa darzustellen

Bis heute ist der von den Nationalsozialisten entfachte Vernichtungskrieg tief im Gedächtnis der osteuropäischen Staaten verankert. Aber der Umgang mit der traumatischen Erfahrung hinter dem Eisernen Vorhang unterlag festen Tabus. Denn solange die sozialistischen Machthaber das Sagen hatten, wurden Medien und Künste als Instrumente des organisierten Vergessens funktionalisiert. So hatten in der Erinnerung der Sowjetunion weder die Fehler der Militärführung zu Anfang des Krieges noch der Hitler-Stalin-Pakt oder gar die stalinistischen Repressionen gegen die Armeeführung von 1937 einen Platz. Allerdings hatte auch das staatlich inszenierte Kollektivgedächtnis seine Lücken, so dass es Künstlern mitunter gelang, gegen das Vergessen anzugehen. Ihre Schlüsselrolle als "Zerstörer des Schweigens" wird nun in einem Buch gewürdigt, hat die Forschung das Thema bisher doch weitgehend übergangen.

Denn bis heute birgt das Erinnern an die Opfer der NS-Rassen- und Vernichtungspolitik in Osteuropa noch Konfliktpotential – man denke nur an die Diskussionen in Polen um die Opferrivalität. Polen hatte unter der deutschen Besatzung ganz besonders zu leiden, zumal das KZ Auschwitz als der Erinnerungsort des Holocaust schlechthin gilt. "In Polen befürchtet man bis heute, dass das Leiden der polnischen Bevölkerung durch die internationale Beachtung, die der Holocaust erfährt, in den Hintergrund gedrängt werden könnte", meint Christine Müller. Ihr Beitrag beschäftigt sich mit der Darstellung von Juden in Polen im polnischen Nachkriegsfilm.

Andere Texte behandeln die Verarbeitung des Zweiten Weltkriegs im sowjetischen Film bis 1950 oder den Widerhall des Holocaust in der Presse der UdSSR, wo bereits während des Krieges begonnen wurde, den Völkermord an den Juden zu verschleiern – bevor Anfang 1948 eine repressive Politik gegen die jüdische Minderheit und vor allem gegen die jüdische Intelligenz einsetzte. "Mit Stalins Tod im März 1953 kam zwar der zentrale Motor dieser antijüdischen Hetze und Verfolgung zum Stillstand; der Antisemitismus und das offizielle Schweigen über die jüdische Tragödie und andere Aspekte der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik aber dauerten an", meinen die Heidelberger Herausgeber in ihrem Vorwort.

Urs Heftrich, der einen Lehrstuhl für Slavische Literaturwissenschaft innehat, sowie Heinz-Dietrich Löwe und Frank Grüner vom Heidelberger Seminar für Osteuropäische Geschichte gelingt es, erstmals die künstlerische Erinnerung in Osteuropa darzustellen – den Leser erwartet ein Kaleidoskop osteuropäischen Kultur.

Info: Frank Grüner, Urs Heftrich, Heinz-Dietrich Löwe (Hrsg.): "Zerstörer des Schweigens. Formen künstlerischer Erinnerung an die nationalsozialistische Rassen- und Vernichtungspolitik in Osteuropa". Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien. 552 S., 59,90 Euro.
Heiko P. Wacker
© Rhein-Neckar-Zeitung

Rückfragen bitte an:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
Tel. 06221 542310, Fax 542317
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
http://www.uni-heidelberg.de/presse

Irene Thewalt
Tel. 06221 542310, Fax 542317
presse@rektorat.uni-heidelberg.de
Seitenbearbeiter: Email
zum Seitenanfang