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Werke der Weltliteratur der Krankheit abgetrotzt

3. Januar 2008

Dostojewski, seine Epilepsie und wie sie das Werk des russischen Autors beeinflusste – Zehnte Ausgabe der "Dostoevsky Studies" – Herausgeber: Horst-Jürgen Gerigk

Fjodor Dostojewski  
Fjodor Dostojewski
Beginnt man, bedeutende russische Autoren aufzuzählen, so fällt der Name Dostojewski meist an erster Stelle. Immerhin schuf der 1821 in Moskau geborene Schriftsteller so große Werke der Weltliteratur wie "Schuld und Sühne", "Die Dämonen" oder "Die Brüder Karamasow". Allerdings hätte es gut sein können, dass diese Meilensteine der Literatur nie entstanden wären. Dann nämlich, wenn Dostojewski (Foto: Archiv) auf den Rat seiner Ärzte gehört hätte, die ihm nahelegten, die Schriftstellerei aufzugeben, um den epileptischen Anfällen Einhalt zu gebieten.

Diese Anfälle sind auch einer der interessantesten Aspekte in der zehnten Ausgabe der "Dostoevsky Studies", für deren Redaktion seit zehn Jahren der Heidelberger Professor am Slavischen Institut, Horst-Jürgen Gerigk, verantwortlich zeichnet. Gerigk ist auch Ehrenpräsident der 1971 gegründeten Internationalen Dostojewski-Gesellschaft, der er in den Jahren 1998 bis 2004 als Präsident vorstand. Von ihm stammt zudem ein lesenswerter Beitrag, der sich der Epilepsie verschiedener Hauptfiguren in Dostojewskis Werken widmet. Diese stellen einen Spiegel des Autors dar, der zu seiner Krankheit ein sehr zwiespältiges Verhältnis gehabt haben muss, wie der in Berlin lebende Emeritus Dieter Janz darlegt.

Dostojewski gab immer an, die Krankheit wäre erst im Zuge seiner Verbannung nach Sibirien ausgebrochen, wobei sein Umfeld zwar von bereits vorher durchlebten epileptischen Anfällen wusste, diese Tatsache aber wohl verschwieg, als es nach der Entlassung aus der Verbannung zu einer Rehabilitation kam. Grund der Bestrafung waren angebliche staatsfeindliche Umtriebe, was dem 28-Jährigen 1849 eine Untersuchungshaft, eine zum Schein inszenierte Exekution und die Verbannung einbrachte. Nach der Verbüßung der Festungshaft wurde er als gemeiner Soldat in ein Linienregiment an der Grenze zu Kasachstan unweit der Mongolei abkommandiert.

1859 wurde der zum Offizier beförderte Schriftsteller jedoch wieder in seine eigentliche Berufung entlassen. Grund waren auch die mittlerweile fast wöchentlich auftretenden Anfälle, die ihm somit den Weg zurück in eine Existenz als Autor ermöglichten. Eine Heilung von den Anfällen stellten ihm die Ärzte indes nur beim Verzicht auf die Schreiberei in Aussicht – ein unbezahlbarer Preis, der auch dazu führte, dass Dostojewski fortan eine ärztliche Behandlung ausschlug.

Stattdessen nahm er die Epilepsie als Schicksal an, das in seinen Werken einen einzigartigen Niederschlag fand, wie die 1871/72 entstandenen "Dämonen" oder "Die Brüder Karamasow" beweisen. "Wäre Dostojewski den Weisungen der Ärzte gefolgt, so wären diese Werke ... nicht entstanden", meint Dieter Janz, der herausarbeitet, dass Dostojewski die Krankheit nicht nur als eine "körperliche Erzählung" begriff, "sondern sie auch in seinem Beruf als Schriftsteller immer wieder verdichtet" hat – obgleich er sie am liebsten verdrängt hätte.

Ein Beispiel solcher Verdichtung liefert die Figur des Smerdjakow in Dostojewskis letztem Werk "Die Brüder Karamasow", in denen der epileptische Anfall dem Leser als das Äußerste an psychosomatischer Erschütterung begegnet.

"Die Seele will nicht mitmachen"

Die Handlung selbst – die von den drei Söhnen des Fjodor Karamasow erzählt und ihrem Wunsch, den Vater zu ermorden – hat als Pointe den unehelichen Sohn Fjodors, der die Tat, die von den drei legitimen Söhnen letzten Endes offen bejaht wird, schließlich ausführt.

"Smerdjakow simuliert einen epileptischen Anfall, um sich für den Mord an seinem leiblichen Vater im Voraus ein Alibi zu verschaffen. Man legt ihn ins Bett. Er begeht den Mord und wird danach von einem echten epileptischen Anfall heimgesucht, der so schwer ist, dass er fast daran stirbt", erklärt Gerigk die Rache von Smerdjakows Seele, die die Tat nicht verkraften kann, was zum Suizid des Täters führt.

"Auch hier dient Dostojewski der epileptische Anfall dazu, ein paradoxes gedankliches Geschehen psychologisch plausibel werden zu lassen. Die Seele will nicht mitmachen und meldet sich psychosomatisch im Anfall", fasst Gerigk das Geschehen zusammen, das dem Leser nicht gerade entgegenspringt. Vielmehr erwartet Dostojewski, dass man sich das Gemeinte selbst zusammensetzt.

Etwas klarer wird also die Lektüre eines der bedeutenden Werke Dostojewskis durch die vorliegenden "Studies", die sich zwar aufgrund ihres Preises wie auch der Mischung aus deutscher, englischer und russischer Sprache vor allem an das Fachpublikum wenden, aber darüber hinaus dem Laien interessante Einblicke bieten können. Besagter Bezug auf die Epilepsie ist hier lediglich ein Aspekt von vielen, die in dem anspruchsvollen Band zur Sprache kommen.
Heiko P. Wacker
© Rhein-Neckar-Zeitung

Info: Horst-Jürgen Gerigk (Hg.): "Dostoevsky Studies. The Journal of the International Dostoevsky Society". New Series, Volume 10. Narr Francke Attempto Verlag Tübingen. 263 S., 48 Euro.

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