Siegel der Universität Heidelberg
Bild / picture

Begründerin der Wullie-Forschung

30. Januar 2007

Anne Hoyers Untersuchung des populärsten Comics in Schottland: Das "British Standard English" hält immer mehr Einzug


Anne Hoyers Untersuchung des populärsten Comics in Schottland  
Die Heidelberger Wissenschaftlerin Anne Hoyer mit ihren Forschungsobjekten
Foto : Oliver Fink

In Schottland kennt ihn jeder: William Russell, einen neunjährigen Lausebengel mit jeder Menge Unfug im Kopf. Vor 70 Jahren erblickte er das Licht der Welt und ist seitdem nicht gealtert. Denn Wullie, so sein Spitzname, ist eine Comic-Figur. Seit 1936 begeistert er die Leser der schottischen "Sunday Post". Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2004 gehört die Lektüre der Serie zu den "100 things to do in Scotland before dying", im gleichen Jahr wurde diese "schottische Ikone" (BBC) zudem in den Rang eines Nationalhelden erhoben – noch vor Sean Connery.

Da ist es nur konsequent, dass er nun auch zum Gegenstand wissenschaftlicher Erörterung geworden ist. Begründerin der Wullie-Forschung ist eine junge Heidelberger Wissenschaftlerin. "Ein besonderes Faible für Comics hatte ich als Kind nicht", erzählt Anne Hoyer. Die Serie "Oor Wullie" (auf Deutsch: "Unser Willi") lernte sie als sechszehnjährige Schülerin kennen, als sie ein Jahr in einer schottischen Familie verbrachte. Einer der Töchter sollte sie daraus jeden Abend vorlesen. "Zuerst fand ich es etwas sonderbar, dann aber gefielen mir diese Geschichten", sagt Hoyer. Später, auf der Suche nach einem Examensthema in der Endphase ihres Anglistikstudiums in Berlin, erinnerte sie sich daran: Etwas Schottisches sollte es sein und dabei eine soziolinguistische Fragestellung zur Anwendung kommen. Also nahm sie ihre alten Gutenachtgeschichten wieder ins Visier, ergänzt um den Comic "The Broons", eine ebenfalls populäre Bildergeschichte, die zusammen mit "Oor Wullie" auf einer Doppelseite in der "Sunday Post" erscheint. Zwischenzeitlich hatte Anne Hoyer auf dem Heidelberger Soziolinguistentag außerdem Prof. Beat Glauser vom Anglistischen Seminar der Universität Heidelberg kennen gelernt, dem diese beiden Comics ebenfalls ein Begriff waren. Nach Abschluss ihrer Examensarbeit wechselte Hoyer 2004 von der Spree an den Neckar, um das Thema zu einer Dissertation auszubauen. Diesmal aber sollten ausschließlich die Geschichten um den kleinen Pfiffikus Wullie im Mittelpunkt stehen.

Für ihre linguistische Untersuchung entwickelte sie eine Methode zur quantitativen und qualitativen Analyse der inhaltlichen und sprachlichen Stereotypen. Das liegt deswegen nahe, weil die Charakteristika der Figuren und die dargestellten Alltagssituationen typisch schottisch sind. Vor allem aber trifft das auch auf die verwendeten Sprachelemente des Schottischen zu, das immerhin bis zum Ende des 16. Jahrhunderts eine eigene Nationalsprache bildete. Gerade die Scottizismen gelten bei diesen Bildergeschichten heute als Instrumente der Identitätsstiftung. Doch ausgerechnet bei diesem Punkt stellte Anne Hoyer jetzt einen deutlichen Erosionsprozess fest: Das Schottische nehme, so die These der Doktorarbeit, seit Jahrzehnten kontinuierlich ab, das British Standard English dagegen halte immer mehr Einzug in den Comic. Nachweisen konnte Anne Hoyer das auf der lautlichen, der lexikalischen, der syntaktischen und der morphologischen Ebene. Geholfen hat ihr dabei ein Computerprogramm, mit dem sie Wortlisten und Konkordanzen erstellte. Eine durchaus brisante These, die auch in Schottland nicht unbeachtet blieb – ein dortiger Verlag, verrät sie, hat schon angeklopft und sein Interesse an einer Publikation der Doktorarbeit bekundet. Überhaupt hat der Umstand, dass eine deutsche Doktorandin sich dem urschottischen Wullie widmet, für einiges Aufsehen gesorgt. Alle großen Zeitungen in Schottland haben bereits darüber berichtet. Die erwähnte Comicserie "The Broons" nahm sogar, wenn auch etwas verschleiert, Bezug auf dieses Forschungsprojekt: In einer Folge taucht nämlich ein Professor aus Doodleburg (gemeint ist Heidelberg) auf, der Beat Glauser verblüffend ähnlich sieht und mithilfe eines Sprachdetektors namens "Glausophone" (!) Scottizismen aufspürt. Und wer weiß, vielleicht hat ja Anne Hoyer demnächst ebenfalls einen Gastauftritt – am besten in "Oor Wullie".

Oliver Fink


Rückfragen bitte an:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
Tel. 06221 542310, Fax 542317
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
www.uni-heidelberg.de/presse

Irene Thewalt
Tel. 06221 542311, Fax 542317
presse@rektorat.uni-heidelberg.de

Seitenbearbeiter: Email
zum Seitenanfang