"Geschlecht" in den Geistes- und Sozialwissenschaften:
vom Ertrag einer umstrittenen Kategorie

 

Interdisziplinäre Tagung im Rahmen des 625-jährigen Jubiläums der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

7.-9. März 2011

 

Internationales Wissenschaftsforum Heidelberg

Abendvortrag: Prof. Dr. Mari Mikkola, Humboldt-Universität zu Berlin

Organisation: Friederike Schmitz, Julia Zakkou

 

 

Spät in der Geschichte der Heidelberger Universität - aber früh im Vergleich mit anderen deutschen Universitäten - wurden vor gut hundert Jahren erstmals Frauen in Heidelberg zum Studium zugelassen. Noch kürzer ist es her, dass Fragen nach Wesen und Relevanz von Geschlecht Eingang in die Wissenschaften selbst gefunden haben. Diese Tagung wird Nachwuchswissenschaftler(inne)n verschiedener geistes- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen aus dem deutschsprachigen Raum die Gelegenheit bieten, ihre aktuellen Forschungsarbeiten vorzustellen. Dabei soll deutlich werden, inwiefern die Kategorie „Geschlecht“ bzw. „gender“ in den verschiedenen Wissenschaften erkenntnisstiftend eingesetzt und reflektiert wird.

 

Auf mindestens dreierlei Weise wird seit dem Aufkommen der feministischen Wissenschaft und der interdisziplinären Gender Studies mit der Kategorie „Geschlecht“ gearbeitet.

 

Erstens werden unter dem Stichwort „Androzentrismuskritik“ Fragestellungen und Methoden der verschiedenen Wissenschaften dahingehend überprüft, ob in ihnen Einseitigkeiten und Verzerrungen zugunsten einer „männlichen“ Perspektive vorliegen - die sich z.B. in bestimmten Vorannahmen, in der Fokussierung auf eine ausschließende Themenwahl oder aber in der fehlenden Sensibilität für die Relevanz geschlechtsbezogener (Macht-)Verhältnisse für die Konstitution der Erkenntnisgegenstände zeigen.

 

Zweitens sind ausgehend von dieser Kritik sowohl neue Forschungsfelder erschlossen als auch das Geschlecht als wichtige Kategorie in das Instrumentarium zur Untersuchung sozialer Phänomene aufgenommen worden. Wenn in der Geschichtswissenschaft die Lebenswirklichkeiten von Frauen zu unterschiedlichen Epochen erforscht werden oder in der Soziologie gegenwärtige Machtstrukturen in Familien beschrieben werden, wenn anhand von Studien zu spezifisch „weiblichen“ Einstellungen zu moralischen Fragen die traditionelle philosophische Ethik in Frage gestellt wird oder wenn die politische Theorie sich damit beschäftigt, wie die Unterscheidung von öffentlichem und privatem Raum mit Geschlechterverhältnissen zusammenhängt - immer dann wird die Kategorie „Geschlecht“ verwendet. Dabei wird - ebenso wie bei der Androzentrismuskritik - naturgemäß ein bestimmtes Verständnis dieser Kategorie und ein Verständnis davon, was Frauen und Männer und was „weibliche“ und „männliche“ Perspektiven eigentlich sind, vorausgesetzt.

 

Gleichzeitig wird, drittens, das Geschlecht und Geschlechterunterschiede in verschiedenen Geistes- und Sozialwissenschaften selbst zum Gegenstand gemacht und die Praxis dieser Einteilung der Menschen in „Männer“ und „Frauen“ kritisch hinterfragt. Zu den dabei behandelten Fragen gehören z.B.: Wie „natürlich“ ist die Geschlechterdifferenz? Wie ist das Verhältnis von biologischem und sozialem Geschlecht zu konzipieren? Wie wird in einer Gesellschaft Geschlechterdifferenz erzeugt? Wie hängen unsere Begriffe vom Geschlecht mit gesellschaftlichen Normen, z.B. der Verpflichtung auf Heterosexualität zusammen? Wie werden in Medien wie Film, Kunst, Literatur, Werbung usw. Geschlechterunterschiede repräsentiert und inszeniert? Und nicht zuletzt: Inwiefern handelt es sich bei „Geschlecht“ um einen nützlichen Begriff, bzw. in welcher Weise könnte ein Verzicht auf diesen Begriff - möglicherweise erst für unsere Gesellschaft in der Zukunft wünschenswert sein?

 

Auf der Tagung sollen in Auseinandersetzung mit Vorträgen zu einem oder mehreren dieser drei Aspekte insbesondere Fragen diskutiert werden, die sich ergeben, wenn man diese Aspekte miteinander in Zusammenhang bringt, so zum Beispiel: In welchem Verständnis hat sich die Kategorie „Geschlecht“ für bestimmte Wissenschaften als produktiv erwiesen? Inwieweit stellt die Kritik an der Kategorie die Ergebnisse von Forschungen, in denen sie verwendet wird, in Frage? Wie lässt sich unter Einbezug dieser Perspektiven ein angemessenes Verständnis von „Geschlecht“ für Wissenschaft und Gesellschaft gewinnen?

 

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Letzte Änderung: 03.03.2011