23.06.2002: Prof. Dr. Helmut Schwier über Apg 4,23-31

 

 

Predigt über „Ich glaube an den Heiligen Geist“ und Apg 4, 23-31

(am 23. Juni 2002 in der Peterskirche Heidelberg)

 

 

Der Hl. Geist, liebe Gemeinde, ist der arme Verwandte in der Hl. Dreifaltigkeit. So erscheint es, wenn ich diese Familie von außen betrachte. Vater und Sohn bilden den Kern der Familie. Meine Vorstellungen über sie sind bei aller Vielfalt relativ klar konturiert. Als Theologe und Christ denke ich dem Bekenntnis nach und glaube den Vater als Schöpfer und Erhalter der Welt, den Sohn als Erlöser und Befreier meines und allen Lebens. Und der Hl. Geist?

Im Apostolischen Glaubensbekenntnis bleibt er arm. Kirche, Vergebung, Auferstehung sind zwar die weiteren großen Worte, die wir im 3. Artikel noch sprechen – an der Oberfläche sind sie jedoch nur wenig verbunden mit dem Glauben an den Geist.

Der arme Verwandte bleibt undeutlich. Der Hl. Geist, so lernte ich hier vor 20 Jahren in der Dogmatikvorlesung bei Albrecht Peters, hat kein „Prosopon“, er hat kein Angesicht und lässt sich daher so schwer als Person denken und glauben. Der arme Verwandte bleibt undeutlich und er bleibt am Rand der Familie. Wir wissen von ihm, aber er steht im Schatten des Vaters und des Sohnes. „Der arme Heilige Geist“, so hat Martin Luther das humorvoll ausgedrückt, „habe immer nur Christus zu predigen, sonst falle ihm nichts ein.“

In anderen Familien löst das plötzliche Erscheinen eines armen Verwandten ja nicht nur Freude aus. Ein gewisses Chaos bestimmt dann die Atmosphäre – für die einen (vielleicht die Älteren) Grund zur Besorgnis um die eigenen Pläne und ordentlichen Vorhaben (vielleicht will der arme Verwandte ja auch nur wieder etwas haben), für Andere (möglicherweise die Jüngeren) Grund zur Hoffnung auf neue Wege und unverbrauchte Lebendigkeit; sie wissen: Der arme Verwandte hat schließlich einiges zu bieten – sich selbst und seine besonderen Erfahrungen. Familienfeste sehen anders aus, wenn er dabei ist. Er wirkt! – und zwar vielfältig: verändernd, infrage stellend, neue Blickrichtungen anbietend, aber auch irritierend oder auch helfend oder tröstend.

Um das Wirken des Geistes besser zu verstehen, lasst uns ein Familienfest zur Zeit der Jerusalemer Urgemeinde besuchen.

Die Vorgeschichte haben wir in der Lesung gehört. Nachdem Petrus an der Tempeltür einen Mann, der von Geburt an lahm war, im Namen Jesu geheilt hat, predigt er dem zusammenströmenden Volk: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs hat seinen Knecht Jesus von den Toten auferweckt. Darauf werden Petrus und Johannes gefangen genommen und am nächsten Tag vom Hohen Rat verhört. In ihrer Verteidigungsrede verweisen die Apostel auf den geheilten Mann und bezeugen freimütig die Kraft Christi. Wer heilt, hat Recht. Das hohe Gremium zieht sich zur Beratung zurück und verhängt unter Strafandrohung ein Predigtverbot. Das ist bedrohlich für die Apostel und die Urgemeinde, erscheint aber auch hilflos angesichts der entwaffnenden Frage nach dem Gehorsam gegenüber Gott und den Menschen und angesichts des geheilten Mannes – der ist schließlich ein unwiderlegbarer lebendiger Beweis des Geistes und der Kraft!

In der Apg heißt es dann weiter: [TEXT lesen]

Einige Zeit nach Pfingsten – dieses zweite Pfingstfest der Gemeinde! Nicht mit Brausen und Feuerzungen, aber mit dem Erbeben und Zittern des Ortes kündigt sich der Geist jetzt an. An die Stelle des Sprachenwunders tritt die freimütige kühne Rede. Dies alles am Ende eines langen einmütigen Gemeindegebetes, das Bekenntnis, Schriftzitat, unmittelbare Auslegung und Bitte für die Gegenwart enthält.

Heute Morgen möchte ich nicht erläutern, wie Lukas diesen Text komponiert hat. Etwas kühner und auch naiver möchte ich anhand der Geschichte darstellen, wie es in der Familie der Hl. Dreifaltigkeit zugeht. Wie sehen ihre Beziehungen aus?

Wie geht es zu zwischen dem Vater und dem Geist? Gott, Schöpfer Himmels und der Erde, braucht den Geist. Nicht nur am Anfang der Schöpfung, als er über den Chaoswassern schwebt, sondern auch später, um die Worte der Schrift zu beleben. Die Bibel ist nicht Gottes Wort, aber durch den Geist wird sie es. Der Geist macht die Buchstaben lebendig. Die Buchstaben und Worte aus Ps 2 („Warum toben die Heiden und sinnen die Völker Nichtiges?“) entstammen alten und erschließen gleichzeitig neue Erfahrungen. Sie wurden nicht nur gesprochen und aufgeschrieben, um Vergangenheiten zu rekonstruieren. Sie wurden gesprochen und geschrieben, um Gegenwarten zu deuten.

Die Vergangenheiten zu rekonstruieren, Ursprungssituation und Wirkungsgeschichten zu beschreiben, ist das Geschäft wissenschaftlicher Textauslegung. Texte werden methodisch kontrolliert interpretiert. Wenn ich meine Gegenwart deute mit Hilfe der Schrift, benutze ich die Worte und benutzen die Worte mich.

Wie sieht das konkret aus? Nicht so, dass ich solange in der Bibel lese bis ich endlich einen passenden Vers gefunden habe! Auch nicht so, dass ich nur punktuell lese und beispielsweise den Vers der Herrnhuter Losungen als bequem zugängliches Orakel für den Tag verstehe.

Als man Charlie Chaplin fragte, wie er auf seine Ideen und Einfälle komme, antwortete er: Sie fallen mir ein, wenn ich bei der Arbeit bis an die Grenzen des Wahnsinns beharrlich bleibe. Auch in der Kunst bevorzugt der Geist die vorbereiteten Menschen, die Ausdauer haben, intensiv suchen und dann kritisch auszuwählen vermögen.

Heißt für die Bibel- und Lebenskunst: Du hörst und liest die Schrift so intensiv wie möglich; du bemühst dich beharrlich, die Worte zu verstehen; du staunst, welch eine Auslegungsfülle die kritische Wissenschaft eröffnet und plötzlich – wenn du nicht daran denkst – geht dir ein Licht auf. Dir fallen Worte wieder ein, die du zu Haus gelesen, im Seminar studiert oder im Gottesdienst gehört hast – Worte, die eine Situation klären, Worte, die dir eine neue Blickrichtung eröffnen, Worte, die dich eine Herausforderung bestehen lassen. „Warum toben die Menschen gegen Gott?“ – das kann eine ängstliche Klage in bedrängender Lage sein und sich plötzlich in das Vertrauen verwandeln, dass Gott am Ende triumphiert. Immer wenn mir solches Verstehen widerfährt, bin ich von Gott begeistert.

Licht aufgehen, Widerfahrnis, plötzliches Verstehen sind allerdings sehr unsichere Angelegenheiten. Vor allem: Sind sie nicht oft auch Täuschungen? Kann ich eigentlich sicher sein, dass ich von Gott und nicht von meinen eigenen Wünschen begeistert bin? Um hier zu Klärungen zu kommen, lasst uns auf die Familienbindung zwischen dem Sohn und dem Geist schauen!

Sohn und Geist sind einfach unzertrennlich – so sehr, dass Lukas mehrfach berichtet: der Sohn, Gottes heiliger Knecht Jesus wurde mit dem Hl. Geist gesalbt. So wie das Öl von der Haut aufgenommen wird und mich schützt und pflegt (eine Erfahrung, die wir hoffentlich in den letzten Sonnentagen gemacht haben!), ist der Geist ganz in und um Jesus. Oder aus der Sicht des Sohnes: Jesus ist der vom Vater mit dem Geist Gesalbte, ist – griechisch übersetzt – der Christus.

Christus, der von Gott begeisterte Sohn, seine Worte und Werke klären meine Schriftdeutungen. An seinen Worten und Werken muss auch ein plötzliches Verstehen noch geprüft werden. Die bedrohte Urgemeinde bittet daher auch nicht: Strecke deine Hand aus, Gott, und vernichte unsere Feinde, sondern sie bittet: „Strecke deine Hand aus, dass Heilungen und Zeichen und Wunder geschehen durch den Namen deines heiligen Knechtes Jesus.“

In die Nachfolge des Sohnes gehören nicht Rache oder Vernichtung der Konkurrenten, sondern Heilung und Zuwendung, nicht der Traum von der Endabrechnung oder verkniffene Allmachtsphantasien gekränkter Seelen, sondern intelligente Feindesliebe und realistische Taten der Hilfe. Das zeigt auch die unmittelbare Fortsetzung in der Apostelgeschichte: die christliche Gemeinde bemüht sich konkret um die Beseitigung der Armut durch freiwillige Spenden, Gütergemeinschaft und organisierte Fürsorge.

In die Nachfolge des begeisterten Sohnes gehört der freie Mut zur Rede. Solche Freimütigkeit und Offenheit waren nicht nur in der griechischen Antike Tugenden der Aristokraten und Philosophen. Wer als Ungebildeter und Nichtgelehrter sie für sich beanspruchte, galt als dreist, dumm und gefährlich. Das mag schon für den Nazarener, mehr aber noch für die einfachen Apostel gegolten haben. Kann man sie im Diskurs unter Gebildeten überhaupt ernst nehmen?

Freimütigkeit in der Rede setzt innere Freiheit voraus. Die haben die Apostel nicht durch Wissensanhäufung erworben, sondern sie entstammt der grundlegenden jüdisch-christlichen Bildungserfahrung: Gott hat den Menschen gebildet nach seinem Bilde, gewürdigt durch seine Würde; Gott hat das Volk Israel aus Ägypten befreit, aus Sklavinnen und Sklaven Menschen mit erhobenem Haupt gemacht; Gott hat den Sohn aus dem Tod befreit und damit allen Gewaltherrschern vom Typ des Herodes oder Pilatus ihr letztes Mittel der Einschüchterung aus der Hand geschlagen – die Drohung mit dem Tod. Das verleiht allen vermeintlichen Autoritäten gegenüber innere Freiheit. Und es eröffnet kritische Maßstäbe: Es setzt alle politischen Autoritäten ins Unrecht, die das Leben bedrohen; es setzt alle religiösen Autoritäten ins Unrecht, die die Gewissen knechten oder gar dazu auffordern, im Namen Gottes Leben zu schädigen oder zu zerstören.

Freimut zur Rede ist nicht der Mut zu beliebiger Rede, sondern der Mut, das Wort Gottes zu reden und mit ihm zu leben. Damit schließt sich der Kreis. Das Wort Gottes habe ich in der Bibel nicht im Griff. Aber ich kann die Bibel lesen und studieren und beharrlich auf die Wirkung des Geistes setzen, der dieses äußerliche Wort und die Menschen in der Gegenwart inspiriert. Dann werde ich als Theologe in der Universität, als Glied der Kirche in der Welt und als Christenmensch im Alltag mutig und frei. Auch wenn meine Worte und mein Verhalten nicht zum Erbeben führen, vertraue ich dem Geist des Vaters und des Sohnes, der wirksam ist im Leben gemäß der Schrift.

Übrigens und zum Schluss: Habt Ihr es gemerkt? Die göttliche Familie ist keine Kleinfamilie zu dritt – nein, wir sind mittendrin dabei! Im Grunde sind wir die armen Verwandten in dieser Familie und doch herzlich eingeladen, willkommen geheißen und reich beschenkt. Diese alles verändernde Blick- und Lebensrichtung ist die wichtigste Wirkung des Hl. Geistes – in der Bibel heißt sie: „glauben“.

Darauf sprecht begeistert: Amen.

 

Den Glauben der Kirche lasst uns nun gemeinsam bekennen in Wort und Lied:

 

I

Liturg: Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.

Alle singen: „Was sind wir doch? Was haben wir auf dieser ganzen Erd, das uns, o Vater, nicht von dir allein gegeben werd?“ (EG 324,3)

 

II

Liturg: Ich glaube an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, unsern Herrn.

Alle: „Ich weiß, was Jesus Christus bringt, der mich versteht und liebt, der alles Böse auf sich nimmt und mir die Schuld vergibt.“

 

III

Liturg: Ich glaube an den Heiligen Geist.

Alle: „Er gebe uns ein fröhlich Herz, erfrische Geist und Sinn und werf all Angst, Furcht, Sorg und Schmerz ins Meeres Tiefe hin.“ (EG 322,5)

Liturg: Ich glaube die heilige, christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben.

Alle: „Ich will in Christi Kirche sein, ein Mensch, versöhnt mit Gott! Er fügt mich in sein Leben ein, das niemals enden wird.“

 

[nach H. Fischer, in: „Für den Gottesdienst“, Nr.38, Mai 1992, S.20f]

 

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Letzte Änderung: 21.03.2016
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