23.01.2005: HD Dr. Peter Zimmerling über Lk 17,7-10

 

Predigt über Lk 17, 7–10, Peterskirche 23.1.2005

Gnade sei mit Euch …

Liebe Gemeinde,

das Gleichnis, das Jesus hier erzählt, zeigt ihn einmal mehr als meisterhaften Prediger! Obwohl die verwendeten Bilder aus einer längst vergangenen Zeit stammen, hat das Gleichnis nichts von seiner Frische verloren. Die Erzählung hat aber nicht nur die Kraft, unmittelbar anzusprechen. Sie ist immer noch genauso anstößig, wie sie es für die ersten Hörer auch war.

 

1. Der undankbare Herr

 

Die Anstößigkeit des Gleichnisses zeigt sich vor allem an der Undankbarkeit des Herrn gegenüber seinem Knecht. Heutige Firmenphilosophien vertreten ganz andere Führungsprinzipien. So herrscht – psychologisch gesehen sicher ganz zu Recht – die Überzeugung, dass die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeitenden gefördert werden muss, wenn sie gute Leistungen bringen sollen. Statt Eigenverantwortung geht das Gleichnis vom Schema Befehl und Gehorsam aus. Ein wesentlicher Punkt heutiger Führungspraxis besteht darin, Anforderungen nach Augenmaß zu stellen. Stattdessen geht das Gleichnis von einem „immer mehr“ aus. Schließlich besteht ein wesentliches Führungsprinzip in der Vermittlung von Wertschätzung. Im Gleichnis ist von Dankbarkeit gar keine Rede. Ja gerade darin besteht eine seiner Kernaussagen: Die Apostel sollen ihren Dienst für Gott als Selbstverständlichkeit erkennen.

In der Weise, wie Jesus den Jüngern diese Erkenntnis nahe bringt, zeigt sich seine rhetorische Meisterschaft. Er fängt sie mit drei Suggestivfragen, so dass sie am Ende gar nicht anders können, als auch seiner Schlussfolgerung zuzustimmen. Man muss sich die Szene anschaulich vor Augen führen. Der Herr, von dem im Gleichnis die Rede ist, hat vermutlich nur einen Sklaven, so dass dieser sowohl die Feldarbeit als auch die Hausarbeit tun muss. Jesus schildert, wie der Sklave von der Feldarbeit nach Hause kommt und formuliert eine rhetorische Frage: „Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heim kommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch?“ Die Antwort kann nur lauten: „Keiner.“ Denn nirgendwo ist es üblich, dass ein Sklave an den fertigen Tisch gesetzt wird, weil der Chef inzwischen gekocht, gedeckt und alles bereitgestellt hat. Gleich fügt Jesus eine zweite rhetorische Frage mit Suggestivcharakter hinzu: „Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; danach sollst du auch essen und trinken?“ Die Antwort der Jünger kann nur lauten: „Natürlich!“ Gleich folgt eine dritte rhetorische Frage, die wiederum Suggestivcharakter hat: „Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war?“ Die Antwort der Jünger kann nur lauten: „Natürlich nicht!“ Der Sklave hat nur seine Schuldigkeit getan. Darum besteht keinerlei Anlass zu einem besonderen Dank. Mit diesen drei rhetorischen Fragen sind die Jünger genau dahin gebracht, dass sie nun auch der Folgerung Jesu unausweichlich zustimmen müssen. „So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.“ Nach drei Zustimmungen, die Jesus suggestiv erzwungen hat, bleibt den Jüngern gar keine andere Möglichkeit, als nun auch der Folgerung zuzustimmen: „So auch ihr!“

Besteht der Kern der Botschaft dieses Gleichnisses also in der Aussage: „Müh und Arbeit war sein Leben“ – wie es früher auf vielen Traueranzeigen zu lesen war? Ist das die entscheidende Bestimmung eines Lebens in der Nachfolge Jesu Christi? Das würde sich zumindest mit der Erfahrung vieler Menschen decken. Ich vermute, dass es den meisten unter Ihnen nicht anders als mir geht: Oft wünschte ich mir, dass die Arbeit ein für allemal vorüber wäre. Im Bild des Gleichnisses gesprochen: dass Gott mich zu Tisch bittet, wenn etwas geschafft ist. Aber es geht genau wie im Gleichnis mit der nächsten dringenden Aufgabe unmittelbar weiter.

Oder enthält das Gleichnis noch eine andere Botschaft? Verbirgt sich darin doch noch ein wirkliches Evangelium? Bevor ich diese Frage beantworten möchte, ist noch über eine zweite Anstößigkeit des Gleichnisses zu sprechen. Sie tritt nämlich nicht nur an der Undankbarkeit des Herrn gegenüber seinem Sklaven zutage. Die Anstößigkeit des Gleichnisses zeigt sich auch am Bild für die Beziehung zwischen Gott und Mensch, das darin verwendet wird.

 

2. Herr und Sklave

 

„Herr und Sklave“ – mit diesem Bild wird im Gleichnis die Beziehung zwischen Gott und den Nachfolgern und Nachfolgerinnen Jesu beschrieben. Heute sind andere Bilder für das Verhältnis des Menschen zu Gott beliebter. Es wird gewöhnlich als Freundschaft oder als Partnerschaft beschrieben. Mystische Spiritualität hat seit eh und je für die Beziehung des Menschen zu Gott das Bild von zwei Liebenden bevorzugt. Viele unserer Zeitgenossen stellen sich Gott gar nicht mehr als Gegenüber vor, sondern als universale Kraft oder als Weltprinzip. Dadurch wird eine persönliche Beziehung zu ihm unmöglich.

Das Verhältnis zu Gott ist nicht leicht zu fassen, es bleibt ein Geheimnis. Darum ist es gut, dass von den Autoren der Bibel sehr unterschiedliche Bilder verwendet werden, um die Beziehung zwischen Gott und Mensch zu beschreiben. Es lassen sich immer nur einzelne Aspekte zur Anschauung bringen. Ein solcher, wenn auch, wie ich meine, wesentlicher Aspekt, kommt im Bild von Herr und Sklave zum Ausdruck.

Dieses Bild ist in Theologie und Kirche aus der Mode gekommen. Woran liegt das? Das Gleichnis beschreibt ein Arbeitsverhältnis, das zumindest in unseren Breiten – glücklicherweise – schon lange überwunden ist. Aber auch in Israel war dieses Arbeitsverhältnis z.Zt. Jesu keineswegs die Regel. Wohl nur in Jerusalem und anderen größeren Städten gab es hellenistische Sklaven. Genauso wenig befanden sich die Jünger Jesu in einem solchen Abhängigkeitsverhältnis. Sie kamen meist aus dem Mittelstand. Wenn Jesus dieses Bild dennoch verwendet, muss es in seinen Augen besonders gut geeignet gewesen sein, um das, was er sagen wollte, seinen Zuhörern und Zuhörerinnen deutlich zu machen. Heute wirkt es angesichts der normalerweise gebrauchten Bilder für das Verhältnis von Gott und Mensch anstößig, weil es allgemein anerkannte Selbstverständlichkeiten in Frage stellt.

Lukas stellt ausdrücklich fest, dass Jesus dieses Gleichnis den Aposteln als dem engsten Jüngerkreis erzählt hat. Gerade von ihnen erwartet Jesus also die darin beschriebene Stellung zu Gott. Dass die Apostel das Bild verstanden und aufgegriffen haben, zeigen die neutestamentlichen Briefe. Vor allem Paulus bezeichnet sich immer wieder als doulos Christou Jesu (Röm 1,1), als Sklave Christi Jesu. Seit seiner Berufung durch den Auferstandenen vor Damaskus kann er gar nicht anders, als diesem zu dienen. Ein göttliches „Muss“ bestimmt fortan sein Leben. Ganz wie die alttestamentlichen Propheten erfährt sich Paulus als von Gott ergriffen und in seinen Dienst gestellt. Fortan gilt sein gesamter Einsatz der Verkündigung des Evangeliums.

Ich kenne keinen, der so eindrucksvoll wie Dietrich Bonhoeffer zum Ausdruck gebracht hat, dass dieser Dienst für Gott kein Spaziergang ist. Am Schicksal des Propheten Jeremia beschreibt Bonhoeffer in einer Predigt sein eigenes Selbstverständnis – selbst ein von Gott in Dienst Genommener zu sein: Jeremia hat sich nicht dazu gedrängt, Prophet Gottes zu werden. Er ist zurück geschaudert, als ihn plötzlich der Ruf traf; er hat sich gewehrt, er wollte ausweichen. Aber auf der Flucht vor Gott packt ihn der Ruf. Er kann sich nicht mehr entziehen, es ist um ihn geschehen, Gott hat sein Opfer. Aber damit nicht genug. Jetzt beginnt es erst. Das Wort, das Jeremia so unwiderstehlich berufen hat, wird plötzlich zum Wort der Liebe des Herrn, der nach seinem Geschöpf verlangt. Auch wenn Jeremia nicht mehr will, überwindet Gott seinen Widerstand, sein Herz immer wieder neu: Konnten wir wissen, dass deine Liebe so weh tut, dass deine Gnade so hart ist?

Das Gleichnis Jesu vom Herrn und Sklaven bringt etwas von dieser Unbedingtheit des Dienstes für Gott zum Ausdruck: Gottes Gnade kann furchtbar hart sein. Ja, Gottes Nähe wird dem Menschen manchmal zuviel. Es geht ihm über seine Kraft. Er denkt: O hätte ich es nie mit Gott angefangen. 

Die Anstößigkeit des Gleichnisses zeigt sich also nicht nur an der Undankbarkeit des Herrn gegenüber seinem Knecht, sondern auch am darin verwendeten Bild für die Beziehung zwischen Gott und Mensch. Umso dringender stellt sich die Frage: Enthält das Gleichnis auch noch wirkliches Evangelium, echte frohe Botschaft? Ich denke ja. Darüber möchte ich nun noch sprechen.

 

3. Die Verheißung des Dienstes

 

„Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.“ Wer sich diese Einstellung zueigen macht, kann zu einer ungeahnten Freiheit finden. Warum? Zunächst deshalb, weil er damit seinem Menschsein entspricht. Weil Gott Gott ist und mir das Leben gegeben hat und täglich erhält, hat er ein Recht auf meinen Dienst für ihn! Das meint Martin Luther, wenn er im Kleinen Katechismus schreibt: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält … für all das ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin.“ Schon deshalb, weil Gott mich geschaffen hat, bin ich also schuldig, ihm zu dienen. Nicht: Wie dankbar kann Gott dafür sein, dass er mich als seinen Mitarbeiter oder als seine Mitarbeiterin gewonnen hat. Umgekehrt ist es richtig: Es ist Gottes gutes Recht an mich, dass ich ihm aus Dankbarkeit mit meinen Fähigkeiten diene. Soweit die erste frohe Botschaft des Gleichnisses.

Und dann befreit mich die Selbstverständlichkeit meines Dienstes für Gott vom Schielen auf Erfolg, Anerkennung und Lohn. Hinter allen dreien verbergen sich nämlich handfeste Gefangenschaften. Wer je schon einmal im normalen Wirtschaftsleben tätig war, wird erlebt haben, wie sich dort in zunehmendem Maße alles um Erfolg und Gewinnmaximierung dreht. Die Globalisierung der Wirtschaftsmärkte führt dazu, dass ein Unternehmen nur bei permanenter Steigerung des Gewinns konkurrenzfähig bleibt. Gerät ein Betrieb in die roten Zahlen, ist er schnell am Ende. Die Konsequenz ist, dass je nach Größe es Unternehmens Hunderte von Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Welche knallharten Mechanismen heute im Bereich der Wirtschaft herrschen, lässt sich gerade am Arbeitsplatzabbau bei Opel erleben.

Im Dienst für Gott herrschen andere Maßstäbe. Bemerkenswert ist, dass Jesus im Gleichnis keinen tyrannischen Herrn zeichnet. Der Sklave ist einfach zur Feld- und Hausarbeit verpflichtet. Er wird nicht gehetzt, er hat nur zuerst und in völlig üblicher Weise seinen Herrn zu versorgen. Danach ist er an der Reihe. Dem Sklaven fehlt nichts an Essen und Trinken. Er hat genug. Wir finden hier die normalen Züge einer Abendmahlzeit von Sklave und Herr.

Weiter: Der Herr verlangt nichts Außergewöhnliches von seinem Knecht. Auch das eine frohe Botschaft. Jeder kann und soll in der Nachfolge Jesu Christi tun, was seinen Begabungen entspricht. Nikolaus Ludwig von Zinzendorf hat das einprägsam wie folgt formuliert: „Wir mögen die Leute nicht gedrechselt … Wer eine Tulpe ist, von dem soll man nicht begehren, wie eine Rose oder Nelke zu riechen … Wir müssen ein Pferd so wenig singen lernen als die Lerche wiehern.“

Jesus wirbt im Gleichnis um seine Jünger. Er lädt sie ein, ihm zu vertrauen und absichtslos – ohne alle Berechnungen und Bedingungen – Gott zu dienen. Dass er ihnen damit ein vollkommen neues, sorgloses Leben eröffnen will, zeigt die Bergpredigt. Allerdings gilt hier wie überall im Leben das Sprichwort: „No risk, no fun“ – ohne Risiko kein Spaß. Nur wer es wagt, sich Christus mit seinem ganzen Leben anzuvertrauen, wird erfahren, dass es auch Spaß macht, Gott zu dienen. Ja, es macht Freude, Jesus Christus nachzufolgen: Die Nachfolge eröffnet z.B. ganz neue, unerwartete Lebensdimensionen.

Ich stamme aus einer unkirchlichen Familie. Noch nie gab es in ihren Reihen einen Theologen. Die Mitarbeit in der Kirche wurde als ein zu gänzlicher Erfolglosigkeit verurteiltes Tun betrachtet. Als ich während der Schulzeit in der Oberstufe Christ wurde, war mir trotzdem sofort klar, dass ich Theologie studieren sollte. Die Verwunderung und der Widerstand meiner Familie waren groß. Und doch sind mir seitdem Welten aufgegangen, die ich mir nie hätte träumen lassen. Am größten war meine Freude darüber, an allen Orten auf der Welt und in allen Konfessionen Brüder und Schwestern zu finden, die mit mir den gleichen Weg gingen – hineingestellt zu sein in eine weltweite christliche Gemeinschaft.

Aber man muss eben weit genug gehen, um die Freude der Nachfolge zu erleben. Noch einmal Zinzendorf: „Es muß immer ein bißchen Treue, immer ein bißchen Wagen dabey seyn, daß es gegläubt heisse.“

Noch ein letzter Gedanke: Ein wichtiger reformatorischer Grundsatz für die Schriftauslegung lautet: scriptura sacra sui ipsius interpres – die Schrift legt sich selber aus. Nach dem Joh hat Jesus vor dem Abendmahl seinen Jüngern die Füße gewaschen. Eine in antiken Augen nur schwer verständliche Zeichenhandlung, wie die abwehrende Reaktion des Petrus erkennen lässt. Von der Fußwaschung her fällt noch einmal ein neues, überraschendes Licht auf unser Gleichnis: Bevor wir Jesus dienen können, muss er uns dienen. Vielleicht das deutlichste Zeichen dafür ist das Abendmahl. In ihm lädt Jesus uns als seine Gäste zu Tisch. In Brot und Wein versichert er uns seiner Gegenwart und gibt uns Kraft für die Herausforderungen der kommenden Woche. 

Amen

Und der Friede Gottes …                                                                   HD Dr. Peter Zimmerling

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Letzte Änderung: 22.03.2016
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