25.05.2003 Prof. Dr. Michael Welker - über Joh 16, 28b-33

Johannes 16, 23-33

Predigt in der Peterskirche zu Heidelberg, am Sonntag Rogate, 25. Mai 2003

Michael Welker



23. Und an jenem Tag (wenn ich euch wiedersehen werde) werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bittet, so wird er es euch geben.

24. Bis jetzt habt ihr nichts in meinem Namen erbeten; bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen sei.

25. Dies habe ich in verhüllter Rede zu euch gesagt. Es kommt die Stunde, in der ich nicht mehr in verhüllter Rede zu euch sprechen werde, sondern euch unverhüllt den Vater verkündigen werde.

26. An jenem Tag werdet ihr in meinem Namen bitten, und ich sage nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde;

27. Denn er selbst, der Vater, liebt euch, weil ihr mich geliebt habt und geglaubt habt, daß ich von Gott ausgegangen bin.

28. Ausgegangen bin ich vom Vater, und gekommen bin ich in die Welt; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.

29. Seine Jünger sagten: Siehe, jetzt redest du unverhüllt und sprichst nicht mehr in verhüllter Rede.

30. Jetzt wissen wir, daß du alles weißt und auf niemanden angewiesen bist. Deswegen glauben wir, daß du von Gott ausgegangen bist.

31. Jesus antwortete ihnen: Jetzt glaubt ihr?

32. Siehe, es kommt die Stunde, und sie ist sogar schon gekommen, daß ihr zerstreut werdet, jeder für sich allein, und daß ihr mich allein laßt; doch ich bin nicht allein, weil der Vater bei mir ist.

33. Dies habe ich euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst (Bedrängnis); aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden (besiegt).

 

 

Da ist sie wieder, liebe Gemeinde, die beschwörende, geradezu narkotisierende Stimme des Johannes: Ich und der Vater sind eins; ich komme vom Vater; ich gehe zum Vater; der Vater ist bei mir; wer mich sieht, der sieht den Vater; der Vater liebt, ehrt und verherrlicht mich, so wie ich ihn liebe, ehre und verherrliche. Diese innergöttliche Gemeinschaft und Liebe zwischen mir und dem Vater aber ist offen. Sie ist offen für euch. Bleibt an mir. Haltet fest an meinem Wort. Liebt Gott und liebt einander, so wie Gott in der innergöttlichen Liebe liebt. Dann wird eure Freude vollkommen sein, dann findet ihr Trost, dann findet ihr Frieden.

 

Tiefgründig klingen diese Worte. Doch können sie uns wirklich erreichen? Wohin wollen sie uns führen? Wirken sie nicht auch dunkel, berauschend, geradezu Ratlosigkeit auslösend? Wie, bitte, kommen wir heran, wie kommen wir hinein in diese Gemeinschaft, diese Liebe? Wie gewinnen wir Anteil an dieser göttlichen Kraft, an diesem göttlichen Licht?

 

Viel klarer erscheint demgegenüber die andere Stimme, die Stimme der Angst der Welt. Viel deutlicher sprechen die vielen kleinen und großen Sorgen, aber auch die tiefen Bedrängnisse und Bitterkeiten, selbst das meist verdrängte Grauen der Welt und die Kälte des Kosmos. Ganz konkret melden sich in der Universitätsstadt für viele von uns erst einmal die Sorgen, die Prüfungen und Examen zu bestehen, gut genug abzuschneiden im Lernen und im Lehren, weiterzukommen im Studium und in der Forschung. Aber auch die Sorgen, die richtige Partnerin oder den passenden Partner zu treffen, die große Liebe zu finden, sie leben und erhalten zu können, bewegen viele von uns. Natürlich teilen wir auch die Sorgen um die Gesundheit, die Karriere und das Wohlergehen unserer Eltern und Geschwister, unserer Verwandten und Freunde, später unserer Kinder und Kindeskinder. Und dieser Fluß der Sorgen, der Welle auf Welle an Bedrängnissen bringt, wälzt sich fort in das abgründige Meer der Ängste der Welt, das uns von allen Seiten umgibt.

 

Erodieren die gemeinschaftsstiftenden Kräfte um uns herum? Zerrütten Politik, Markt und Medien die Beziehungen zwischen den Völkern, Weltanschauungen und Weltreligionen? Müssen wir uns auf immer mehr Kriege, immer mehr Terror und Haß gefaßt machen? Fügen wir unseren natürlichen und kulturellen Umgebungen immer mehr irreparable Schäden zu? Ist unser ganzes Leben und Streben von letzter Haltlosigkeit, Vergeblichkeit und Sinnlosigkeit umgeben? - In der Welt habt ihr Angst, ja, in der Welt lebt ihr in Bedrängnis. Doch gibt es einen Ausweg? Bieten die beschwörenden Worte des Johannes diesen Ausweg? Bieten sie nicht nur wolkige Vorstellungen, eine religiöse Droge? Verweisen sie auf ein wirkliches Licht?

 

"Wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bittet, so wird er es euch geben. Bis jetzt habt ihr nichts in meinem Namen erbeten; bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen sei." Ist die Bitte in Jesu Namen die Antwort auf die Frage nach dem Licht? Aber wie kann die Bitte im Namen Jesu so große Dinge tun: ein unverhülltes Verhältnis zu Gott; Gewißheit der Erfüllung unserer Bitte; Teilhabe an der göttlichen Liebe; vollkommene Freude. Müssen wir uns einer abstrakten Autorität Jesu unterstellem? Du kommst vom Vater - du gehst zum Vater - du hast alle Macht! Ist damit alles klar? Die Jünger Jesu sind offensichtlich von dieser Autorisierung und Autorität Jesu angetan. Jetzt redest du offen; jetzt glauben wir an dich! Jesus aber bremst sie, ernüchtert sie. Ihr werdet
zerstreut werden. Jeder in das Seine. Ihr werdet mich verlassen. Ihr werdet die Angst der Welt erfahren. Doch dann schließt er mit dem Trost: In mir aber werdet ihr Frieden finden. "Dies habe ich euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt ... Seid getrost, ich habe die Welt überwunden", ich habe sie besiegt.

 

Was heißt es, im Namen Jesu zu bitten? Ganz sicher kann dies nicht heißen, irgendwelche Bitten an Gott zu richten und sie mit der Floskel zu versehen: Wir bitten im Namen Jesu. Das leuchtet uns unmittelbar ein: Es geht nicht um religiösen Übermut, der sich an einen himmlischen Weihnachtsmann richtet. Geschmacklos, ja blasphemisch würde es uns anmuten, wenn jemand Gott im Namen Jesu um einen Lottogewinn oder um ein größeres Auto bitten würde. Komplizierter ist die Lage bei den Bitten, die sich an eine himmlische Feuerwehr wenden; bei den Bitten, die tatsächlich aus der Angst der Welt erwachsen. Können wir hier den Namen Jesu einsetzen, um geradezu magisch die göttliche Erfüllung zu beeinflussen? Ist dies mit dem gesuchten Licht der Hoffnung angesichts der Angst der Welt gemeint?

 

Wenn wir ernsthaft nach einer Antwort suchen auf die Frage: Was heißt es, im Namen Jesu zu bitten? so können wir uns an das Vaterunser halten.

 

Dein Name werde geheiligt! Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden

... Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Die Bitte, Gott möge seine Heiligkeit und Herrlichkeit erweisen, ist das A und O der Bitte im Namen Jesu. Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe! Unbedingtes Gottvertrauen spricht sich hier aus. Auf diesem Bitten zu Gott liegt die Verheißung, es wird erhört werden.

 

Unser täglich Brot gib uns heute. Welch eine Bescheidenheit drückt sich in dieser Bitte aus, jedenfalls in unserer Weltgegend. Nur das tägliche Brot und nur heute; das aber heißt, daß wir diese Bitte morgen wieder aussprechen werden. Mit dieser Bitte erkennen wir die elementarsten Lebensgrundlagen als Geschenk. Sie sind keine Selbstverständlichkeit, keine Routine. Doch beten und leben wir tatsächlich so - in täglicher Bitte und täglicher Dankbarkeit?

Sind wir nicht vielmehr Welten entfernt vom jesuanischen Ethos: Sorget nicht für den morgigen Tag? Können wir uns wenigstens hineinversetzen in diejenigen, für die das tägliche Brot heute tatsächlich ein Himmelsgeschenk ist? Wollen wir so bescheiden werden in unserem Bitten zu Gott?

 

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern! Wie ernst sprechen wir diese Bitte aus? Wie ausgeprägt und durchgebildet sind unser Friedenswille, unsere Bereitschaft, eigene Schuld wahrzunehmen und anzuerkennen - sie vor Gott zu bringen? Wie groß ist unsere Kraft einzugestehen, daß wir der Vergebung bedürftig sind? Wie ausgeprägt und durchgebildet ist unsere Bereitschaft, unseren Mitmenschen zu vergeben? Schuld anerkennen, um Vergebung bitten, selbst vergeben. Das fällt uns schon äußerst schwer. Doch die Bitten im Namen Jesu kennen noch viel größere Gefahren als die, nicht eigene Schuld erkennen und nicht vergeben zu können. Sie kennen noch größere Gefahren als die Fallen von Gewalt und Gegengewalt, von Rache und Vergeltung.

 

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen! Ein Lieblingsthema moderner Religiosität und religiöser Skepsis ist das sogenannte Theodizee-Problem. Wie können wir Gott rechtfertigen angesichts des von Gott zugelassenen Übels und des Bösen in der Welt? Wie kann der christliche Glaube inmitten der nur zu berechtigten Angst der Welt Gott einerseits Liebe und Güte, andrerseits Allmacht und Allwissenheit zuerkennen? Löst sich vor dem evidenten Leiden und Übel in der Welt der Glaube an Gott nicht auf? Widerlegt die Existenz des Bösen nicht die Existenz des allmächtigen Gottes und damit die Existenz Gottes überhaupt?

 

Das Bitten in Jesu Namen geht respektvoller mit Gott um. Es fragt nicht: Warum hast du uns nicht als Götter geschaffen und die Erde nicht als Paradies? Es verdrängt nicht, daß wir Menschen selbst Religion und Recht, Politik und Moral, Kultur und Bildung pervertieren und zum Bösen gebrauchen können. Das Bitten im Namen Jesu respektiert die Differenz von Schöpfer und Schöpfung. Es sieht und respektiert: Indem Gott das Außergöttliche schafft und ihm Eigenständigkeit und Freiheit gewährt, gibt er auch dem Widergöttlichen Raum. Damit setzt Gott uns der Bedrohung durch das Böse aus. Obwohl das Böse keine Gott gleichwertige Macht ist, ist es doch so stark, daß wir Gottes erlösender Hilfe bedürfen, um davon befreit zu werden.

 

Wir selbst sind nicht stark genug, uns von der Macht des Bösen zu befreien. Ja, schlimmer noch: Gott kann uns mit dem Bösen konfrontieren, uns in seine Nähe bringen. Was die Theodizee als ein schmähliches Versagen Gottes ansieht oder sogar als Beweis seiner Ohnmacht und Nicht-Existenz wird vom Bitten im Namen Jesu als Anfechtung, Prüfung oder Versuchung wahrgenommen. Die Gewißheit, daß Gott die Macht des Bösen in Christus gebrochen hat und daß er auch uns vom Bösen erlösen kann und erlösen wird, muß alle Bitten im Namen Jesu begleiten.

 

Gottes Wille ist nicht deckungsgleich mit unserem Willen. Gottes Sicht der Welt richtet sich nicht einfach nach dem, was wir uns als ideale und optimale Welt erträumen. Gott ist auch der Gott der Geschöpfe, die wir als unsere Feinde ansehen und möglicherweise hassen und bekämpfen. Gottes Wege sind weiter und weitsichtiger angelegt als unsere Wege. Im Namen Jesu können wir Gott nicht bitten, uns nur auf den Wegen zu führen, die unseren eigenen Vorstellungen entsprechen und uns immer zusagen. Wir können aber Gott bitten, uns Prüfungen, Anfechtung und Versuchung zu ersparen und uns und die ganze Schöpfung vom Bösen zu erlösen.

 

Jesu Botschaft nach dem Zeugnis des Johannes sagt nicht nur: Ihr könnt Gott um diese göttliche Führung bitten. Sie verheißt uns auch: diese Führung wird euch zuteil werden. Wenn ihr in meinem Namen bittet, werdet ihr erhört werden. Euer Gebet wird erhört werden.

 

Das Vaterunser ist nicht eine eiserne Regel, die uns abschließend und ausschließend sagt, was wir in Jesu Christi Namen von Gott erbitten können und was nicht. Das Vaterunser kann uns aber helfen, die angemessene Haltung, den richtigen Ton Gott gegenüber zu finden. Abgründiges Vertrauen in Gottes Liebe und Güte, aber auch Respekt, Demut und Bescheidenheit - in dieser Haltung können wir alle möglichen religiösen Wunschvorstellungen von den Bitten unterscheiden lernen, die wirklich im Namen Jesu gesprochen werden. Lernen wir in seinem Namen zu bitten, so ist uns die Erhörung zugesagt. Es ist uns zugesagt: Wenn ihr lernt, in Jesu Namen zu bitten, so könnt ihr die vollkommene Freude an Gott erlangen. Ihr findet das Licht, das in die Finsternis leuchtet. Ihr findet den Frieden, der die Angst der Welt überwindet.

Amen.

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Letzte Änderung: 22.03.2016
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