Edmund Schlink

Biographie
Rezeption und Wirkung
Gründung des Ökum. Instituts und Wohnheims

Biographie Edmund Schlink (1903-1984)

 

Edmund Schlink kam am 6. März 1903 in Darmstadt als Sohn des Hochschulprofessors Wilhelm Schlink und seiner Frau Ella geborene Heuser zur Welt. Edmund Schlinks Schwester Klara, die Gründerin der Marienschwesternschaft (1904–2001 „Mutter Basilea“), empfing von der pietistischen Prägung ihrer Mutter stärkere Impulse als ihr Bruder. Ab 1922 studierte Schlink anfangs verschiedene Fächer und nach einer Krise, die er durch die Hinwendung zum christlichen Glauben überwand, Theologie. Seine psychologisch-philosophischen und theologischen Studien beendete er 1927 und 1930 mit Promotionen in beiden Fächern über Persönlichkeitsänderungen in Bekehrungen und Depressionen sowie das Problem der natürlichen Religion. 

 

Nach theologischen Examina und Vikariat in Hessen wurde Schlink 1933 Hochschulassistent in Gießen. 1932 hatte er Elisabeth Winkelmann geheiratet, nach deren plötzlichem Tod 1938 die Schweizerin Irmgard Oswald. Aus beiden Ehen gingen vier Kinder hervor. In Gießen wurde Schlink 1934 mit einer Arbeit zur Anthropologie, Der Mensch in der Verkündigung der Kirche, habilitiert. Er besaß nun die universitäre Lehrerlaubnis, die ihm aber nach kurzer Zeit wegen seiner Mitgliedschaft in der Bekennenden Kirche wieder entzogen wurde. Daher folgte er 1935 dem Ruf an die Theologische Schule der Bekennenden Kirche in Bethel bei Bielefeld. Diese wurde jedoch schon 1939 durch die Geheime Staatspolizei geschlossen. Schlink arbeitete daher weiter als Vereinsgeistlicher von Bethel und verwaltete bis Kriegsende Pfarrstellen in Dortmund und Bielefeld. In der Betheler Zeit entstand Schlinks Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, die ihn nach Kriegsende international als Lutheraner bekannt machte.


Kurz nach dem Ende des 2. Weltkrieges wurde Schlink 1945 in die westfälische Kirchenleitung berufen, er leitete das Predigerseminar der Landeskirche und unterrichtete an der Theologischen Schule in Bethel. Neben anderen hat Schlink die Kirchenführerkonferenz von Treysa vorbereitet und der neu zu errichtenden Evangelischen Kirche in Deutschland bleibende Impulse für deren doppelte Ausrichtung an Bekenntnis und Ökumene vermittelt.


Schon im Frühjahr 1946 wurde er auf den Lehrstuhl für Systematische Theologie an der Universität Heidelberg berufen. Interkonfessionelle Begegnungen im Kirchenkampf und Erfahrungen während der Kriegszeit waren für Schlink der Anstoß, sich im Lehramt der ökumenischen Aufgabe zuzuwenden. Er gründete noch im selben Jahr das erste Ökumenische Institut an einer deutschen Universität. Im Institut sollten die Theologie der Kirchen und ihre Einigungsbestrebungen wissenschaftlich untersucht werden. Damit sollte es – und ebenso das später neu errichtete Studentenwohnheim – der Annäherung der Kirchen und der Begegnung ihrer Mitglieder dienen. 
1953 auf 1954 amtierte Schlink als Rektor der Universität. Schon bald arbeitete er in zwei wichtigen ökumenischen Gremien mit: dem Ökumenischen Arbeitskreis katholischer und evangelischer Theologen sowie in der Theologischen Kommission für das Abendmahlsgespräch der Evangelischen Kirche in Deutschland.


Als Gründer und Mitherausgeber prägte er seit den 1950er Jahren die Zeitschriften Ökumenische Rundschau undKerygma und Dogma. Für seine Verdienste um Theologie und Kirche erhielt er 1947 und 1953 die Ehrendoktorwürde der Universitäten von Mainz und Edinburgh sowie 1962 des Institut de Théologie Orthodoxe Saint–Serge in Paris.


Auf internationaler Ebene war Schlink Mitglied der Studienabteilung des Ökumenischen Rates der Kirchen und der ÖRK–Kommission für Glauben und Kirchenverfassung. Als Referent und Mitglied des Kuratoriums von 1954 bis 1975 arbeitete er an der Graduate School des Ökumenischen Instituts Bossey in Céligny mit. Darüber hinaus beteiligte er sich als Mitglied des Akademischen Senats von 1971 bis 1980 an der theologischen Forschung des Ökumenischen Instituts für fortgeschrittene theologische Studien in Tantur / Jerusalem. 
Als Delegierter nahm Schlink 1948 an der ersten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam teil. Er war auch Mitglied des Drafting Committee der ersten Kommission und der Kommission für die Botschaft der Vollversammlung. Er wirkte durch Vorträge auch auf der dritten Vollversammlung der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung in Lund 1952 mit und auf der zweiten Vollversammlung des ÖRK in Evanston 1954. Sein Vortrag über „Die Bedeutung der östlichen und westlichen Traditionen für die Christenheit“ auf der Tagung des Zentralausschusses des ÖRK auf Rhodos 1959 stieß bei den Ostkirchen auf breite Zustimmung. Schlink beteiligte sich auch an den offiziellen Gesprächen zwischen der EKD und der Russisch-Orthodoxen Kirche.


Die dritte Vollversammlung des ÖRK 1961 steht im Schatten des Zweiten Vatikanischen Konzils ab 1962. Im Herbst 1961 besuchte Schlink im Auftrag der EKD erstmals das Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen in Rom. Als offizieller Beobachter der EKD nahm Schlink am Konzil teil und berichtete dem Rat der EKD von seinem Verlauf. Seine Berichte veröffentlichte er 1966 in dem Buch Nach dem Konzil. 1968 besuchte er die vierte Vollversammlung des ÖRK in Uppsala; 1969 erschien Die Lehre von der Taufe als Teil des umfangreichen Taufbandes im praktisch-theologischen Handbuch Leiturgia und als Separatdruck. 
1971 wurde Schlink in Heidelberg emeritiert, seine Lehrtätigkeit war durch die politisierte Studentenschaft in den vorangegangenen Jahren erschwert worden. Zehn Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil veröffentlichte er unter dem Pseudonym „Sebastian Knecht“ 1975 die Erzählung Die Vision des Papstes. Durch diesen Roman möchte Schlink das ökumenische Engagement in einer Zeit, die schon von Krise und Stillstand der ökumenischen Bewegung sprach, fördern.


Auch im Ruhestand arbeitete Schlink weiter an ökumenischen Fragestellungen. Er nahm an der Arbeitsgemeinschaft ökumenischer Universitätsinstitute teil und erforschte im Vorfeld des Jubiläums von 1980 die ökumenische Bedeutung des Augsburger Bekenntnisses. Der Ökumenische Arbeitskreis veröffentlichte ab 1982 die Reihe Dialog der Kirchen, in der Schlink gemeinsam mit Karl Lehmann zwei Bände zu Ekklesiologie und Abendmahlslehre veröffentlichte. Neben der Gremientätigkeit stellte Schlink in Heidelberg seine abschließendes Hauptwerk, die Grundzüge der Ökumenischen Dogmatik, aus. Schon in seiner Betheler Zeit hatte Schlink angekündigt, der Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften eine Dogmatik folgen lassen zu wollen. Erst 1983 erschien es in erster Auflage, weil die Lehrtätigkeit, das Zweite Vatikanische Konzil sowie weitere Konferenzen und Tagungen seine Zeit beanspruchten.


Edmund Schlink starb am 20. Mai 1984. Schlinks Schwiegersohn, der frühere badische Landesbischof Klaus Engelhardt, hielt die Beerdigungsansprache. In der universitären Gedenkveranstaltung am 5. Dezember desselben Jahres würdigten der Dekan der Theologischen Fakultät, Gerhard Rau, und der Nachfolger auf Schlinks Lehrstuhl, Dietrich Ritschl, das Lebenswerk des Verstorbenen. Nicht nur die Übersetzung seiner Hauptschriften, sondern auch zahlreicher kleinerer Abhandlungen und Aufsätze bezeugt die internationale Wirksamkeit seines Werkes schon zu seinen Lebzeiten. Auf einer Gedenkfeier am 13.2.2003 zum 100. Geburtstag Edmund Schlinks würdigte der damalige Leiter des Ökumenischen Instituts, Christoph Schwöbel, die Ökumenische Dogmatik. Schlinks Frau Irmgard verstarb am 6. März 2006. 
 

 

- Dr. Jochen Eber -

 

Rezeption und Wirkung von Edmund Schlink

 


In einer Zeit des kurzen ökumenischen Gedächtnisses die Wirkung des ökumenischen Dogmatikers Edmund Schlink zu bewerten, ist nicht ganz leicht. Andererseits hat schon allein die Neuausgabe seiner “Schriften zu Ökumene und Bekenntnis”, Göttingen 2004 ff signifikante Bedeutung. Der Lehrer der “Bekennenden Kirche”, der Professor für Dogmatik und Ökumenik und Direktor des Ökumenischen Instituts in Heidelberg, der wissenschaftliche Leiter des “Stählin-Jäger-Kreises”, der Vorsitzende des DÖSTA,  der Teilnehmer an den bilateralen Gesprächen der EKD und des russisch-orthodoxen Patriarchats Moskau seit den Anfängen nach dem II. Weltkrieg, der offizielle Beobachter der EKD beim II. Vatikanischen Konzil, das Mitglied der “Faith-and-order”- Arbeit des ÖRK, der frühere Rektor der Heidelberger Universität und Mitverantwortliche für die interdisziplinäre Sozietät der Universität Heidelberg usw.  hat sein Gestalten, Forschen und Lehren in zahlreichen Büchern bedacht und weitergegeben. Und vieles bleibt: nicht zuletzt sein Lebenswerk die konfessorisch, eschatologisch und doxologisch strukturierte “Ökumenische Dogmatik”. Immer wieder wird sie heute von Studierenden als “Entwurf” beim I. Theologischen Examen gewählt.

Das Evangelium, d. h. der gegenwärtig Heil und Heilung schenkende Christus, in dem sich der dreieine Gott durch den heiligen Geist heute und in alle Zeit offenbart, ist die “Voraussetzung kirchlicher Lehre” und kirchlichen Lebens, wie dann die Studie der “Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE)” “Die Kirche Jesu Christi” (1994) expliziert. Jesus Christus erweist sich als das Epizentrum des Heils der Menschen. Oder in Edmund Schlinks planetarischem Modell für die “kopernikanische Wende” ökumenischer Methodologie gesprochen: um Jesus Christus als Sonne kreisen wie die Planeten die verschiedenen Kirchen und empfangen von ihm Licht, Wärme und Lebenskraft (Ökumenische Dogmatik 695f).


Die verschieden gelebten und strukturierten  Antworten des christlichen Glaubens auf das Evangelium, manifestieren sich als “Einheit in Mannigfaltigkeit” - wie schon in den neutestamentlichen Schriften  bezeugt - und als “Mannigfaltigkeit in Einheit” der verschiedenen Gestalten der einen geglaubten und bekannten Kirche Jesu Christi. Der Lobpreis des dreieinen Gottes erschließt die Gemeinschaft der Christen und Kirchen an allen Orten. “Erst von der Mitte des doxologischen Bekenntnisses her erhalten diese Differenzen ihren angemessenen Stellenwert im Lebensgefüge der einen Kirche.” (Ökumenische Dogmatik, 791). Die Doxologie, kennzeichnend für den Gottesdienst der orthodoxen Kirche, erfuhr so neben dem “Schuldbekenntnis”, dem “Bittgebet”, dem “Zeugnis” und der denkend verantworteten “Lehre” konstitutive Bedeutung für ökumenisches Lehren und Leben. Das Modell der Gemeinschaft der Ortskirchen in der mit dem Nizäno-Konstantinopolitanum (381) bekannten “einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche” ist damit angezeigt.


Edmund Schlink unterschied von exegetischen Forschungen her zwischen der apostolischen Nachfolge der Kirche Jesu Christi in Zeugnis, Lehre und Leben im weiten Sinn und der episkopalen Sukzession der Ämterfolge im engen Sinn. Die letztere kann “Zeichen“, nicht “Garantie”, der Apostolizität der Kirche sein; folglich leben die reformatorischen Kirchen in der apostolischen Nachfolge ihres auferstandenen Herrn, wie gemeinsam mit allen Christen und den meisten Kirchen im Nizäno-Konstantinopolitanum bekannt.  Nicht nur in das “Ämtermemorandum” (1973), sondern auch in die nachhaltig wirkende Konvergenzerklärung des ”Lima-Dokumentes” (1982) fanden diese theologischen Erkenntnisse - wie auch die zum “Opfer”-Verständnis des Abendmahls - Eingang.  Dies gilt entsprechend für die Dialogergebnisse des “Lutherischen Weltbundes”  und “Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen “ etwa in “Das Geistliche Amt in der Kirche” (1981) und “Das Herrenmahl” (1978).
 
Entsprechend jahrelanger Vorarbeiten hat Edmund Schlink in der “Ökumenischen Dogmatik” Kapitel XXII: ”Erkenntnis der einen Kirche in der uneinigen Christenheit” und “Darstellung der einen Kirche in der Einigung der getrennten Kirchen” (673ff) methodische Schritte des weiteren ökumenischen Dialogs genannt. Es handelt sich um Schritte, denen im Blick auf die Aufhebung der gegenseitigen Anathematismen  die von Papst Johannes Paul II. 1980 bei seinem Besuch in Mainz kreierte “Gemeinsame Ökumenische Kommission” zu “Lehrverurteilungen - kirchentrennend?” entsprach. Jahrelange ökumenische Arbeit in evangelischen Gemeinden und Landeskirchen in Deutschland ließen 1994 den Ratsvorsitzenden der EKD Landesbischof Dr. Klaus Engelhard dem Papst die “Gemeinsame evangelische Stellungnahme zum Dokument ‘Lehrverurteilungen - kirchentrennend?’” überreichen.


Wohl steht eine entsprechende Erklärung römisch-katholischerseits noch aus, doch haben sowohl die methodischen Schritte, als auch die inhaltlichen Überlegungen Edmund Schlinks zu den ökumenischen Problemkreisen der Rechtfertigungslehre in der “Ökumenischen Dogmatik”, S. 422ff, 432, 473, 649, 664) indirekt den Lehrgesprächsprozess und die Feststellung der “Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre” zwischen “Lutherischem Weltbund” und dem “Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen” vom 31. 10. 1999 bestimmt. Diesen Meilenstein auf dem ökumenischen  Weg  der sichtbaren Einheit der Kirchen als Gemeinschaft in versöhnter Verschiedenheit durch den “differenzierten Konsens” ist 2006 auch der methodistische Weltrat in Seoul verbindlich gefolgt.

Das ökumenisch-theologische Gedächtnis ist oft kurz - gerade in spannungsvollen Zeiten der Ökumene und der ökumenischen Theologie zwischen Differenz - und Konsensökumene, Rückkehrökumene und “Ökumene der Profile”, “ökumenischem Stillstand” und “ökumenischem Aufbruch”. Gerade in solchen Zeiten ist es hilfreich, einen “Klassiker” ökumenischer Theologie und ökumenischen Lebens wie Edmund Schlink zu er-innern und im Blick auf neue Perspektiven von ihm zu lernen.
 

- Prof. Dr. Michael Plathow -

 

Gründung des Ökumenischen Instituts und Wohnheims: ein persönlicher Erfahrungsbericht

 

I. Persönliche Einleitung

Ich weiß nicht, ob es Ihnen ähnlich geht, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich erst nach einem zeitlichen Abstand, gleichsam im Nachhinein, oftmals Jahre später, die wahre Bedeutung, die geistig-moralische Qualität und menschliche und fachliche Kompetenz einer mir nahestehenden oder gut bekannten Person erst richtig erkannt habe. Erst post festum, nachher, im Rückblick wurde mir bewusst: das war oder das ist ja in der Tat doch eine besondere Person, ein außergewöhnlicher Mensch. Mir ist diese Erkenntnis im Nachhinein deutlich geworden am Beispiel von Professor Edmund Schlink und seinem ökumenischen Institut und Studentenwohnheim.  Als Student, Doktorand und Assistent Schlinks befand ich mich in einer Situation respektvoller Abhängigkeit, aus der heraus eine Beurteilung des verehrten und auch ein wenig gefürchteten Lehrers nicht möglich war. Zugleich war ich so sehr innerer Bestandteil des Instituts und Studentenwohnheims, dass mir eine Beurteilung von deren Einzigartigkeit in der damaligen deutschen Universitätslandschaft versperrt war.

Erst im zeitlichen und räumlichen Abstand von zehn oder zwanzig Jahren nach meinem Abschied von Heidelberg wurde mir deutlich, dass von der Person und dem Werk Schlinks und seinen Geschöpfen, dem Institut und Studentenwohnheim, ganz wichtige Wirkungen und Impulse ausgegangen sind. Dies erkannte ich besonders nach meiner Berufung zum Direktor der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen, in der Schlink wichtige Positionen innehatte und zu deren Arbeit und zur theologischen Orientierung des Ökumenisches Rates und darüber hinaus er bedeutsame Beiträge geleistet hat. Nun lebte und arbeitete ich in Genf in einer Tradition, deren Grundlagen und Umrisse Schlink wesentlich mitgeprägt hatte, und mein Respekt für seine weitreichenden ökumenischen Konzeptionen und seine an die Kirchen gerichteten kritischen Herausforderungen wuchs beträchtlich.

Aus einer solchen Distanz der Rückschau spreche ich heute zu Ihnen und will bei den Anfängen, wie es sich gehört, anfangen.

 

2. Geschichte

„In der Woche zwischen dem 1. und 2. Advent 1957 konnte in einem festlichen Akt im Beisein zahlreicher ausländischer Gelehrter ein Universitätsgebäude eingeweiht werden, das in seiner Art als erstmalig im Bereich der deutschen Universitäten bezeichnet werden kann. Es liegt unmittelbar am Fuße des Schlossberges inmitten der Heidelberger Altstadt neben dem Buhl´schen Haus, der festlichen Empfangsstätte der Universität. Es war für den Architekten keine leichte Aufgabe, an dieser Stelle einen Bau zu errichten, der sowohl der traulichen Atmosphäre der Altstadt als auch den Bedürfnissen moderner wissenschaftlicher Arbeit entspricht.“ Es wurde ein Haus geschaffen, „das zugleich behaglich und sachlich, zugleich in den Rahmen der Altstadt sich einfügend und modernen Ansprüchen angemessen ist.“1 So beschreibt Edmund Schlink das vollbrachte Werk, sein Werk. Finanziert wurde das neue Gebäude mit Mitteln des Bundesjugendplans und des Landes Baden-Württemberg. Der größte Teil der Einrichtung des Heims und die Glasfenster in der Kapelle wurden von Louis Marhoefer aus Pittsburgh in de USA gestiftet. Bei einem Heimabend, ich erinnere mich noch, erzählte Marhoefer, Ehrensenator der Universität, seine Lebens-und Erfolgsgeschichte. Letztere begann mit dem Jonglieren von unterschiedlichen Währungen während seiner Studentenzeit, was ihm die ersten Hunderttausende einbrachte.

Der Gedanke, angesichts der bedrängenden Wohnverhältnisse im unzerstörten Heidelberg zusätzlichen Wohnraum für die neu herbeiströmenden Studentenmassen nach dem Ende des 2. Weltkriegs zu schaffen, kam bereits in der ersten Zeit nach 1945 auf. Die amerikanische Sektion des Lutherischen Weltbundes schenkte der Heidelberger Theologischen Fakultät 30 000 DM für die Aufstellung einer Wohnbaracke für Studenten. Doch Architekten rieten von einer kurzlebigen Holzbaracke ab und Schlink, unterstützt von den damaligen Rektoren, begann den Gedanken eines Studentenwohnheims zu entwickeln. Unter den Zielsetzungen für dieses neue Haus nennt Schlink, erstens, dessen internationalen Charakter. In „diesem Haus sollten Studenten aus allen Ländern und Völkern mit deutschen Studenten zusammenleben, so dass die Jugend der Nationen, die noch vor kurzem im Krieg miteinander gelegen hatten, die Gelegenheit bekomme, sich freundschaftlich näherzutreten“ (3). Auch sollten Studenten aus den jungen, unabhängig gewordenen Nationen eine positivere Aufnahme finden, als dies früher. vor dem Krieg der Fall war. Manche der damals von der westlichen Zivilisation enttäuscht z. B. nach Asien zurückkehrenden Studenten sind dann kommunistische Revolutionäre geworden (Schlink nennt Zhou Enlai). Der ursprüngliche Plan, einen Beitrag zur Linderung der studentischen Wohnungsnot zu leisten wurde also sogleich mit dem Gedanken internationaler Verständigung und Versöhnung nach dem schrecklichen Krieg verbunden.

Hinzu kam ein zweites Element: Das Haus sollte eine überkonfessionelle christliche Grundlage haben mit der Möglichkeit, morgens and abends, wie in amerikanischen und englischen Colleges, in einer Hauskapelle zu Andachten zusammenzukommen. Hier verband sich der Gedanke der Versöhnung, der persönlichen Förderung von Verständigung und Frieden mit dem für Schlink zentralen christlichen, gottesdienstlichen und ökumenischen Engagement. Ein weiteres, drittes Element sollte den Charakter des Studentenheims mit bestimmen: Bei diesem Haus, so schreibt Schlink, „war keineswegs nur an Theologiestudenten gedacht, sondern an Studenten aus allen Fakultäten“. Schlinks starkes Interesse an interdisziplinären Gesprächen kam hier zum Ausdruck. Dieser Austausch sollte nicht nur gelegentlich wie in der gepflegten Atmosphäre der Professorengespräche in der Ziegelhäuser Stiftsmühle stattfinden, wie ich sie erlebt habe, sondern schon von unten her im Zusammenleben von Studenten beginnen. Damit verband sich für Schlink ein viertes Anliegen, die Beobachtung, dass „ausländische Studenten sich zum Teil sehr einsam fühlten, zu keinem näheren Kontakt mit deutschen Studenten gelangten und von manchen  Zimmerwirtinnen schamlos ausgenutzt wurden“.

Ganz offenkundig ist schließlich das fünfte Element, das zur Entstehungsgeschichte und Zielsetzung des Wohnheims gehört: Das Heim ist ja die Schwester des Ökumenischen Instituts und wurde mit diesem zusammen sowohl baulich als auch inhaltlich konzipiert. Das Ökumenische Institut wurde als erstes Universitätsinstitut dieser Art in Deutschland geschaffen. Es wurde 1946 gegründet und der neuberufene Heidelberger Professor Edmund Schlink war sein Vater. Zusammen mit einigen andere Theologen war Schlink nach den schrecklichen Jahren der Naziherrschaft und der Kriegszeit und angesichts eines in steinernen und geistigen Trümmern liegenden und hungernden Mittel- und Osteuropas zutiefst davon umgetrieben, nach neuen Wegen für Kirche und Gesellschaft zu suchen. Es war wohl ein wesentliches Motiv für die Schaffung dieses Instituts, dass es half, Grenzen zu überschreiten – konfessionelle wie nationale. In den ersten zehn Jahren seines Bestehens befand sich das Institut in einem einzigen Raum in der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Der musste reichen für Bibliothek, Studenten, Assistent, Sekretärin und Direktor. Nun kam 1957 die Erlösung mit dem damals neuesten Bau im Bereich der Universität.

Das räumlich gut ausgestattete und wunderschön gelegene neue Ökumenische Institut war im Vergleich zu anderen theologischen Instituten privilegiert. Vor dem Zimmer des Direktors plätscherte und plätschert unablässig weiter ein Brunnen, der sich gelegentlich auch als Bierkühler nützlich macht. Doch ein besonderer Wesenszug des neuen Instituts war, dass es eben mit dem Ökumenischen Studentenwohnheim baulich und konzeptionell verbunden ist. Durch eine Verbindungstür gelangt man von einem Reich ins andere. Das Ökumenische Institut dient der theologischen Forschung, Reflexion und Ausbildung auf dem Gebiet der Geschichte, Probleme und Zukunftsperspektiven der ökumenischen Bewegung, die seit der Gründung des Instituts enorme Entwicklungen und Fortschritte durchgemacht hat. Das Studentenheim ist hierzu das lebendige, erfahrungsbezogene Pendant ökumenischer Praxis an der Basis. Beides entsprach der kreativen Intention Schlinks: Einmal die Durchdringung und Ergänzung theologischer Studien durch die historisch vorgegebene und zum Neudenken und Handeln drängende ökumenische Dimension neuzeitlicher Christentumsgeschichte, und zum andern die „Erdung“ dieser ökumenischen Dimension in ökumenischer Praxis, in wechselseitiger ökumenischer Aufklärung und Bewusstmachung im Zusammenleben von Studierenden. „Schlink´s work was never simply intellectual“, schreibt Eugene Skibbe in seiner schönen Schlink-Biographie (A Quiet Reformer. An Introduction to Edmund Schlink´s Life and Ecumenical Theology, Minneapolis: Kirk House Publishers, 1999), die jetzt übersetzt wird und bei Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen erscheinen wird.

 

3. Was ist daraus geworden? Der Weg seit 1957

Fast fünf Jahrzehnte sind seit der Einweihung des Studentenwohnheims und der neuen Räumlichkeiten des Ökumenischen Instituts vergangen. Wir blicken zurück und fragen, was aus den Intentionen Schlinks geworden ist. So gehe ich noch einmal zu den von Schlink intendierten fünf Merkmalen des Heims zurück und gehe von ihnen aus. Erstens, der internationale Charakter des Heims. Dieser hat das Haus in besonderer Weise und kontinuierlich geprägt. Er kommt in vielfältigen Formen des persönlichen und gemeinschaftlichen Austauschs, der Information, der Anteilnahme, neuer Freundschaften und auch der Küchendüfte zum Ausdruck. So ist ein Haus mit offenen Horizonten entstanden, eine kleine Zelle internationaler Verständigung und Freundschaft, die dann auch im weiteren Lebensweg ehemaliger Heimbewohner und Heimbewohnerinnen Früchte trägt, Wirkungen zeitigt. Ein Ehemaliger ist gerade evangelischer Propst in Jerusalem geworden. So geht das …

Zweitens, der interkonfessionelle, christliche, gottesdienstliche Charakter des Hauses ist ebenfalls von Anfang an prägend geblieben, natürlich mit Modifikationen. Eine davon war, dass in den letzten Jahren auch einige Studierende aufgenommen wurden, die anderen Religionen angehören. Angesichts der heutigen politischen und geistigen Dringlichkeit interreligiöser Verständigung scheint mir dies eine sinnvolle Erweiterung des ursprünglichen Mandats zu sein. Die christliche Basis des Zusammenlebens im Heim sollte nach Schlink besonders durch die Andachten gefördert werden und damit unmittelbar verbunden auch die Erfahrung ökumenischer Zusammengehörigkeit. Ich vermute, dass hier Schlinks ökumenische Erfahrungen, die er auch reflektiert hat, eine Rolle gespielt haben, wonach Christen verschiedener Konfessionen gerade im Gottesdienst einander näherkommen, auch wenn sie in der Glaubenslehre noch getrennt sind. Für die Andachten hatte Schlink eine eigene Kapelle vorgesehen, im Unterschied zu vielen protestantischen Einrichtungen in Deutschland, wo man im Speise-, oder Tagungs-, oder Klubraum zu Andachten zusammenkommt.

Schlink hatte sich auch eine originelle Gestaltung der Kapelle ausgedacht. Die Teilnehmenden sollten nicht wie üblich in Reihen hintereinander sitzen und den Nacken ihres Vordermanns oder ihrer Vorderfrau meditierend betrachten, sondern sie sollten sich ansehen (oder auch anlächeln) können. Zu diesem Zweck wurde auf beiden Seiten der Kapelle ein aufsteigendes Chorgestühl eingebaut, das den einzelnen dort Sitzenden ein eigenes kleines Sitzreich, nicht zu nahe neben den anderen und doch bei ihnen, schenkte. Gemeinschaft und Individualität waren so gewahrt. Das Chorgestühl sollte dem liturgischen Wechselgesang und dem Einander-Zusprechen bei den Andachten dienen, und so haben wir es auch in den zehn Jahren gehalten, in denen wir im Heim lebten, und so war es auch in den zwei Jahren zuvor und sicher oft nach uns. Bis in einem Akt bornierter Unsensibilität, so sehen wir Alten es jedenfalls, das Chorgestühl herausgerissen wurde weil man mehr Platz für eine Studentenküche brauchte. Man hätte eine andere Lösung finden können.

Das – drittens – interdisziplinäre Gespräch zwischen Studierenden verschiedener Fakultäten wurde in der Vergangenheit auch durch die relativ vielen Doppelzimmer gefördert, wo auf engstem Raum z.B. ein griechischer Mediziner und ein deutscher Theologe zusammenlebten – aber eben doch auf engstem Raum. Aus den Berichten der letzten Jahre ersehe ich, dass die Begegnung zwischen den Fakultäten und die Diskussion über aktuelle politische, soziale und andere Fragen bei Hausabenden eine wichtige Rolle spielt. Edmund Schlinks Absicht, viertens, dass ausländische Studenten im Studentenheim eine gewisse Beheimatung und engere Kontakte zu deutschen Studenten finden mögen, hat sich während der vergangenen Jahre auf vielfältige Weise bewährt. In einer Massenuniversität kann so ein relativ kleines Heim das Gefühl einer vorübergehenden Beheimatung und Zugehörigkeit vermitteln. Eine solche Bewährung  gilt sicher auch, fünftens, für die programmatische Komplementarität von Ökumenischem Institut und Studentenheim. Das Heim hat auf ganz natürlich-menschliche Weise im persönlichen Miteinander der Heimbewohner und Heimbewohnerinnen ökumenisch gewirkt im Sinne eines besseren Kennenlernens anderer Kirchen und anderer kirchlicher Situationen und Lebensformen. Aber auch durch Heimabende, Heimfahrten, Veranstaltungen im Institut, etc. wurde die Kenntnis der Anderen vertieft und das Wissen um Gemeinsamkeiten und Unterschiede erweitert.

Die immer wieder neu erlebte Gemeinschaft im Studentenheim und die bleibende Erinnerung an eine gute Zeit, die man hier erlebt hat, hat vor 25 Jahren zur Gründung des Freundeskreises des Ökumenischen Studentenwohnheims geführt. Hier ist eine Verbindung unter den Ehemaligen, aber auch zwischen ihnen und dem gegenwärtigen Leben des Heims geschaffen worden. Darüber in anderen Beiträgen mehr.

Schlinks Hoffnungen haben sich erfüllt, mit manchen Veränderungen gegenüber seinen ursprünglichen Vorstellungen, da Kontinuität und Erfüllung immer auch Wandel und Neuinterpretation einschließen. Da ökumenische Pioniere, zu denen Schlink zweifellos gehört, nicht unsterblich sind, bleiben er und seine Vorstellungen weiterhin lebendig durch das Haus in der Plankengasse 1 und 3. Doch einen neuen Schritt in der Geschichte des Studentenheims hatte er nicht vorgesehen. Schlink hat das Studentenheim als Behausung männlicher Studenten geplant, fraglos und ohne nähere Erläuterung, und das blieb es auch für längere Zeit. Ich vermute, dass in seinen Vorstellungen ein nur von Männern bewohntes Haus

aus praktischen und psychologischen Gründen näherlag als ein Heim mit „gemischter“ Bewohnerschaft. Es gab ja andererseits auch drei Studentinnenwohnheime in unmittelbarer Nähe des Ökumenischen Studentenwohnheims. In England und Amerika ist in den letzten Jahren viel über die Vor- und Nachteile von reinen Frauen- oder Männercolleges diskutiert worden. Die etwas rauhe, nicht immer sehr feinsinnige, zugleich aber hilfsbereite und kameradschaftliche Männergesellschaft in unserer Zeit hatte ihre eigenen Reize. Gleichzeitig haben wir Alten bei Besuchen im Heim erlebt, bes. bei Festen und Veranstaltungen, wie Studentinnen das Leben in dieser Gemeinschaft in einer Weise musisch, ästhetisch, atmosphärisch und kulinarisch bereichern können, wie dies früher nicht der Fall war.

Eine weitere Entwicklung, die Edmund Schlink nicht direkt angesprochen hat und die man damals auch aus ideologischen Gründen nicht ansprach, besteht wohl darin, dass das Heim zur Heranbildung und Weiterbildung einer Elite beigetragen hat. Mit „Elite“, ein wieder hoffähiger Begriff angesichts der Bemühungen in unserem Land, amerikanischen Eliteuniversitäten nachzueifern, also mit Elite meine ich nicht eine herausgehobene Schicht von Menschen auf der Grundlage von Herkunft und gesellschaftlicher Position. Zu einer Elite gehören vielmehr Menschen, die an ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Ort sich durch Kompetenz und Engagement, durch moralisch-soziale Verantwortung und kritische Haltung gegenüber den negativen Elementen einer manipulierten Massengesellschaft sowie durch ein Bewusstsein globaler Zusammenhänge auszeichnen. Ich habe erlebt, dass das Studentenheim dazu beigetragen hat, dass Menschen, vor allem wenn sie etwas länger im Heim wohnen konnten und durften, in Richtung hin auf eine solche Elite geprägt worden sind.

 

4. Abschließende Bemerkungen

So blicken wir zurück, aus einem noch nicht so großen zeitlichen Abstand, und erkennen deutlicher als zu unserer eigenen Zeit im Studentenwohnheim, was die Vision und Energie eines Menschen bewirken und welche bleibenden Wirkungen sie inmitten aller Veränderungen haben kann. Dies alles hat seine Wurzeln im ökumenischen Denken und Wollen Edmund Schlinks. Er war ja nicht von einer rein akademisch inspirierten Faszination für das neue Phänomen, ökumenische Bewegung genannt, angezogen. Seine ökumenischen Reflexionen und Intentionen waren ganz und gar existentiell und kontextuell bestimmt. Sie waren angetrieben und geprägt von seiner theologisch reflektierten Erfahrung des deutschen Kirchenkampfes in der Nazizeit, von der Tragödie des Zweiten Weltkrieges, vom Ost-West-Konflikt in der Nachkriegszeit und mit diesem verbunden von der Diskriminierung und Verfolgung von Christen in Osteuropa und in anderen Teilen der Welt und, schließlich, von der Unabhängigkeit der „Jungen Kirchen“ in Afrika und Asien samt den Hoffnungen und Problemen ihrer Völker. Schlinks theologisches und ökumenisches Denken war bestimmt von diesem historischen Kontext und getrieben von der Frage nach dem Weg, den Gott seine Kirche in diesem Augenblick der Weltgeschichte führen will. Dies bildete den breiten historischen Hintergrund und Rahmen, von dem her Schlink visionär und kreativ die Samenkörner des Ökumenischen Instituts und Studentenwohnheims in Gottes Erde und Welt legte und deren Wachsen und Gedeihen er bis an sein Lebensende engagiert verfolgte. Wir sind seine dankbaren Erben.

 

- Prof. Dr. Günter Gassmann -

Verantwortlich: E-Mail
Letzte Änderung: 11.09.2013
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