Hannelis Schulte: Politik, Theologie, Predigt

Gerd Theißen | Adobe Den Beitrag als PDF downloaden

 

 

Hannelis SchulteHannelis Schulte (Foto: Winni Kitzmann; Externer Inhalt 3ALOG e.V.)

Hannelis Schulte:

Geboren am 20. Dezember 1920 in Heidelberg; gestorben am 12. April 2016 in Heidelberg

Privatdozentin für das Alte Testament, erste Predigerin im Universitätsgottesdienst

 

 

Johanna Elisabeth Schulte (genannt Hannelis Schulte) wurde 1920 in Heidelberg als Tochter des Juristen Dr. Nikos Alexander Schulte (1894-1925) und Hildegard Schute geb. Stäckel (1894-1981) geboren. Nach dem frühen Tod ihres Vaters unterrichtete die Mutter Mathematik und Biologie am Gymnasium. Als Hannelis Schulte nach Abitur und Arbeitsdienst Theologie studieren wollte, wurde ihre Mutter von ihrem nationalsozialistischen Vorgesetzten unter Druck gesetzt, um das zu verhindern. In einer außergewöhnlichen prophetischen Erfahrung vor der Heidelberger Heiliggeistkirche war die junge Hannelis Schulte aber schon früh zur Gewissheit gekommen, dass sie Theologie studieren sollte. Sie stand zwischen Heiliggeistkirche und dem Hotel Ritter, sah dort in der Haspelgasse eine Fahne mit dem Hakenkreuz und hörte eine laute Stimme: „Diese Fahne ist Deutschlands Unglück.“ Sie schaute sich um, der Platz war leer, niemand war zu sehen. Da erkannte sie, dass diese Stimme aus ihrem Inneren kam. Für sie war es die Stimme Gottes. Von ihr ließ sie sich leiten.

Sie studierte in Heidelberg zunächst Geschichte, Latein und Griechisch, belegte aber  heimlich theologische Lehrveranstaltungen u.a. bei  Gustav Hölscher und Martin Dibelius. Erst nach einen Wechsel an die Universität Halle konnte sie offiziell Theologie studieren und 1945 das theologische Examen abzulegen. Während ihres Studiums erlebte sie ein für die Theologiegeschichte des 20, Jahrhunderts zentrales Ereignis als Zeitzeugin mit: den Entmythologisierungsvortrag von R. Bultmann in Alpirsbach am 4.6.1941.

Als Ende März 1945 die Amerikaner Heidelberg von der NS-Herrschaft befreit hatten, gewann sie zusammen mit dem Theologiestudenten Hanns Jakobs die Professoren Martin Dibelius, Gustav Hölscher, Renatus Hupfeld und Walter Köhler noch vor der offiziellen Wiedereröffnung der Universität dafür, den Vorlesungsbetrieb wieder aufzunehmen. Am 8.Mai 1945, am Tag der Kapitulation, begannen die Vorlesungen – nicht in der Universität, sondern in der Sakristei der Johanniskirche in Neuenheim.

Nach Kriegsende war sie eine der ersten Assistentinnen, die das Theologische Seminar in Heidelberg verwalteten. 1947 promovierte sie im Fach Neues Testament mit der Arbeit: „Der Begriff der Offenbarung im  Neuen Testament“. Die 1939 erschienene Arbeit widmete sie ihren neutestamentlichen Lehrern Martin Dibelius und Julius Schniewind. Beide waren Gegner des Nationalsozialismus gewesen.

Hannelis Schulte arbeitete von 1950 bis 1981 als Religionslehrerin an Gymnasien. Sie veröffentlichte in der Zeitschrift „Evangelische Theologie“ die Aufsätze: „Das Evangelium – die Krisis der Religion“ (1955), „Rettet den Mythos“ (1955), „In den Tatsachen selbst ist Gott“ (1962). Ihre Offenbarungstheologie verband sie mit den hermeneutischen Fragen von R. Bultmann. Für dessen Festschrift schrieb sie den Beitrag: „Rudolf Bultmanns Stellung zum Alten Testament und seine
Bedeutung für den Religionsunterricht“ (1964). Wissenschaftlich wurde die Religionspädagogik ihr zweiter Schwerpunkt. Man vertraute ihr Literaturberichte in der Theologischen Rundschau an (1955, 1966, 1971, 1974). Sie dokumentieren die Entwicklung von der „Evangelischen Unterweisung“ zum hermeneutischen Religionsunterricht. Hannelis Schulte hat viele Lehrer und Lehrerinnen durch ihre Gedanken und durch ihre Person geprägt. Nachdem sie schon 1952 „Vikarin“ der Evangelischen Landeskirche in Baden geworden war, erhielt sie 1962 den Titel „Pfarrerin“.

In der Zeit ihrer Tätigkeit an der Schule wurde das Alte Testament ihr drittes wissenschaftliches Arbeitsfeld.  Dabei führte sie die Arbeit ihres Lehrers Gustav Hölscher fort, der im 3. Reich an die Universität Heidelberg „strafversetzt“ worden war. Hannelis Schulte schrieb zwei alttestamentliche Monographien: „Die Entstehung der Geschichtsschreibung im Alten Israel“ (1972, 1982 in Italienisch) und „Was Sprache verrät. Untersuchungen zur hebräischen Sprache des 9./8. Jh. v. Chr. in ihrem sozialen und religiösen Umfeld“, mit der sie sich im Alter von 61 Jahren 1982 an der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg habilitierte. Sie unterrichtete danach im Fach Altes Testament und trat als Herausgeberin von zwei Werken hervor: „Bis auf diesen Tag. Der Text des Jahwisten, des ältesten Geschichtsschreibers der Bibel“ (1967) sowie „Die Emanzipation der Frau“ (= Göttinger Quellenhefte 18, 1974).

Aus ihrer Unterrichtstätigkeit ging ein Buch hervor, dessen Titel für ihr Leben charakteristisch ist: „Dennoch gingen sie aufrecht. Frauengestalten im Alten Testament“ (1995).

Nach den damaligen Universitätsgesetzen konnten Privatdozenten nach sieben Jahren Tätigkeit an der Universität zum außerplanmäßigen Professor ernannt werden, wenn sie nach ihrer Habilitationsschrift weiterhin wissenschaftlich publiziert hatten. Die Fakultät hat sich darum ohne Erfolg bemüht. Mit dem Hinweis auf das Alter von Hannelis Schulte wurden ihre Vorstöße im Vorfeld abgeblockt, ehe sie im Senat diskutiert werden konnten. Beobachter aber hatten den Eindruck, dass nicht ihr Alter, sondern ihr politisches Engagement die Entscheidungen des Rektorats beeinflusst hatten.

Die Erfahrung von Krieg und Diktatur hatten für Hannelis Schulte Frieden und soziale Gerechtigkeit zum Leitmotiv ihres Lebens gemacht. Hannelis Schulte war Mitglied der Christlichen Friedenskonferenz  (CFK) und Bundesvorsitzende der Deutschen Friedensgesellschaft 1966 bis 1974. Sie engagierte sich nacheinander in der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP), der Deutschen Friedens-Union (DFU), der Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) und bei der „Linken“. 1999 wurde sie als deren Vertreterin in den Heidelberger Stadtrat gewählt.

Regelmäßig predigte sie im Universitätsgottesdienst, oft in Dialogpredigten mit politischem Akzent. Sie machte dabei auch konfrontative Aussagen. Einmal lag im Predigerkonvent ein Vorschlag auf dem Tisch, über nicht-kanonische Texte des Urchristentums zu predigen. Hannelis Schulte und Gerd Theißen waren die einzigen, die erklärten, sie würden nur über biblische Texte predigen. Es war ein „Jahr mit der Bibel“. In solch einem Jahr würde  die Fakultät ein fatales Signal geben, wenn sie die Bibel im Gottesdienst relativiert.

Gerd Theißen widmete ihr ein Buch mit einer Sammlung seiner hermeneutischen Aufsätze mit den Worten: „Der Weg von Hannelis Schulte von der Bekennenden Kirche im Dritten Reich durch viele Jahre der Bundesrepublik ist bewundernswert. Es war der geradlinige Weg einer Linksprotestantin, die sich gegen Widerstände in ihrem Umfeld für die Theologie entschieden hat und die auch von ihren politischen Gegnern wegen ihrer Integrität und Aufrichtigkeit respektiert und geschätzt wurde. In der Friedensbewegung wie im Stadtrat von Heidelberg hat sie mitgewirkt. Man möchte wünschen, dass sich viele ihr Leben zum Vorbild nehmen.“ (Polyphones Verstehen, 2014)

 

Predigtbeispiel: Predigt über Amos 5,21-24 am Sonntag Estomihi, 26.02.2006

 

LITERATUR

Wichtige Informationen finden sich in der Seminararbeit von W.E. Kitzmann, Hannelis Schule – ein echtes Gegenüber. Lebensbild einer demokratisch-sozialistischen Protestantin, 2016.

 

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Letzte Änderung: 01.03.2017
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