Heinz Schmidt: Narrativ predigen

Johannes Eurich | Adobe Den Beitrag als PDF downloaden

 

 

Heinz SchmidtHeinz Schmidt (Quelle: DWI)

Heinz Schmidt:

Geboren 1943

Professor für Praktische Theologie und Diakoniewissenschaft in Heidelberg von 1994-2009; Prediger im Universitätsgottesdienst 

 

 

Außergewöhnlich – das trifft für die Predigt am Pfingstsonntag, den 19. Mai 2002, sicherlich zu. Denn wer hat schon einmal ein Zwiegespräch eines Engels als Predigt gehört? Himmlische Welten sind uns Menschen gemeinhin verschlossen und auch Prediger können sich über die Grenzen der menschlichen Erkenntnis nicht hinwegsetzen. Das gilt selbst für Universitätsprediger, seien sie auch noch so sehr vom pfingstlichen Geist erfüllt. Heinz Schmidt entführt uns dennoch in himmlische Sphären und lässt uns in seinen Worten Einblick nehmen in die Gedankenwelt eines himmlischen Boten, des Erzengels Gabriel. Davon gleich noch mehr. Zuerst sei der Prediger selbst vorgestellt, dann kann man die Predigt von jenem Pfingstsonntag 2002 besser nachvollziehen.

Heinz Schmidt ist ein erfahrener Praktischer Theologe und Religionspädagoge. Offenheit für Neues, kreatives Geschick, didaktische Inspirationen sind nur drei Aspekte seiner facettenreichen Persönlichkeit, die sich auch in seinen Predigten widerspiegeln. Seine Laufbahn ist durch die Praktische Theologie geprägt. Kaum fertig mit dem Studium der Evangelischen Theologie hat er bereits angefangen, neue curriculare Arbeitsweisen für den Religionsunterricht zu erproben. Das war 1971 im Setting der damals neu eingeführten Gesamtschulen, die eben auch neue Unterrichtsmethoden benötigten. Als Religionspädagoge brachte er nicht nur die Offenheit und Bereitschaft mit, Neues auszuprobieren, sondern auch den Mut, sich der Kritik daran zu stellen. Ihm ging es um Lernfortschritte, um die Vermittlung des Religiösen in einer religiös unkundiger werdenden Gesellschaft. Dies zeigte sich in den ersten Veröffentlichungen des angehenden Religionslehrers, die zugleich sein wissenschaftliches Interesse nachhaltig unter Beweis stellten. Dies zieht sich durch sein gesamtes Arbeiten und Predigen durch bis heute. Schon die ersten Aufsätze mit Titeln wie zum Beispiel „... Wie es zugeht, wenn Gott im Spiele ist...“ oder „Revolution mit Jesus – zur Kritik eines Unterrichtsmodells“ sind geprägt von der Auseinandersetzung mit Konzeptionen, die biblisches Denken und heutige Weltsichten mit einander in Beziehung setzen möchten.

Auch seine Dissertation, die 1977 unter dem Titel „Religionspädagogische Rekonstruktionen. Wie Jugendliche glauben können“ veröffentlicht wurde, zeugt davon. Sie ist zugleich Türöffner in die akademische Laufbahn, die über die Dozentur am Pädagogisch-Theologischen Zentrum in Stuttgart (1976-1979) zur Professur für Evangelische Theologie an der Universität Frankfurt am Main führte. Dort wurde er 1981 mit dem grundlegenden Buch „Religionsdidaktik. Ziele, Inhalte und Methoden religiöser Erziehung in Schule und Unterricht“ habilitiert. 1988 verließ Heinz Schmidt Frankfurt, einem Ruf auf die Professur für Praktische Theologie/Religionspädagogik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster folgend. Kursbücher für den Religionsunterricht sowie die Auseinandersetzung mit Lehrplänen, Bildungszielen oder überhaupt das Gespräch zwischen Theologie und Erziehungswissenschaft bildeten Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit. Und immer wieder das Interesse an der Vermittlung des Glaubens in der heutigen Welt: Als Beispiel für viele kann hier der Aufsatz „Vertrauen und Verlernen. Glaubensdidaktik angesichts der Krise der Moderne“, der 1990 in der Zeitschrift für Evangelische Theologie veröffentlicht wurde, gelten. Weitere Monographien (z.B. 1991 Leitfaden Religionspädagogik), Herausgeberschaften von Sammelbänden wie Fachzeitschriften zeugen von einem weitgespannten Horizont theologischen Denkens. Immer stärker tauchen nun auch ethische Themen oder die Didaktik des Ethik-Unterrichts bis hin zu einer Ethik der Fernsehkultur auf, die Schmidt 1996, inzwischen an die Theologische Fakultät der Universität Heidelberg gewechselt, reflektierte.

Das Interesse an ethischen Fragestellungen und ihrer Didaktik mag eine der Brücken zu einer nochmaligen Erweiterung akademischer Aufgaben und Forschungsfelder gewesen sein, die Heinz Schmidt mit der Berufung zum Direktor des Diakoniewissenschaftlichen Instituts der Universität Heidelberg 2001 übernommen hatte. In den nachfolgenden Jahren dominieren mehr und mehr die diakoniewissenschaftlichen Themen seine Forschungstätigkeit. Es sind Themen wie „Gerechtigkeit und Liebe im Dienst der Versöhnung“ (2003), „Diakonische Sozialtheologie“ (2004) oder „Ganzheitliche Sorge und gesellschaftliche Solidarität...“ (2004), die ihre biblischen Begründungsfiguren bereits in alttestamentlicher Zeit erhalten haben. Aber auch das Interesse an Lernprozessen bleibt erhalten, wendet sich aber nun sozialen Themen zu: „Für’s Leben lernen. Diakonisch-soziale Lernprozesse und die Frage nach einem diakonischen Bildungsbegriff“ (2003) führten zu einer Vielzahl von Veröffentlichungen, welche diakonisches Lernen überhaupt erst grundlegend erschlossen und für eine „Kultur des Helfens“ (2006) fruchtbar gemacht haben.

Die nachfolgend dargestellte Predigt fällt in die Zeit, als Heinz Schmidt noch relativ neu das Diakoniewissenschaftliche Institut übernommen hatte.

Auf den ersten Blick scheint es hier keinen direkten Zusammenhang zu geben, denn das Predigtthema hat keinen spezifisch diakoniewissenschaftlichen Bezug. Interessant ist der Prolog zur Predigt. Dieser fungiert als Hör- bzw. Lesehilfe und führt den Predigthörer mitten hinein in das Dilemma, das das Glaubensbekenntnis für heutige Menschen mit der Aussage „empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“ bereithält. Für moderne Menschen ist diese Aussage nicht nachvollziehbar. Sie entzieht sich menschlicher Logik. Genau dies schickt Heinz Schmidt seinen Hörern voraus: Sie müssen ihre unter normalen Umständen geltende Rationalität bereit sein zu erweitern, sonst werden sie keinen Zugang zur himmlischen Welt finden. Und nebenbei entwirft er in wenigen Sätzen ein Zuordnungsmodell von himmlischer und irdischer Rationalität, welche eben miteinander verbunden werden müssen, was in besonderem Maße für die Engel zutrifft, welche sich als Boten Gottes zwischen Himmel und Erde bewegen.

Diese Bewegung kann freilich nur in menschlichen Worten nacherzählt werden. Dazu verwickelt der Prediger seine Zuhörer in ein Selbstgespräch des Engels Gabriel. Er lässt sie teilhaben an himmlischen Gesprächen, welche durch die menschlichen Züge, die Heinz Schmidt den Gedanken des Erzengels verleiht, umso ansprechender werden. Unwillkürlich muss man schmunzeln, wie menschlich sich der Engel zeigt und auch wie menschlich die Dialoge der himmlischen Theologen ausfallen. Diese Art der Darstellung lädt ein zum Abbau von Vorbehalten, die mancher gegenüber Engeln („reine Phantasiewesen“) haben mag – denn das weiß man längst: Menschen, die lachen, können nicht gleichzeitig die Fäuste gegen etwas erheben. Menschlich gezeichnete, aber nicht überzeichnete Engel – so bleibt der Unterschied zum Irdischen gewahrt, weil man weiß, dass es lediglich eine Nacherzählung ist, die etwas sehr viel schwieriger zu Verstehendes thematisiert. Und zugleich kommt darin auch ein gutes Stück Theologie zum Vorschein: Vorstellungen, die die Allmacht Gottes so überhöhen, dass alles letztlich von ihm dominiert wird, wird durch die Unsicherheit des Engels der Boden entzogen. Die Zweifel, ob Maria die Botschaft auch annehmen wird, machen deutlich, dass der göttliche Heilsplan an die Zustimmung eines Teenagers gebunden ist, die zudem noch unverheiratet schwanger werden soll. Eine Zumutung in vielerlei Hinsicht. Kein Wunder, dass dem Engel Zweifel kommen, ob Gottes Absicht erfüllt werden wird. Zwischendurch werden auch andere theologische Positionen en passant abgehandelt, etwa dass Adam verführt wurde und nicht Eva. Und auch die Jungfrauengeburt wird gedeutet, freilich aus bzw. als Glaubensperspektive: denn es kommt nicht darauf an, ob sie biologisch nachvollziehbar ist, sondern dass Gottes Geist sich mit unscheinbaren Menschen wie einer Magd verbindet, dass seine Kraft aus der Schwäche wächst, dass Weisheit aus der Unwissenheit kommt. Es ist die Umkehrung der Maßstäbe dieser Welt, die sich hier andeutet und sich später in der Botschaft des Gottessohnes, wie in den Evangelien berichtet wird, ausbreiten wird. Und zum Schluss gibt es tatsächlich noch eine diakonische Pointe: Maria wird als erste Diakonin von der Kirche geehrt, weil sie in ihrem Leben die Gnade Gottes für alle Menschen sichtbar werden lässt. Eine Pointe, die dem Engel Gabriel zugeschrieben wird, der sie einmal einem Theologen ins Ohr flüstern möchte, damit sie später in Pfingstpredigten verwandt werden könne. Ein wunderbarer Schluss mit feiner Selbstironie gezeichnet. Wenn so himmlische Boten sind, wird man auf Erden gerne auf sie hören. Und wer noch immer nicht an Engel glauben mag, kann sich nun an einer kunstvollen Predigt über Gabriel, den Erzengel, und seine Begegnung mit Maria erfreuen...

 

Predigtbeispiel: Predigt über Lk 1,26-38 zum Pfingstsonntag am 19. Mai 2002.


 

LITERATUR

 

SCHMIDT, Heinz u.a. (Hg.): Unterwegs zu einer Kultur des Helfens. Handbuch des diakonisch-sozialen Lernens. Stuttgart 2006.

SCHMIDT, Heinz u.a. (Hg.): Diakonik. Grundlagen - Konzeptionen - Diskurse. Göttingen 2016.

EURICH, Johannes/ Oelschlägel, Christian (Hg.): Diakonie und Bildung. Heinz Schmidt zum 65. Geburtstag. Stuttgart 2008.
 

 

 

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Letzte Änderung: 12.05.2017
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