Daniel Schenkel: Predigt zur Stärkung des protestantischen Geistes

Dorothea Noordveld-Lorenz | Adobe Den Beitrag als PDF downloaden

 

schenkel um 1900
Daniel Schenkel, Lithographie ca. 1852 (Quelle: http://heidicon.ub.uni-heidelberg.de/id/4697)
​Daniel Schenkel:

Geboren am 21. Dezember 1813 in Dägerlen;
gestorben am 19. Mai 1885 in Heidelberg 

Universitätsprediger von 1851 bis 1885

 

 

Als Daniel Schenkel am 19. Mai 1885 im Alter von 71 Jahren in Heidelberg verstarb, hatte er der Theologischen Fakultät, dem Predigerseminar sowie der badischen Kirche überaus turbulente, von heftigen Auseinandersetzungen geprägte Jahre beschert. Denn der Professor für Praktische Theologie, Direktor des Predigerseminars und erster Universitätsprediger war ein überaus streitlustiger Zeitgenosse, der vor allem auch durch sein kirchenpolitisches Agieren auf sich aufmerksam machte, als dessen Schauplatz auch die Universitätsgottesdienste dienten.

Im Zentrum von Schenkels Theologie stand der Protestantismus, den er als Gewissensreligion und als solche als Religion der Freiheit verstand. Mittelpunkt seiner Protestantismustheorie stellte das religiöse Subjekt in seiner persönlichen und unmittelbaren Beziehung zu Gott dar, die Schenkel im Gewissen verortete: Das religiöse Subjekt weiß sich in seinem Gewissen an die ursprüngliche und unbedingte Autorität Gottes gebunden und damit frei gegenüber aller kirchlichen und auch weltlichen Autorität, die das freie Subjekt binden wollen. Das Gewissen ist damit Konstitutionsbedingung von Freiheit, die nicht nur auf den kirchlichen Bereich bezogen ist, sondern auf das Subjekt in all seinen Lebensvollzügen wirkt. Die enge Verzahnung von Protestantismus und der modernen und freiheitlichen Gegenwartskultur, die nach Ansicht Schenkels auf dem Protestantismus gründete, ist ein wesentliches Merkmal von Schenkels Protestantismusverständnis: Die kulturelle, politische wie auch nationale Entwicklung hängen von der Durchsetzung dieses freiheitlichen Protestantismus ab. Diese Überzeugung ist der Grund für Schenkels vehementes Eintreten und Streiten für den Protestantismus sowie die protestantische Kirche und sie spiegeln sich auch in seinen Predigten wider, mit denen er diesen freiheitlichen protestantischen Geist bei seinen Zuhörern zu stärken suchte. 

Geboren am 21. Dezember 1813 in der Schweiz als Sohn eines reformierten Landpfarrers nahm Schenkel sein Theologiestudium an der Universität in Basel auf, wo er stark von de Wette geprägt wurde. 1842 wurde Schenkel zum ersten Prediger an den Münster von Schaffhausen berufen, wo er die kommenden 8 Jahre wirkte und die Gemeinde prägte. Während dieser Zeit verfasste Schenkel eines seiner Hauptwerke Das Wesen des Protestantismus aus den Quellen des Reformationszeitalters dargestellt, mit dem er die wissenschaftliche Welt auf sich aufmerksam machte. 1851 erhielt Schenkel einen Ruf an die Universität Heidelberg. Seine Berufung erfolgte auf Betreiben Carl Ullmanns, der davon überzeugt war, mit Schenkel einen konservativen Theologen an die Fakultät zu holen. Schenkel war auf den Lehrstuhl für Praktische Theologie berufen worden, er hielt jedoch mit Ausnahme der historischen Theologie Vorlesungen über alle Gebiete der Theologie.

Die ersten Jahre an der Fakultät machte Schenkel durch seine leidenschaftlichen Angriffe gegen den Katholizismus in Folge der Jesuitenmission von sich Reden – hierfür nutzte er auch gerne die Universitätsgottesdienste und seine Predigten als Plattform. Der römische Katholizismus war Zeit seines Lebens einer seiner Hauptgegner dem Schenkel vorwarf, das Subjekt an kirchliche Institutionen, Lehren und Gesetze zu binden und somit die Verwirklichung der ursprünglichen persönlichen Gottesbeziehung zu verhindern – ein Vorwurf, den er ebenso den Vertretern der lutherischen Orthodoxie machte, die er auf einer Linie mit dem römischen Katholizismus sah.

Darüberhinaus erregte Schenkel die Gemüter mit seiner unglücklichen Rolle in der Entziehung der venia legendi des Philosophen Kuno Fischer 1853. Ob Schenkel beim badischen Oberkirchenrat direkt auf die Absetzung Fischers hingewirkt hat, ist umstritten – er selbst hat diesen Vorwurf stets bestritten – unbestritten ist allerdings, dass er lautstark und vehement gegen Fischer in diversen Artikeln gewettert hat und diesem vorwarf, eine pantheistische Philosophie zu vertreten, die Schenkel als pure Weltvergötterung abtat.

Ende der 50iger Jahre begann der Höhepunkt von Schenkels theologischen wie kirchenpolitischen Wirken. Er hat in dieser Zeit nicht nur weiterhin fleißig publiziert, darunter seine dreibändige Christliche Dogmatik vom Standpunkte des Gewissens aus dargstellt (1858/59), sondern gründete 1860 die Allgemeine kirchliche Zeitschrift (AKZs), die er ganz im Sinne seines theologischen wie auch kirchenpolitischen Programms gestaltete.

Das zentrale Ereignis in Schenkels Leben und Initialzündung für die Entwicklung der kommenden Jahre war die Generalsynode der badischen Landeskirche 1855 und der daran anschließende Agendenstreit, in dem Schenkel als Kopf und Motor der Opposition gegen die Landeskirche auftrat. Die Generalsynode hatte beschlossen, eine neue Gottesdienstordnung einzuführen. Erst im September 1858 wurde diese neue Ordnung vorgestellt und mit Bekanntwerden setzte sogleich der sogenannte „Agendensturm“ ein. Die Opposition erkannte in der neuen Agende einen Sieg der kirchlichen Restauration und eine Gefahr für die kirchliche Union. Es gelang Schenkel und seinen Mitstreitern die Gemeindemitglieder so zu mobilisieren, dass der Großherzog schließlich bestimmte, dass in Gemeinden, welche die Änderungen vehement ablehnten, unter Beibehaltung der alten Gottesdienstordnung nur neue Gebete und Formulare einzuführen seien. Diesen Erlass nahm die Opposition dankend auf, so auch die Gemeinden in Heidelberg. Sie folgten dem Erlass – sofern auch die neuen Gebete keine Veränderung der alten Ordnung bedeuteten. Schenkel verweigerte selbstverständlich im Universitätsgottesdienst die Einführung der neuen Gottesdienstordnung. Seine rigorose Haltung führte zu großen Spannungen innerhalb der Fakultät sowie zum Bruch zwischen dem OKR und Schenkel.

 

Kaum, dass sich die Wogen um die neue Agende geglättet hatten, wurde die badische Kirche vom nächsten Streit erschüttert und wieder spielte Schenkel eine zentrale Rolle. In dem 1859 abgeschlossenen Konkordat zwischen der römisch-katholischen Kirche und der Regierung in Baden sahen Schenkel und seine Mitstreiter eine Gefahr für die protestantische Kirche und werteten es außerdem als fundamentalen Widerspruch gegen den modernen Staat in seiner Unabhängigkeit von kirchlicher Macht. Auch in dieser Auseinandersetzung gelang es Schenkel, die oppositionellen Kräfte zu bündeln, so dass das Konkordat schließlich scheiterte und Großherzog Friedrich die konservative Regierung durch Vertreter des politischen Liberalismus ersetzte. Aufgrund der engen Vernetzung von politischen und kirchlichen Fragen, war es nur eine Frage der Zeit, bis auch der kirchliche Umbruch in Baden bevorstand – 1860 war es soweit. Im Zuge dessen wurde nicht nur das Verhältnis von Kirche und Staat neu geordnet, sondern eine ganz neue Kirchenverfassung erarbeitet, an der Schenkel federführend beteiligt war und die er in dem Buch Die Erneuerung der Deutschen Evangelischen Kirche nach den Grundsätzen der Reformation (1860) ausführlich darlegte und begründete.

Für Schenkel waren diese Jahre trotz der bisweilen unschön geführten Streitigkeiten der Höhepunkt seiner Macht und gipfelten schließlich in der Gründung des Protestantenvereins 1863 gemeinsam u.a. mit Richard Rothe und Johann Bluntschli. Schenkels theologisches, kirchliches wie auch damit verbundenes politisches, gesellschaftliches und kulturelles Programm fanden im Protestantenverein gleichsam ihren institutionellen Ort mit dem Ziel, die in Baden begonnen Entwicklungen in allen deutschen Ländern zu fördern.

Schenkels Einfluss fand in den folgenden Jahren allerdings ein jähes Ende. 1864 veröffentlichte Schenkel Das Charakterbild Jesu nach den biblischen Urkunden wissenschaftlich untersucht und dargestellt. Die Reaktionen darauf waren in weiten Teilen so vernichtend, dass dieses Werk das Ende von Schenkels steiler Karriere der vergangenen Jahre bedeutete. Gegner dieser Schrift fanden sich in allen theologischen Lagern, schließlich hatte Schenkel es während der letzten Jahre geschafft, sich mit nahezu allen zu streiten – wobei er keineswegs zimperlich mit seinen Gegnern umging – und auch seine bisherigen Weggenossen waren seiner Streitlust und seines schier unermesslichen Einflusses müde. Das Buch stellte also einen willkommenen Anlass dar, um Schenkel in seine Schranken zu weisen, wenngleich die Heftigkeit des Protestes überzogen war.

Nicht nur die Fakultät, sondern auch die badische Kirche waren in den kommenden Jahren von den Protesten gegen dieses Buch lahmgelegt und die Forderung wurde laut, Schenkel von seinem Amt als Direktor des Predigerseminars zu entbinden. Der badische Oberkirchenrat stellte sich allerdings hinter Schenkel, indem er sich zur Forschungsfreiheit sowie zum historischen Charakter der Bibel bekannte. Schenkels Buch wurde als wissenschaftliches Buch angesehen, das somit unter dem Schutz der Forschungsfreiheit stand. Zu einem offiziellen Ende kam der Streit erst 1867 auf der Generalsynode, auf dem der Kompromiss erwirkt wurde, dass das Predigerseminar eine universitäre Einrichtung blieb, allerdings wurde der Seminarzwang aufgehoben. Mit dem Bekenntnis zur unbedingten Lehrfreiheit hatten Schenkel und seine Unterstützer des liberalen Lagers einen großen Sieg errungen. Schenkel selber hatte von diesem Sieg allerdings kaum noch etwas. Seine Macht war gebrochen, nicht zuletzt durch die Aufhebung des Seminarzwanges. Bis Ender der 60iger Jahre hielt Schenkel zahlreiche Vorträge, mit denen er weiterhin auf die Erneuerung des Protestantismus und der protestantischen Kirche drängte. In diesem Kontext rückten auch politische Fragen immer stärker in den Vordergrund seines Interesses.

Seit den 70iger Jahren wurde es merklich ruhiger um Schenkel, er veröffentlichte in dieser Zeit allerdings noch weitere größere Werke. Gesundheitlich war er jedoch schwer angeschlagen, politische und gesellschaftliche Fragen verdrängten kirchliche Fragestellungen immer stärker. Sichtbares Zeichen dieser Veränderung ist die Einstellung der AKZs Ende 1872.

Im Alter von 71 Jahren war Schenkel schließlich aus gesundheitlichen Gründen gezwungen, sämtliche Ämter niederzulegen. 34 Jahre lang hatte Schenkel die kirchliche Entwicklung in Baden sowie die Geschichte der Heidelberg Fakultät geprägt und in dieser Zeit für den Protestantismus und die protestantische Kirche gelebt und gekämpft – auch auf der Kanzel.

In der Beispielpredigt wird der enge Zusammenhang von Protestantismus und politischen Entwicklungen an mehreren Stellen deutlich. Darüber hinaus zeigt sie zwei weitere für Schenkels Theologie charakteristische Aspekte: Zum einen die starke Abgrenzung gegenüber der römisch-katholischen Kirche sowie der lutherischen Orthodoxie. Zudem spielt in dieser Predigt, wie in der gesamten Heidelberger Anfangszeit Schenkels, auch noch die Abgrenzung gegenüber dem Rationalismus eine große Rolle, die später allerdings immer stärker in den Hintergrund tritt. Zum anderen buchstabiert Schenkel in der Predigt die drei Grundlehren des Protestantismus durch, in denen seines Erachtens der Protestantismus zum Ausdruck kommt und die einer erneuten Stärkung bedürfen: der freien Schriftforschung, der Rechtfertigung des Glaubenden sowie dem Priestertum aller Gläubigen. Die Predigt stammt aus dem Jahr 1852, also aus seiner Heidelberger Anfangszeit, in der Schenkel noch eine konservative Position vertrat, bevor er dann im Zuge des Agenden- und Konkordatsstreites eine immer stärker liberale Position einnahm. Trotz dieser Entwicklungen halten sich die genannten Aspekte seiner Protestantismustheorie auch über den theologischen Positionswechsel hin durch.

 

Predigbeispiel: „Das Bedürfniß unsrer Zeit nach erneuerter Heilserkenntniß, gehalten beim Beginne des Sommersemester 1852, in: Daniel Schenkel, Evangelische Zeugnisse von Christo. Predigten über Abschnitte aus dem Evangelium Johannis, Heidelberg 1853, S. 173-192.

 

LITERATURHINWEISE

 

Hausrath, Adolf: Richard Rothe und seine Freunde, 2 Bde., Berlin 1902/06.

 

Holtzmann, Heinrich: Art. „Daniel Schenkel“, in: ADB 31 (1890), S. 82-89.

 

Noordveld-Lorenz, Dorothea: Gewissen und Kirche. Zum Protestantismusverständnis von Daniel Schenkel, Tübingen 2014.

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Letzte Änderung: 31.05.2017
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