Die Peterskirche zwischen 1386 und 1821

Eike Wolgast | Adobe Den Beitrag als PDF downloaden

 

Peterskirche um 1830
WERNICK, F.: Zeichnung der Peterskirche. Ausschnitt auf: Plan der Stadt Heidelberg, Heidelberg 1830, (Quelle: http://heidicon.ub.uni-heidelberg.de/id/227197)
​Die Peterskirche ist die älteste Kirche in Heidelberg. Ihr Name „Sancti Petri“ ist seit dem 14. Jahrhundert belegt. Seit 1400 finden dort Gottesdienste der Universität statt. Ihr Kirchhof diente knapp 460 Jahre lang als Friedhof – unter anderem für Mitglieder der Universität.

 

I. Unter dem Patronat der Universität 1400-1554

In einer Urkunde für das Kloster Schönau erschien 1196 unter den Zeugen ein „Chunradus plebanus in Heidelberg“ – der früheste Beleg für die Existenz einer Kirche am Ort. Auch wenn die Wirkungsstätte des Priesters nicht explizit genannt ist, muss es sich um die Peterskirche als älteste und lange Zeit einzige Pfarrkirche Heidelbergs gehandelt haben, die, wie sie im 14. Jahrhundert genannt wird, „ecclesia parochialis Sancti Petri extra muros“ (außerhalb der Stadtmauern). Ob sie ursprünglich ein Filial der Mutterkirche in Bergheim war, ist umstritten. 1355 schenkte Kurfürst Ruprecht I. das Patronat über St. Peter dem Kloster Schönau, erhielt es aber offenbar nach kurzer Zeit zurück. Ein Friedhof ist als Wehrkirchhof für 1400 bezeugt. Später erstreckte er sich südwestlich von der Kirche bis zur heutigen Theaterstraße. Die Heiliggeistkirche wird erstmals 1239 erwähnt, und zwar als Filial von St. Peter.

Trotz dieser kirchenrechtlichen Minderstellung fand die Messe zur Eröffnung der Universität im Oktober 1386 in der Heiliggeist-, nicht in der Peterskirche statt. Der Grund dafür ist nicht bekannt – Verschiedenes ist denkbar. Da zur Eröffnung die „Missa Sancti Spiritus“ gefeiert wurde, lag es vielleicht nahe, eine Kirche mit diesem Patrocinium zu wählen, möglich wäre auch die zentrale Lage von Heiliggeist, vielleicht auch schon der Plan, an dieser Kirche ein Kollegiatstift zu errichten.

Mit der Universitätsgründung begann die inoffizielle Rangminderung von St. Peter, auch wenn der zweite Rektor Heilmann in der Peterskirche gewählt wurde – die Wahl von Marsilius von Inghen, des Gründungsrektors, hatte im November 1386 in Refektorium des Augustinerklosters (auf dem Gelände des heutigen Universitätsplatzes) stattgefunden. Auch die Grundsteinlegung des ersten Bursengebäudes wurde im Juni 1390 in St. Peter begangen (II Nr. 49). Die Totenmesse für Marsilius von Inghen 1396 wurde in der Heiliggeistkirche gefeiert (II Nr. 89), der Verstorbene jedoch vor dem Hochaltar der Peterskirche bestattet.

Bei dem Beschluss des Professorenkonvents im November 1390 über die von der Universität als Korporation jährlich zu feiernden Messen wurde festgesetzt, dass sechs derartige Messen abgehalten werden sollten, von denen die erste zur Erhaltung der Universität („pro conservatione studii“) am Donnerstag nach Pfingsten in der Heiliggeistkirche stattfinden sollte, die zweite für die Toten der Universität („pro defunctis universitatis“) im Herbstquatember in St. Jakob (Kirche des Zisterzienserstudiums), die dritte für die lebenden Angehörigen der Universität („pro gratia vivorum suppositorum universitatis impetranda a Jesu Christo“) im Winterquatember ebenfalls in St. Jakob, die vierte zur Vergebung der Sünden der lebenden Universitätsangehörigen („pro venia impetranda vivis suppositis universitatis de peccatis suis“) am Donnerstag nach Quadragesimae in der Franziskanerkirche (heutiger Karlsplatz), die fünfte am Jahrestag des Todes des Universitätsgründers und aller seiner Nachkommen in der Kirche des Augustinerklosters (heutiger Universitätsplatz), die sechste und letzte am Jahrestag des ersten Kanzlers und Gönners der Universität Konrad von Gelnhausen († 13. April 1390) und für alle verstorbenen Wohltäter der Universität in der Peterskirche (I, S. 13).

400 erfolgte der entscheidende Schritt zur Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse in Heidelberg. Auf Bitten des Kurfürsten Ruprechts III., wenige Wochen später zum König Ruprecht von der Pfalz gewählt, löste Papst Bonifatius VIII. mit einer Bulle vom 1. Juli die Heiliggeistkirche aus dem Verbund mit der Mutterkirche, da der Kurfürst sie zu einer Stiftskirche erheben wollte (I, S. 94); die Erhebung zur eigenständigen Kirche wurde 1404 bestätigt. Die materielle Ausstattung des Kollegiatstifts mit zunächst neun Kanonikaten war zur Besoldung von Universitätsprofessoren bestimmt. Zur Verbreiterung der materiellen Basis der Universität übertrug Ruprecht III. am 9. August 1400 das Patronat von St. Peter ebenso wie das der Kirchen von Altdorf und Lauda (bei Würzburg) auf die Universität; sie wurden ihr inkorporiert, „damit dasselbe Studium und Hohe Schule desto besser gewurzelt und bestätigt werde und mehr zunehme“ (I, S. 77). Die Einkünfte der Pfarrei fielen seither der Universität zu, statt des Pfarrers übernahm die geistliche Versorgung ein Vikar, in den Universitätsakten als „vicarius perpetuus“, Plebansvikar oder ähnlich bezeichnet. Der erste Plebansvikar war seit 1401 der Jurist Nikolaus von St. Goar, der seit 1388 als Magister an der Artistenfakultät lehrte und sich später auf seine Pfründen in Worms und Speyer zurückzog. Von den Vikaren, die bis zur Einführung der Reformation 1556 an der Peterskirche amtierten, lehrten etwa zwanzig zugleich als außerordentliche Professoren an der Universität, vor allem an der Theologischen Fakultät, aber auch an der Artistischen und gelegentlich an der Juristischen Fakultät.

1406 wurde Hieronymus von Prag, ein Anhänger Jan Hus‘, in Heidelberg immatrikuliert und in die Artistische Fakultät aufgenommen. Während sich die Universität Heidelberg in der Tradition des Gründungsrektors Marsilius von Inghen der via moderna des Nominalismus verpflichtet wusste, lehrte Hieronymus von Prag die via antiqua des Realismus und griff „hochmütig und verächtlich“ lebende und verstorbene Doktoren und Magister an, darunter auch Marsilius von Inghen. Dagegen verteidigte er die Lehren Wiclifs, insbesondere dessen Ablehnung der Transsubstantiation. Die Fakultät entzog ihm die Lehrerlaubnis; daraufhin vertrat er seine Thesen auf dem Friedhof von St. Peter, wo er allerdings, wie die Annalen der Universität festhielten, nur Bauern und alte Frauen („rusticos et vetulas tantum“) vorfand, da allen Studenten durch Eidverpflichtung verboten worden war, an dem Akt teilzunehmen (Hautz I, S. 232). Hieronymus von Prag verließ Heidelberg und ging nach Prag zurück. 1416 wurde er – ein Jahr nach Hus – im Konstanz als Ketzer verbrannt.

1485 erfolgte ein Neubau der Peterskirche – es entstand ein einschiffiger Raum mit Holzdecke. Als diejenigen Angehörigen der Universität, die 1486 nicht an der Universitätsmesse in Heiliggeist teilgenommen hatten, zu zwei Denaren Strafgeld verurteilt wurden, sollte dieses Geld dem Bau von St. Peter zugutekommen.

 

II. Unter kurfürstlichem Patronat 1554 bis zur Gegenreformation

In der Umbruchszeit vor der offiziellen Einführung der Reformation in der Kurpfalz gab die Universität das Patronat von St. Peter mit allen Rechten an den Kurfürsten zurück. Rektor war zu diesem Zeitpunkt der evangelische Theologe Heinrich Stoll, die Mehrheit der Professoren war aber noch altkirchlich gesinnt. Die Begründung für diesen Schritt spiegelt die Defensive, in der sich die am alten Glauben festhaltenden Universitätslehrer gegenüber den sich abzeichnenden kirchlich-religiösen Veränderungen sahen. Unspezifiziert wurden „besondere bewegende, redliche Ehafte [triftige Hinderungsgründe]“, auch „von wegen jetzigen beschwerlichen Läuften, so sich dieser Zeit in mehreren Orten und sonderlich deutscher Nation zutragen, und dann aus Mangel frommer und geschickter geistlicher Personen, die wir zur Zeit der Not nicht wohl [= gut] und ohne Nachteile zu bekommen wissen“. Die Rückgabe sollte um „unserer und unserer Nachkommen besseren Nutz und Frommen“ geschehen (Hautz I, S. 471; UB II Nr. 987). Die Universität behielt sich nur den dauernden Nießbrauch der Hälfte des Kellers im Pfarrhof und der Weinkelter vor.

Offensichtlich wurde nach diesem Akt die Vikarie in eine ordentliche Pfarrstelle zurückverwandelt; damit hörte die zeitweise fast zur Regel gewordene Koppelung von Vikarie und Professur für ein Jahrhundert auf.

Seit der Einführung der Reformation 1556 amtierten bis 1805 32 reformierte Pfarrer an der Peterskirche (alphabetisches Verzeichnis bei Wundt, S. 419-421). Einen Namen hat sich unter ihnen vor allem Menso Alting gemacht, der 1573-1575 die Pfarrstelle innehatte, bevor er in Emden eine führende Position in der reformierten Kirche Ostfrieslands übernahm. Wegen seines ungewöhnlichen Schicksals blieb Adam Neuser (Pfarrer 1560-1569) bekannt (s. III). Als dritter muss Stephan Isaak (1584-1591) genannt werden (s. IV). Von den großen reformierten Heidelberger Theologen war niemand Pfarrer an St. Peter, lediglich Caspar Olevianus soll im Sommer/Herbst 1562 an St. Peter (dann wohl neben Adam Neuser) tätig gewesen sein.

Nach der Eroberung Heidelbergs durch bayerische Truppen 1622 wurden alle evangelischen Geistlichen sofort ausgewiesen. Ob in der Peterskirche – wie in Heiliggeist – seither katholischer Gottesdienst gehalten wurde, ist unbekannt. Nur während der kurzen Zeit der schwedischen Herrschaft 1633-35 wurde der evangelische Gottesdienst – erst lutherisch, dann reformiert – wiederhergestellt. 1627 war der berühmte reformierte Philologe und kurfürstliche Bibliothekar Jan Gruterus (de Gruytere, aus Antwerpen) in der Peterskirche „mit Erlaubnis der Jesuitenväter“ (permissu patrum Jesuitarum) begraben worden. Was unter der „Erlaubnis“ zu verstehen ist, bleibt offen Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges wurde in allen Kirchen Heidelbergs der reformierte Gottesdienst wiederhergestellt. Allerdings räumte Kurfürst Karl Ludwig 1658 den Lutheranern die Mitbenutzung der Peterskirche ein, bis für diese die Providenzkirche erbaut wurde (1661 eingeweiht).

 

III. Vom evangelischen Pfarrer zum Söldner des Sultans

Adam Neuser, 1560-1569 Pfarrer an der Peterskirche stammte vermutlich – wie sein Bruder Michael, Pfarrer in Oftersheim aus Windsfeld bei Gunzenhausen (Mittelfranken). Während Michael 1557 in die Heidelberger Matrikel eingetragen wurde, ist der Bildungsgang Adams unbekannt. Seine theologischen Kenntnisse beeindruckten die Heidelberger Fakultät 1561 dennoch so sehr, dass sie Neuser für die dritte theologische Professur (Loci communes, also Dogmatik) vorschlug; Kurfürst Friedrich III. entschied sich dagegen für Casper Olevianus. Neuser war ein beliebter Prediger, der offensichtlich über großen Anhang in der Bürgerschaft verfügte. In den Auseinandersetzungen über die Ausübung der Kirchenzucht stand Neuser auf der Seite der Antidisziplinisten, deren Wortführer der Mediziner und Laientheologe Thomas Erastus war und die die Kirchenzucht als Aufgabe des Staates sahen, gegen die Disziplinisten um Olevianus und den Kanzler Wenzel Zuleger, die das Genfer Modell der autonomen Kirchenzucht verfochten. Neuser bot offenbar auch durch seinen Lebenswandel Anlass zur Kritik, er wurde nach eigenen Angaben als „bachant“ (=Trinker) beschimpft. 1569 musste er auf Anweisung des Kurfürsten und des Oberrats, der Regierung der Pfalz, seine Stelle an St. Peter mit der eines Frühpredigers an Heiliggeist vertauschen; dort oblag ihm dreimal in der Woche die Predigt. Er beschwerte sich über diese Herabsetzung, bei den Beratungen im Kirchenrat, der Leitungsbehörde der Landeskirche, wurde zu bedenken gegeben, dass Neuser viel „bei den bürgern hier“, die auch für ihn supplizierten, gelte. Neuser bat den Kurfürsten um seine Entlassung oder Versetzung, da er sich mit den gegenwärtigen Kirchenräten „nicht betragen könne“. Im März 1570 wurde er suspendiert, bis der Kurfürst über sein Schicksal entschieden habe. Die von ihm gehaltenen Predigten wurden dem Kurfürsten vorgelegt; sie sind nicht erhalten, auch ihr Inhalt ist unbekannt.

Zur Katastrophe in Neusers Leben – er war verheiratet und hatte Kinder – wurde seine Verbindung zum Kreis der Antitrinitarier, dessen führende Gestalt der Ladenburger Superintendent Johannes Sylvanus war, mit dem zusammen aber immer Adam Neuser genannt wurde. Neuser reiste – wohl 1569 – nach Siebenbürgen, um dort eine neue Anstellung bei einer deutschen Gemeinde zu finden; im Fürstentum waren die Unitarier eine der vier rezipierten Konfessionen. Ohne Ergebnis kehrte er nach Heidelberg zurück, begab sich aber zusammen mit Sylvanus zum Reichstag nach Speyer, um dort den siebenbürgischen Gesandten Kaspar Békes zu treffen und Briefe – offenbar an den Fürsten Johann Sigismund Zapolya – zu übergeben. Die Reise wurde beobachtet, Sylvanus während der Rückreise im Juli 1570 verhaftet. Neuser konnte entkommen und floh nach Ungarn bis an die Grenze des türkischen Machtbereichs. In der Hoffnung auf milde Behandlung kehrte er jedoch zurück und stellte sich den Behörden in Amberg, die ihn Ende Oktober 1570 nach Heidelberg überführten. Unterdessen war bei einer Untersuchung seiner Papiere ein Briefentwurf Neusers an Sultan Selim II. gefunden worden, der aber nur in deutscher Übersetzung (vermutlich Konzept oder Entwurf) überliefert ist. Neuser verknüpfte hier in sehr naiver Argumentation ein religiöses Bekenntnis mit politischen Anregungen. „Wenn E. M. die abgöttischen Christen zur Erkenntnis des einzigen Gottes bringen, euer Reich erweitern und des einigen Gottes Ehre in der ganzen Welt ausbreiten wollen, so ist es jetzund Zeit, [dies] vorzunehmen“, wo die Prediger zwiespältig sind und das gemeine Volk am Glauben zweifelt. Wegen der Ausbeutung und Unterdrückung durch Bischöfe und weltliche Obrigkeiten begehrt der „arme Mann […] öffentlich Ew. Maj. Zukunft [= Ankunft], damit E. M. das deutsche Reich besiegen und den Armen erledigen tue“. Neuser versicherte, nach seinem Vermögen mit Schreiben und Mahnen alles tun zu wollen, um die „abgöttischen Christen“ zu bekehren, Gottes Ehre zu fördern und das Reich des Sultans zu erweitern, „denn Gottes Ehre und die Wahrheit will ich höher halten denn mein Vaterland, Bruder, Schwester und alle Freundschaft [= Verwandtschaft]“ (Struve, S. 229-234). Später berief er sich zu seiner Verteidigung darauf, dass er den Brief nicht abgeschickt, sondern beim Überlesen am Rande vermerkt habe: „Hoc potest omitti“.

In Heidelberg wurde Neuser neben Sylvanus im Schlossturm Seltenleer (westlich des Torturms) eingekerkert; die Theologen und Friedrich III. selbst führten Unterredungen mit ihm, um ihn von seinen Ansichten abzubringen. Im Mai 1571 gelang ihm – mit wessen Hilfe, ist umstritten – die Flucht. In den nächsten achtzehn Monaten führte er ein Wanderleben durch Europa: London (mit der Hoffnung auf Anstellung in einer Flüchtlingsgemeinde) – Paris – Krakau (Kontakt mit polnischen Antitrinitariern) – Klausenburg in Siebenbürgen, wo er seit Frühjahr 1572 mehrere Monate mit der weiteren Ausbreitung seiner theologischen Auffassungen verbrachte, vor allem der These, dass das Neue Testament seine Autorität vom Alten Testament ableite, dort aber über eine Gottheit Christi nichts gesagt sei. Mit seiner Flucht blieb Neuser das Schicksal von Sylvanus erspart, der im Dezember 1572 auf dem Marktplatz in Heidelberg hingerichtet wurde.

Aus Furcht vor Verfolgung und Auslieferung nach Heidelberg tat Neuser im Spätsommer 1572 den letzten Schritt und überquerte die Grenze zum türkischen Teil Ungarns. Als Spion verhaftet, wurde er nach Konstantinopel gebracht. Nach eigener Aussage nahm er eine Selbstbeschneidung vor; dass damit eine wirkliche Apostasie vom christlichen Glauben und ein förmlicher Übertritt zum Islam verbunden sein sollte, ist zweifelhaft, da Neuser in Konstantinopel durchaus seine exegetischen Studien fortsetzte und mit Christen verkehrte, vor allem mit dem evangelischen Prediger des kaiserlichen Gesandten Stephan Gerlach (aus Knittlingen bei Bretten, 1573-1584 Gesandtschaftsprediger, dann Theologieprofessor in Tübingen). Gerlachs Briefe an Heerbrand und Andreae in Tübingen und seinem Tagebuch verdanken wir Einzelheiten über Neusers türkische Existenz. Auch dass er wie in Heidelberg ein geselliges Leben mit Zechkumpanen führte, spricht nicht für eine streng mohammedanische Lebensführung. Er wurde als Reiter (Spahi, ohne ein Pferd zu besitzen) in einer militärischen Formation des Sultans kärglich besoldet, ohne offensichtlich je zum Einsatz zu kommen, und verrichtete gelegentlich Dolmetscheraufgaben. Gerlach berichtet, dass Neuser sich viel zu Hause aufhalte, „schreibt und meditiert“. Außerdem betätigte er sich als Erfinder und arbeitete an der Konstruktion eines Wagens, der sich von selbst bewegen sollte. 1573 unterzeichnete er einen Brief als „Adamus Neuser nunc Mustafa begh“ (Burchill, S. 154). Auf eine Mahnung seines Freundes, des Solmser Hofpredigers Kaspar Baumann, im Januar 1574 aus Wien, zu Frau und Kindern zurückzukehren, verbunden mit der Nachricht, dass sein Sohn auf der Reise zu ihm seitzwanzig Wochen in Wien gefangen gehalten werde, verfasste Neuser am 7. April 1574 für Baumann einen langen Rechenschaftsbericht, in dem er seinen Entwurf für ein Schreiben an den Sultan verteidigte und die Verbundenheit mit seiner Familie beteuerte. Er bat Baumann, seinem Sohn aus dem Gefängnis zu helfen, ihm aber auszurichten, er solle auf keinen Fall in die Türkei kommen: „er würd gefangen und verkauft und könnt nit mehr ledig werden“. Zugleich bat er um Nachrichten von den „Meinen zu Heydelberg“ und befahl dem Empfänger und dessen Familie „dem lieben Gott“ (Lessing, S. 76). Sowohl 1575 als auch 1576 hoffte er, nach Deutschland zurückkehren zu können, starb aber am 12. Oktober 1576 in Konstantinopel an Dysenterie und wurde am folgenden Tag „nach türkischer Weise“ beigesetzt; immerhin hatte er 10 Gulden für seine Bestattung hinterlassen können. Angeblich hatte auf dem Totenbett ein Leben nach dem Tode verneint. Aber das mag – wie viele Nachrichten über ihn aus zweiter oder dritter Hand – böse Nachrede sein. Ein exzentrischer Mensch muss Neuser gleichwohl gewesen sein.

In der Folgezeit diente Neuser im innerevangelischen Streit den Lutheranern als Beleg für die Verwandtschaft von Calvinismus und Islam oder Calvinismus und Arianismus. Sein Schicksal hat noch Leibniz und vor allem Lessing beschäftigt. Leibniz glaubte, wie Lessing aus einem Brief von 1706 zitierte, Neuser sei für eine Verständigung zwischen Türken und christlichen Antitrinitariern eingetreten. Lessing widmete ihm 1774 auf der Grundlage handschriftlicher Funde in der Wolfenbütteler Bibliothek „Von Adam Neusern, einige authentische Nachrichten“.

 

IV. Vom katholischen Kontroversprediger und Mediziner jüdischer Herkunft zum Peterskirchenpfarrer

Stephan Isaak wurde 1542 in Wetzlar als Sohn eines Rabbiners geboren. Mit seinem Vater Johann wurde er 1546 in Marburg lutherisch getauft – der Vater sollte dort hebräischen Sprachunterricht geben. Nach der Niederlage der evangelischen Partei im Schmalkaldischen Krieg veranlasste Nicolas de Granvelle Johann Isaak, nach Löwen überzusiedeln, um dort Hebräisch zu lehren. Zu diesem Zweck trat er mit seiner Familie zum Katholizismus über; die Mutter Stephans hatte die Konversion zum lutherischen Bekenntnis nicht mitvollzogen. 1552 wurde Johann als Professor der Hebraistik nach Köln berufen, wo er 1577 starb. Er veröffentlichte mehrere apologetische und philologisch-grammatische Schriften (Verzeichnis bei Rotscheidt, S. 168-170). Stephan Isaak wurde in Köln erzogen und studierte dort seit 1559 Artes liberales und anschließend – „gleich wie meine Voreltern“ (Rotscheidt, S. 10) – Medizin, daneben lehrte er Hebräisch. Als Hebraist wurde er 1563 an die Universität Douai berufen, wo er auch als Arzt tätig war. 1563 veröffentlichte er einen Kommentar zum Propheten Maleachi. Nach Köln zurückberufen, widmete sich Isaak ganz der Theologie, wurde zum Priester geweiht und erwarb den Grad eines Lizentiaten der Heiligen Schrift. 1572 erhielt er das Pfarramt an der Kirche St. Marien Ablass, außerdem war er Kanonikus an St. Ursula und Vikar des Domstifts. Er verfügte damit über sehr einträgliche Pfründen. Von den Jesuiten mit der Aufgabe eines Kontroverspredigers betraut, fanden seine Predigten großen Zulauf. Mit Evangelischen veranstaltete er Disputationen. Um sie widerlegen zu können, studierte er Schriften evangelischer Theologen und löste sich dadurch allmählich vom Katholizismus. Nach einer Predigt „wider den Verehren, Schmücken und Umtragen der Bilder“ (Rotscheidt, S. 1), die er am 12. Oktober 1583 hielt, wurde ihm vom Kölner Erzbischof die weitere Predigttätigkeit verboten und er der Ketzerei bezichtigt; auch erste polemische Schriften gegen ihn erschienen. Isaak legte daraufhin seine geistlichen Ämter nieder.

Wie sein Vater bemühte sich auch Stephan Isaak, frühere Glaubensgenossen zur Konversion zu bewegen: „So weiß jedermann in Köln, mit was Eifer, Arbeit und Fleiß ich mehr denn andere Pastoren die jüdischen Irrtümer in meinen Predigten erwiesen und ihre Argumente widerlegt“ habe (Rotscheidt, S. 71). Kopien seiner Predigten seien von Vielen, auch von Fürsten und Herren, erbeten worden.

Die Verbindung Isaaks zur Kurpfalz stellte vermutlich Graf Ludwig d. Ä. von Wittgenstein her, der frühere Großhofmeister Kurfürst Friedrichs III. und Berater des Kuradministrators Johann Casimir. Im Zuge der Recalvinisierung der Pfalz nach dem Tod des lutherischen Kurfürsten Ludwig VI. wurde Isaak 1584 auf die Pfarrstelle von St. Peter berufen, nachdem er offiziell zum reformierten Bekenntnis übergetreten war. Wann genau und wo dieser Schritt erfolgte, ist unbekannt. In Heidelberg gewann er rasch Anschluss an den Kreis der hiesigen Späthumanisten, die ihm zu seiner Hochzeit mit Anna Wagner im Dezember 1586 gedruckte „Carmina amicorum“ widmeten – zu den Verfassern zählten die Heidelberger Professoren Georg Sohn, Lambert Ludolf Pithopoeus, Simon Stenius und David Pareus (Rotscheidt, S. 171-178). Verbindungen unterhielt Isaak auch mit Daniel Tossanus d. Ä. und mit Johann Jakob Grynaeus, der den Kuradministrator beim Wideraufbau der reformierten Universität unterstützte.

Nach der Rückkehr von Grynaeus nach Basel 1586 wechselte Isaak Briefe mit ihm. Er war auch sonst – vor allem in eigener Sache – literarisch tätig. 1586 veröffentlichte er „Wahre und einfältige Historia Stephani Isaaci“, eine Autobiographie, die bis zum Ende seiner Kölner Tätigkeit reichte (Abdruck bei Rotscheidt, S. 3-67) und die als Anhang „Ein christliches Bekenntnis von allen Religionsartikeln“ enthielt, das sich bis in den Wortlaut hinein am Heidelberger Katechismus orientierte. Mit anderen Schriften, darunter eine „Apologia“, wehrte sich Isaak gegen Angriffe von Kölner Theologen auf ihn (Schriftenverzeichnis vgl. Rotscheidt, S. 170f.). 1591 erhielt Isaak die Superintendentur in Bensheim, wo er Ende 1597 an Dysenterie starb. Seine Frau überlebte ihn. Ein Sohn Friedrich Casimir, mit dessen Vornamen offensichtlich seinen fürstlichen Protektoren Friedrich IV. und Johann Casimir gehuldigt wurde, erhielt 1609 von Bensheim die Präsentation auf ein Heidelberger Universitätsstipendium.

 

V. Von der Gegenreformation bis zur badischen Union 1685-1821

Bei der nahezu völligen Zerstörung der Stadt durch französische Truppen im Orléansschen Krieg 1693 wurde auch die Peterskirche in Mitleidenschaft gezogen. Sie war erst seit 1716 wieder benutzbar nachdem ein neues Dach aufgebracht worden war. Diese Gestalt behielt sie bis zum Durchbau in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts, der nahezu einem Neubau gleichkam. Unter den katholischen Kurfürsten (seit 1685) wurde die Pfalz im 18. Jahrhundert einer staatlich gelenkten verspäteten Gegenreformation ausgesetzt. Im Gegensatz zur Heiliggeistkirche blieb jedoch die Peterskirche in ihrer konfessionellen Bestimmung unangefochten und wurde in der Religionsdeklaration von 1705, durch die Kirchen und Kirchenbesitz in der Pfalz zwischen Reformierten und Katholiken im Verhältnis 5 : 2 geteilt wurden, den Reformierten zuerkannt. Sie verfügte im 18. Jahrhundert wenigstens zeitweise sogar über zwei Pfarrstellen. Um den Anteil evangelischer Professoren am Lehrkörper zu vermindern und Gehälter zugunsten katholischer Professoren freizumachen griff der Staat auf frühere Praktiken zurück und verband mehrfach Peterskirchenpfarramt mit Universitätsprofessur. Von zehn Pfarrern des 18. Jahrhunderts waren sechs zugleich ordentliche Professoren der Theologie, lediglich der letzte in dieser Reihe, Jakob Fauth, war seit 1784 Professor der Eloquenz und Kirchengeschichte an der Philosophischen Fakultät und zugleich seit 1786 bis zu seinem Tod 1807 zweiter Pfarrer an St. Peter. Zu den bekannt gebliebenen Pfarrer-Professoren des 18. Jahrhunderts gehörte Heinrich Hottinger d. J. (1723-1750 im Doppelamt: „Gregi Reformatorum Ecclesiastico Petrino pascens“ und Professor der reformierten Abteilung in der Theologischen Fakultät), Johann Jakob Wundt (1750-1771 im Doppelamt) und Carl Büttinghausen (seit 1759 Professor für Kirchengeschichte und Beredsamkeit an der Philosophischen Fakultät, seit 1771 für Spekulative Theologie und Homiletik sowie seit 1763 bis zu seinem Tod 1786 Pfarrer an der Peterskirche). Durch die badische Union von 1821 wurden die reformierte Gemeinde der Peterskirche und die lutherische Gemeinde der Providenzkirche vereinigt und dadurch eine der beiden Kirchen in gewisser Weise überflüssig. Die Peterskirche wurde, weil nicht heizbar, zur „Sommerkirche“, bis sie seit 1838 für akademische Gottesdienste genutzt wurde.

 

VI. Die Sepultur in der Peterskirche

1401 gewährte der zuständige Diözesanbischof Eberhard von Worms den Angehörigen der Universität in der „Capella Beatae Mariae Virginis“ an der Südseite der Peterskirche freies Begräbnis („ut libere possuit eligere sepultum“) (II Nr. 126), solange dies mit Zustimmung und Willen der Universität geschieht. Dass auch schon vorher Begräbnisse in der Kirche stattfanden, bezeugt die Bestattung Marsilius von Inghens 1396. Beim Neubau der Kirche blieb das Bestattungsprivileg im „Sacellum academicum“ unangetastet. Erst 1665 musste sich die Universität dagegen wehren, dass die kurfürstliche Verwaltung das ius sepulturae nicht anerkenne, sondern Begräbnisgeld verlange. Die Universität verwies gegenüber Kurfürst Karl Ludwig darauf, dass sie bei Rückgabe des Patronats 1554 die Baulast für die Kapelle übernommen und seither getragen habe (Hautz I, S. 172). In der Kirche und auf dem Friedhof, der 1860 offiziell geschlossen wurde, wurden Professoren und ihre Ehefrauen, aber auch Hofbedienstete, in großer Zahl bestattet: Melchior Adam berichtet in seinem „Monumentorum Haidelbergensium Apographum“ 1612 bereits von 187 Grabmälern in der Kirche und auf dem Friedhof zu denen im 18. Jahrhundert noch zahlreiche hinzukamen. Im Folgenden seien einige Namen genannt, deren Denkmäler erhalten und die den Fachleuten bekannt geblieben sind.

Hohe Verwaltungsbeamte: der Kanzler (Protonotorius) Alexander Bellendörfer († 1512), dessen Grabstein der älteste erhaltene ist. Bellendörfer legte 1485 im Auftrag Kurfürst Philipps den Grundstein zum Neubau der Peterskirche; Peter Beuterich († 1587), der politische Berater des Kuradministrators Johann Casimir; Christoph Ehem († 1592), der Kanzler des ersten reformierten Kurfürsten;

die Mitglieder des Oberrates: Marcus zum Lamm († 1606), Otto von Grünrade († 1613), Marquard Freher († 1614) und Ludwig Camerarius († 1652), ferner der Geheime Rat und Vizekanzler Johann Ludwig Mieg († 1671) und der Direktor des Reformierten Kirchenrats Friedrich Ludwig Wundt († 1767).

Theologen: Jodocus Brechtel von Rohrbach († 1520, Teilnehmer an der Heidelberger Disputation 1518), Georg Sohn († 1589), Hieronymus Zanchi († 1590), Daniel Tossanus († 1602), David Pareus († 1622), Karl Büttinghausen († 1786).

Juristen: Wendelin Heilmann († 1561), Kaspar Agricola († 1597), Christoph Ehem (s.o.).

Mediziner: Andreas Grundler und seine Frau Olympia Fulvia Morata (beide † 1555), Jakob Curio († 1572), Heinrich Smetius († 1614), Petrus de Spina d. Ä. († 1622).

Artistische/Philosophische Fakultät: Jakob Micyllus († 1558), Petrus Lotichius Secundus († 1560), Victorinus Strigel († 1569), Lambert Ludolf Pithopoeus († 1596), der Kämpfer gegen den Hexenwahn Hermann Witekind (Wilken) († 1603), der erste Heidelberger Arabist Jakob Christmann († 1613), Jan Gruterus (s. o. II).

Als wohl letzter Professor wurde der Jurist Carl Salomon Zachariae von Lilienthal 1843 auf dem Friedhof der Peterskirche bestattet.

 

LITERATURHINWEISE:

a) Peterskirche

I/II = Winkelmann

WUNDT, Friedrich Peter: Geschichte und Beschreibung der Stadt Heidelberg Bd. 1. Mannheim 1805 (Nachdruck Heidelberg 1997), S. 173-177. 419-421.

HAUTZ, Johann Friedrich: Geschichte der Universität Heidelberg Bd. 1. Mannheim 1862 (Nachdruck Hildesheim 1980).

WINKELMANN, Eduard (Hg.): Urkundenbuch der Universität Heidelberg Bd. I: Urkunden; Bd. II: Regesten. Heidelberg 1886.

OECHELHÄUSER Adolf von (Bearb.): Die Kunstdenkmäler des Amtsbezirks Heidelberg (Kreis Heidelberg) (Die Kunstdenkmäler des Großherzogtums Baden Bd. 8,2). Tübingen 1913, S. 155-197 (Peterskirche).

NEUMÜLLERS-KLAUSER, Renate (Bearb.): Die Inschriften der Stadt und des Landkreises Heidelberg (Deutsche Inschriften Bd. 12). Stuttgart 1970.

DRÜLL, Dagmar: Heidelberger Gelehrtenlexikon 1652-1802. Berlin usw. 1991.

DRÜLL, Dagmar: Heidelberger Gelehrtenlexikon 1386-1651. Berlin usw. 2002.

 

b) Adam Neuser

STRUVE, Burcard Gotthelf: Ausführlicher Bericht von der Pfältzischen Kirchen-Historie [...]. Von Beginn der Reformation an biß auf gegenwärtige Zeiten. Frankfurt a. Main 1721.

ROTT, Hans: Neue Quellen für eine Aktenrevision des Prozesses gegen Sylvan und seine Genossen, in: Neues Archiv für die Geschichte der Stadt Heidelberg und der rheinischen Pfalz Bd. 8 (1910), S. 184-259 (bes. S. 248-259); Bd. 9 (1911), S. 21-48 (Auszüge aus den kurpfälzischen Kirchenrats-Protokollen).

NEU, Heinrich, Pfarrerbuch der evangelischen Kirche Badens von der Reformation bis zur Gegenwart Teil 2. Lahr 1939.

PHILIPPI, Paul: Sylvanus und Transsylvanien, in: Wilhelm Doerr u.a. (Hg.), Semper apertus Bd. 1. Heidelberg usw. 1985, S. 213-230.

BURCHILL, Christopher J.: The Heidelberg Antitrinitarians Johann Sylvan, Adam Neuser, Matthias Vehe, Jacob Suter, Johann Hasler (Bibliotheca Bibliographica Aureliana CXX: Bibliotheca Dissidentium Bd. 11). Baden-Baden/Bouxwiller 1989, S. 107-156.

LESSING, Gotthold Ephraim: Von Adam Neusern, einige authentische Nachrichten, in: Gotthold Ephraim Lessing, Werke und Briefe Bd. 8 (Bibliothek deutscher Klassiker 45). Frankfurt am Main 1989, S. 55-114 (Zur Geschichte und Litteratur aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Dritter Beitrag).

 

c) Stephan Isaak

ROTSCHEIDT, Wilhelm: Stephan Isaak. Ein Kölner Pfarrer und Hessischer [sic!] Superintendent im Reformationsjahrhundert, von ihm selbst erzählt und aus gleichzeitigen Quellen ergänzt. Leipzig 1910 (Abdruck der „Historia“ und „Apologia“ mit ergänzenden Dokumenten).

MÜLLER, Gerhard: Isaak, Stephan, in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 185 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd123346541.html#ndbcontent.

ALBRECHT-BIRKNER, Veronika: Isaak, Stephan, in: RGG Bd. 4 (42001), S. 242.

KÜHLMANN, Wilhelm (Hg.): Killy Literaturlexikon, Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes Bd. 6 (Gütersloh-München 1990), 47f. (Helgard Ulmschneider).

 

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Letzte Änderung: 17.11.2018
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