Peter Brunner: Prediger in endzeitlicher Ausrichtung

Christoph Barnbrock | Adobe Den Beitrag als PDF downloaden

 

 

Peter BrunnerPeter Brunner (Quelle: http://www.brunner-peter.de/)

Peter Brunner:

Geboren am 25. April 1900 in Arheilgen; gestorben am 24. Mai 1981 in Neckargemünd

1947-1968 Professor für Systematische Theologie in Heidelberg, Prediger im Universitätsgottesdienst

 

Leben und Wirken

 

Als Peter Brunner 1947 seine Tätigkeit als Professor für Systematische Theologie an der Universität Heidelberg beginnt, liegen bereits bewegte Zeiten seines Lebens hinter ihm. Geboren kurz nach der Jahrhundertwende fiel sein Theologiestudium in Marburg und Gießen in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Es folgten Studien an der Harvard University, an der er nach einem zweijährigen Studienaufenthalt den Doktortitel erwarb, und später auch an der Sorbonne in Paris. So überschritt Brunner schon früh die Grenzen des deutschen Kontexts und ließ sich auf andere Lebens- und Denkwelten ein.

Nach der Habilitation war Brunner als Privatdozent in Gießen tätig. Nachdem der Senat der Gießener Universität seine Berufung auf den Lehrstuhl für Systematische Theologie im Jahr 1932 beim Kultusministerium beantragt hatte, erfolgte diese am Ende allerdings nicht, da nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten von entscheidender Amtsstelle die Unterschrift verweigert wurde. Denn schon früh hatte Brunner die Fratze des Nationalsozialismus enttarnt. Dieser Konflikt mit der damals herrschenden Ideologie und ihren Vertretern würde das nächste Lebensjahrzehnt Brunners bestimmen.

Denn, nachdem er Pfarrer in Ranstadt geworden war, geriet er auch dort in Konflikt mit den neuen staatlichen Autoritäten. Im Jahr 1935 wurde er festgenommen und für drei Monate im Konzentrationslager Dachau inhaftiert. Es folgte eine Tätigkeit an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal, bevor auch diese geschlossen wurde und Brunner seine Lehrtätigkeit untersagt wurde. Im Folgenden war Brunner bis zum Kriegsende im Untergrund in der Theologenausbildung und im Verborgenen als Pfarrer von Bekenntnisgemeinden tätig.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erging zunächst ein Ruf an Brunner, Leiter des Predigerseminars der EKHN in Friedberg zu werden. Doch auch hier zeigte sich Brunner als widerständiger Denker, der längst das lutherische Bekenntnis für sich entdeckt hatte. So drängte er, würde er die Leitungsstelle übernehmen, auf konfessionell eindeutige reformierte oder lutherische Ordinationen der jeweiligen Kandidaten. Am Ende ließ sich Brunner nach Heidelberg rufen und war dort bis zum Eintritt in den Ruhestand als Professor für Systematische Theologie und nicht zuletzt auch als Universitätsprediger tätig.

Dabei wirkte Brunner als international angesehener Theologe, dem schon 1936 von der Theologischen Fakultät in Basel die Ehrendoktorwürde verliehen worden war. Ökumenisches Engagement und konfessionelle Positionierung bildeten für ihn keinen Gegensatz, sondern gehörten, ganz im Gegenteil, unbedingt zusammen, was ihn einerseits in seiner eigenen Kirche bisweilen auf Unverständnis stoßen, andererseits aber andererseits auch Brücken ins bekenntniskirchliche Luthertum schlagen ließ.

Neben persönlichen Schicksalsschlägen waren die letzten Lebensjahre Brunners auch von Resignation angesichts der kirchlichen und theologischen Verhältnisse geprägt: „Nichts von dem, was ich kirchlich und theologisch gewollt habe, habe ich erreicht“, zitiert Friedrich Beißer ihn (Beißer, 170). Und in einem Brief an Hermann Sasse beschrieb er sich wenige Jahre vor seinem Tod als einen „Mann, der nie in einer lutherischen Kirche Dienst getan hat, aber von einer Erneuerung der lutherischen Kirche viel, sehr viel erhofft hat und auch etwas, so weit die Möglichkeiten reichten, dafür gearbeitet hat, freilich aufs Ganze gesehen umsonst […]“ (zit. bei Hopf, dort 85).

Auffällig ist, wie sehr Brunner als Systematischer Theologe häufig an der Grenze zur Praktischen Theologie gearbeitet hat. Hierfür sind seine Vorarbeiten zur 1949 erschienenen Kirchenagende I und seine monumentale liturgische Dogmatik „Zur Lehre vom Gottesdienst der im Namen Jesu versammelten Gemeinde“ besonders herausragende Zeugnisse. Entsprechend sind wir in der glücklichen Lage, vom Universitätsprediger Brunner nicht nur Predigten, sondern auch Reflexionen über das Predigen zur Verfügung zu haben.

 

Homiletische Reflexionen

 

Charakteristisch für Brunners Predigtverständnis ist die Betonung der Vernetzung von Predigt und Gottesdienst. Die jeden Sonntag neue Predigt ist eingebettet in einen liturgisch weitgehend feststehenden Rahmen. Gerade dies aber gibt dem Prediger „die Erlaubnis“, „das spezifische Kerygma der jeweiligen Schriftauslegung der konkreten Gemeinde weiter zu geben“ (Brunner, Sinn, 2f.). Er erhofft sich davon die Vermeidung „einer falschen Monotonie“ (a.a.O., 3) und stattdessen eine „im Blick auf die Gemeinde notwendig[e] Neugestaltung der Botschaft (bei gleichbleibendem Inhalt!)“ (a.a.O., 6). Als Voraussetzung dafür, dass dies gelingt, fordert er „sorgfältige Auslegung der Perikope selbst, also […] Exegese“ (a.a.O., 3). Für die liturgische Gestaltung des Predigtteils hält Brunner eine größtmögliche Schlichtheit der Kanzelliturgie für angemessen, um die Verknüpfung von Predigt und übrigem Gottesdienst möglichst erkennbar werden zu lassen: „Die Predigt sollte sich ungezwungen, natürlich und unbetont in das Ganze des Gottesdienstes hineinfügen.“ (Brunner, Ordnung, 61, im Original gesperrt).

Dabei erschöpft sich für ihn die Predigt nicht in der Darlegung exegetischer Erkenntnisse oder in der Präsentation von Bekenntnissätzen. Vielmehr hält er fest: „Predigt für die Kirche heute entsteht nur so, daß der biblische Text von dem Prediger selbst zuvor unmittelbar als Predigt für uns heute gehört worden ist.“ (Brunner, Sinn, 5). Eigene existenzielle Betroffenheit des Predigers, der zugleich die gegenwärtige Situation der Predigthörenden im Blick hat, ist bei Brunner also für die homiletische Arbeit ebenfalls vorausgesetzt.

Dem entspricht bei Brunner auf der anderen Seite eine „radikale Eschatologisierung des Gottesdienstes“ (Brunner, Theologie, 116 – kursiv im Original):

„[…] Wie die Gabe des Geistes selbst, so ist auch der Gottesdienst der Kirche ein endzeitliches Phänomen in einem apokalyptischen Horizont. Der Gottesdienst der Kirche ist daher unmittelbar auf die Parusie Jesu ausgerichtet. Das Maranatha ist ein Wesensmerkmal des christlichen Gottesdienstes. Geht das, was sich in dem Maranatha ausspricht, in der zum Gottesdienst versammelten Gemeinde verloren, so ist die Substanz des christlichen Gottesdienstes verloren.“ (a.a.O., 114f. – kursiv im Original).

Entsprechend ist auch die Predigt in diese eschatologische Ausrichtung des Gottesdienstes mit hineingenommen, ohne dass allerdings diese Welt mit ihrer Eigenart, ihren Gefährdungen und ihren Aufgaben vollends aus dem Blick geriete.

 

Predigtpraxis: Die Beispielpredigt

 

Die Beispielpredigt, die Peter Brunner am 1. Dezember 1963 zum Ersten Sonntag im Advent im Universitätsgottesdienst gehalten hat, ist zugleich auch die erste Predigt im schmalen Predigtband „Eins ist not“. Dies ergibt sich zum einen aus der kirchenjahreszeitlichen Verortung am ersten Sonntag des Kirchenjahrs, zum anderen gibt diese Predigt auch den Grundton für die übrigen Predigten in diesem Band an, von dem der Klappentext behauptet, dass „die theologiegeschichtliche Bedeutung dieser Predigten“ „[i]n der starken Betonung der Eschatologie [liege]“.

Brunner beginnt die Predigt mit einer sprachlichen Inszenierung des zyklischen Zeitverständnisses und verbindet dieses mit dem Advents-/Weihnachtslied „Alle Jahre wieder“, um diese durch einen sprachlichen Einschnitt („Halt!“) zu unterbrechen und der Wiederholung des Immergleichen die „Erwartung dessen, der da kommen wird“ (8) gegenüberzustellen. Zur Veranschaulichung dessen, was die Eigenart der auf ein Ziel ausgerichteten Heilsgeschichte ist, führt Brunner das Bild eines „fliegende[n] Pfeil[s]“ (8) ein, das er im Folgenden weiter ausführen wird:

„Der Pfeil, der auf der Sehne der Erschaffung der Welt mit der Erwählung Israels abgeschossen wurde, dieser Gottespfeil des Heiles ist mit Christi Kreuz und Auferstehung ein für allemal wie ein Blitz sichtbar geworden. Keine Gewalt im Himmel und auf Erden, auch nicht die Gewalt kosmischer Umschwünge, auch nicht die Gewalt der sich dehnenden Zeiträume unserer Menschengeschichte, kann die Gewalt dieses Gottespfeiles und seines Fluges brechen oder ablenken.“ (8)

Doch Brunner belässt es nicht bei dieser geschichtsübergreifenden Schau, sondern setzt sie ins Verhältnis zum Erleben der Hörergemeinde, wobei die schon benannte Erfahrung „der sich dehnenden Zeiträume“ nun zu einer wesentlichen Beschreibung der Situation der Hörenden wird. Die vermeintliche Verzögerung der Wiederkunft Christi wird als „Anfechtung“ (9) ausgeschildert, die letztlich die Göttlichkeit Jesu Christi in Frage stellt.

Dabei stellt sich Brunner gegen alle Vermittlungsversuche und fordert stattdessen: „Die Christenheit muß wieder erfahren, dass sie den Herrn Jesus als ihren Herrn nur so haben kann, daß sie auf sein Kommen wartet, ihn selbst in Person erwartet, Jahr für Jahr, Tag für Tag, […]“ (10).

Plausibilisiert wird das von Brunner anhand des Predigttextes, der ja gerade den Umstand der Nichtberechenbarkeit der Wiederkunft Christi herausstellt. Um zu veranschaulichen, wie tatsächlich der normale Alltagstrott durch ein Ereignis von einem Moment auf den anderen durchbrochen werden kann, greift Brunner auf die Ermordung Kennedys neun Tage zuvor zurück und folgert: „So nahe ist uns im Bereich des Weltgeschehens das gefährlich Plötzliche, das Unvorhergesehene, das Umwerfende.“ (11) Dies nun versteht Brunner als „ein ganz entferntes Gleichnis für die Nähe des Plötzlichen, das dem Tage des Herrn eigen ist“ (11).

Doch den Gegenwartsbezug der Predigt stellt er nicht bloß durch Aufnahme eines solchen weltgeschichtlich bedeutsamen Ereignisses dar, sondern auch so, dass er seine Botschaft in der naturwissenschaftlich geprägten Sprache und Denkwelt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entfaltet: „Seitdem der Mensch Jesus, der Gottes wahrhaftiger Sohn von Ewigkeit her ist, in unserer Mitte war, für uns am Kreuz gestorben ist und als erster und einziger von den Toten auferstanden und in die Majestät Gottes eingesetzt ist, seitdem ist dieses ganze, uns tragende Weltgefüge bis hinauf in die fernsten Milchstraßensysteme und bis hinab in die innersten Atomkerne hauchdünn geworden, weil jetzt der von den Toten auferstandene Herr Jesus, der Herr aller Herren, unmittelbar dahintersteht.“ (11) So werden theologische Aussage und Lebenswelt miteinander verwoben.

In der Situation der Nacht, die Brunner mit dem Predigttext für die Menschen annimmt, sieht er für die christliche Gemeinde einen „doppelten Lichtkegel“ (12) gegeben: im Rückblick ist dies die Krippe in Bethlehem, im Ausblick „der Tag des Herrn“ (12). Was dieser konkret mit sich bringt, malt Brunner mit biblischen Bildern aus: „Mit ihm zusammen leben, mit ihm nicht weniger eng zusammen sein, als jener Simeon mit ihm zusammen war, als er das Kindlein auf seine Arme nahm, mit ihm so zusammen sein wie jener Jünger, der an seiner Brust lag, und wie jener andere, der die Hand ihm reichte und in seine Seite legen durfte, so mit ihm zusammen leben, das ist es doch, was auf euch zukommt.“ (12)

Gleichzeitig setzt hier – wieder in Aufnahme des Predigtwortes – auch die paränetische Zuspitzung der Predigt an: In diesem Licht gilt es zu bleiben und der Wiederkunft Christi entgegenzuwachen. Und zugleich ist dieses Licht überhaupt die Möglichkeit, wach zu bleiben: „Ihr steht dort nicht unangefochten. Aber ihr habt den Schutzpanzer des Glaubens und der Liebe, und ihr habt den Helm, den ihr unter keinen Umständen wie einen abgetragenen Hut beiseite legen dürft, den Helm, der die Hoffnung auf das Heil selber ist, die Hoffnung auf den Heilstag der Erscheinung des Herrn. Mit dieser Waffenrüstung angetan werdet ihr die Vigil des Advent durchstehen – auch wenn sie noch einmal neunzehnhundert Jahre dauern sollte.“ (12)

Mit dem Schlussabschnitt der Predigt bricht der Prediger dann allerdings noch einmal mit der Logik der Paränese, sodass das Wachen nun nicht (mehr) als Voraussetzung für das Erreichen des Ziels erscheint. Vielmehr gilt: „Das ist entschieden!“ (13). Das Wachen wird so zu einer Lebenshaltung, die sich aus dem Heil ergibt, das die Hörenden längst schon empfangen haben.

Brunner zeigt sich in dieser Predigt als engagierter Zeitgenosse, der die christliche Botschaft in seiner Zeit zu interpretieren versteht, allerdings mit der eschatologischen Orientierung einen weit größeren Horizont beschreibt als den, der sich rein empirisch fassen lässt. Dabei ist er in seinen Aussagen klar und herausfordernd, in besten Sinne des Wortes „anstößig“ und im Gesamtduktus der Predigt ein zutiefst evangelisch redender Theologe.

 

Predigt über 1 Thess 5,1-10 im Universitätsgottesdienst in der Heidelberger Peterskirche am Ersten Sonntag im Advent, 1. Dezember 1963

 

LITERATURHINWEISE

Brunner, Peter: Bemühungen um die einigende Wahrheit, Göttingen 1977.

Ders.: Pro Ecclesia. Gesammelte Aufsätze zur dogmatischen Theologie, Bd. I und II, Berlin/Hamburg 1962/1966.

Ders.: Eins ist not. Elf Predigten aus dem Heidelberger Universitätsgottesdienst (Pflüget ein Neues. Göttinger Predigt-Hefte, Heft 15/16), Göttingen 1965.

Ders.: Zur Lehre vom Gottesdienst der im Namen Jesu versammelten Gemeinde, in: Leit. 1, Kassel 1954, S. 84–361.

Ders.: Die Ordnung des Gottesdienstes an Sonn- und Feiertagen, in: Joachim Beckmann u.a., Der Gottesdienst an Sonn- und Feiertagen. Untersuchungen zur Kirchenagende I, 1, Gütersloh 1949, S. 7–75.

Ders., Vom Sinn der Predigthilfe, in: Vom Sinn der Predigthilfe, Wuppertal-Barmen 1940, 2–8.

Ders.: Theologie des Gottesdienstes?, KuD 22 (1976), 96–121.

Bibliografie bis 1965 in: Schlink, Edmund /Peters, Albrecht (Hg.): Zur Auferbauung des Leibes Christi, FS Peter Brunner, Kassel 1965, S. 297–304

Beiẞer, Friedrich: Erinnerung an Peter Brunner, KuD 46 (2000), S. 168–178.

Eiẞler, Tobias: „Die ganze Theologie“. Erinnerung an Peter Brunner, ThBeitr 31 (2000), S. 322–338.

Fischer, Konrad: Ein eisenharter Lutheraner. Fällige Erinnerung an den leidenschaftlichen Theologen Peter Brunner, LM 34, Heft 6 (1995), S. 23–25.

Hopf, Friedrich Wilhelm: Erinnerungen an Peter Brunner, LuthBl 123/124 (1981/82), 75–85.

Peters, Albrecht: Ringen um die einigende Wahrheit. Zum Gedenken an Professor D. Peter Brunner, KuD 29 (1983), 197–224.

Schlink, Edmund: Predigt in der Trauerfeier für D. Peter Brunner, KuD 28 (1982), 2–6.

Übersicht über den Nachlass Peter Brunners im Externer Inhalt Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland (PDF)


 

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Letzte Änderung: 22.08.2017
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