Predigt – das Band zwischen Wissenschaft und Frömmigkeit

Stefan Karcher | Adobe Den Beitrag als PDF downloaden

 

Bassermann um 1900
Heinrich Bassermann als Universitätsprediger, ca. 1909 (Quelle: http://heidicon.ub.uni-heidelberg.de/id/53088)
​Heinrich Bassermann:

Geboren am 12. Juli 1849 in Frankfurt;
gestorben am 29. August 1909 in Samaden (Schweiz)

Universitätsprediger von 1885 bis 1909

 

 

Te deum laudamus erschallte es im Juli 1909 in der Peterskirche. Der Bach-Chor schmetterte die Worte des Chorals – von Joseph Haydn vertont – und schuf damit zum Lobe Gottes eine majestätische Atmosphäre. Dass darin Heinrich Bassermann zum letzten Mal von der Kanzel der Peterskirche predigen würde, ahnte niemand. Mit seiner sonoren Baritonstimme forderte er in der Predigt dazu auf, nach dem tröstenden und stärkenden Einfluss Jesu im Leben zu suchen und mit aller Gewalt, aus innerer Überzeugung zu bekennen: „Du bist der Christus!“ Auf den Tag genau fünf Wochen später starb Bassermann in den Schweizer Alpen an Typhus. Sein letzter Gottesdienst muss im Rückblick wie der Schlussstrich unter einem persönlichen Resümee gewirkt haben, als ob er sich verabschieden wollte mit dem gemeinsamen te dominum confitemur!

 

Bassermanns letzter Universitätsgottesdienst beinhaltete alles, was sein Predigt- und Gottesdienstverständnis charakterisierte. Predigt, Musik und Gesang im Gottesdienst machten das unsichtbare Wesen der Religion sichtbar. Die einzelnen Elemente der Liturgie setzten sich zu einem Gesamtkunstwerk zusammen, das durch den alltäglichen Ausdruck der Frömmigkeit in Gebet und Lied ergänzt wurde und so eine sinnliche Erfahrung der Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft bewirkte. Im Zentrum des Gottesdienstes stand die Darstellung dieser Frömmigkeit, um die Frömmigkeit aller Gottesdienstbesucherinnen und -besucher zu erbauen. Die Predigt erhielt im Zusammenhang der Liturgie keinen besonderen Vorzug. Alle Elemente des Gottesdienstes sollten die gleiche Wirkung erzielen.

 

Die Predigt hatte den Zweck, die Frömmigkeit als Gefühl zu erbauen und stand auf dem Fundament einer wissenschaftlich reflektierten Predigtlehre. Mit dem Handbuch der geistlichen Beredsamkeit hatte Bassermann 1885 dafür zunächst eine Methodenlehre vorgelegt, die er als Kunsttheorie aus der klassischen Rhetorik entwickelt hatte. Bereits 1879, in seinem programmatischen Aufsatz für die Zeitschrift für praktische Theologie, machte er zudem sein zugrundeliegendes praktisch-theologisches Verständnis deutlich: Wissenschaft und religiöses Gefühl sollten sich – gleichberechtigt – gegenseitig bereichern. Den Ursprung wissenschaftlicher Theologie sah er in der kirchlichen Praxis und dorthin wirkten die in den praktisch-theologischen Fächern ausgebildeten Geistlichen unmittelbar zurück.

 

Dass Heinrich Bassermann Theologe wurde, war nicht von vorneherein vorgesehen. Als Jugendlicher hatte er vor, Jurist zu werden und die Familientradition in Wirtschaft und Politik fortzusetzen, so wie seine älteren Brüder Otto, Emil und Max. Diese folgten als Politiker, Fabrikanten und Verleger den Vorfahren, die als Kaufleute und Bankiers in Heidelberg, Schwetzingen und Mannheim erfolgreich und bekannt waren. Den Grundstein dazu hatte Johann Christoph Bassermann mit dem Hotel „Zu den drei Königen“ in Heidelberg gelegt, das hochkarätige Gäste wie Johann Wolfgang Goethe und Robert Schumann beherbergte.

 

Heinrich Bassermanns Vater, Friedrich Daniel Bassermann, war der wohl berühmteste Vertreter der Familie. Als Fraktionsvorsitzender stand er der liberalen Casinofraktion in der Paulskirchenversammlung 1848/49 vor. Dort, in Frankfurt, wurde der jüngste Sohn Heinrich im Juli 1849 geboren, Heinrich von Gagern wurde sein Taufpate. 1850 zog die Familie nach Mannheim zurück, wo Alltag und Erziehung im liberalen Bürgertum des 19. Jahrhunderts stets mit einer künstlerischen und humanistischen Ausbildung verbunden war. Bassermann zeigte sich nicht nur künstlerisch und musikalisch begabt, sondern legte auch als Primus das Abitur am Mannheimer Lyzeum ab. Er hielt die Abiturrede und forderte darin seine Mitschüler auf, sich im Leben verantwortungsbewusst am Beispiel Herders zu orientieren und dessen Wahlspruch „Licht, Liebe, Leben“ zu folgen.

 

Für eine religiöse Bildung sorgte Bassermanns Mutter, Emilie Karbach, eine Tochter des Mannheimer Pfarrers Philipp Karbach. Sie pflegte engen Kontakt zu Emil Otto Schellenberg, einem liberalen, Mannheimer Pfarrer und Schüler Richard Rothes. Schellenberg hatte bereits den jungen Gustav Adolf Koellreutter zum Theologiestudium gebracht, der seinerseits Bassermanns Interesse für die Theologie weckte. Koellreutter war als Waise in der Familie seiner Schwester, bei Marie und Dettmar Alt, aufgewachsen. 1873 heiratet Bassermann deren Tochter Helene aus Herzensneigung und gegen den Willen der eigenen Mutter. Bassermann musste zusichern, vor der Hochzeit das Studium abzuschließen, das er 1868 in Jena aufgenommen hatte.

 

Der Abschluss des Theologiestudiums, das von liberalen Theologen in Jena, Zürich – dort insbesondere von Alexander Schweizer – und Heidelberg geprägt war, hätte Bassermann über das Vikariat in Baden-Baden in den Pfarrdienst in Baden führen können. Stattdessen nahm er das Amt als Hilfsprediger am Fürstenhof der Waldecker in Arolsen an, von wo aus er sein Lizenziat in Jena vorbereitete. Arolsen und Jena markierten das Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis: einerseits die wöchentliche Predigt und der als eintönig empfundene Alltag im Pfarrdienst, andererseits in Jena die reizvollere wissenschaftliche Reflexion. Kurz nach Abschluss seines Lizenziats in Jena folgte der Ruf zum außerordentlichen Professor nach Heidelberg und damit erfüllten sich zwei Wünsche: Bassermann durfte in die Heimat zurückkehren; und er durfte lehren. Gute Lehre betrachtete er als Voraussetzung zum Gelingen seiner Lebensaufgabe.

 

Seine Berufung nach Heidelberg 1876 weckte bei Kollegen und Bekannten Hoffnungen. Sie erwarteten von dem jungen, gerade 29 Jahre alten Kurpfälzer – noch dazu einem Liberalen – dass er den Umschwung brächte, den die Fakultät bräuchte. Grabenkämpfe zwischen historisch-kritischen und frommen Theologen hatten die Stimmung an der Fakultät vergiftet. Der Konflikt zwischen liberalen und konservativen Kräften hielt viele Jahre an und Bassermann war sich bewusst, dass er seine Tätigkeit von „übertriebenen und albernen Erwartungen“ begleitet begonnen hatte.

 

Während seiner über dreißig Jahre dauernden Lehrtätigkeit setzte er sich mit allen Gebieten der Praktischen Theologie auseinander. Er hielt Pfarrer nicht allein durch gesunden Menschenverstand oder Talent dazu befähigt, ihre Aufgaben zu erfüllen, sondern forderte von ihnen „Wissen vom Tun“ ein. Die Vorlesungen und Übungen zielten daher auf eine grundsätzliche Reflexion über die Tätigkeiten innerhalb der Kirche, um sich damit gegen die „1000 Fehlgriffe“ zu stellen, die in der Praxis vorkämen.

 

Als Bassermann 1885 das Direktorium des „evangelisch-protestantischen theologischen Seminars“, des ehemaligen Predigerseminars übernahm, begann eine grundlegende Reorganisation der praktischen Ausbildung. Die Gründung des „Praktisch-Theologischen Seminars“ im Jahr 1895 markierte die bis 2012 bestehende Trennung von wissenschaftlich-theologischen und praktisch-theologischen Disziplinen unter dem Dach der Theologischen Fakultät. Das Amt des Seminardirektors war mit der Funktion des Universitätspredigers verbunden, so dass Bassermann für die Gestaltung und Organisation der Universitäts- und Seminargottesdienste verantwortlich war. Diese dienten den Kandidaten dazu, die im Seminar erlernten Fähigkeiten praktisch einzuüben, was Bassermann von Inhalt bis Vortrag kritisch beurteilte. Selbst predigte er ebenfalls etwa fünfmal im Semester.

 

Der August 1909 war der wohl schwärzeste Monat in der Geschichte der Theologischen Fakultät. Im Abstand von nur vier Wochen starben Adolf Hausrath, Adalbert Merx und Heinrich Bassermann – drei aktive Professoren im Lehrbetrieb. Mit Bassermann verlor die Fakultät eine der letzten Gestalten der liberalen Theologie. Er hatte durch Lehre und Predigt weit in die badische Kirche hineingewirkt und verstand es, in seinen Predigten alle Facetten zu verbinden, die sein tägliches Leben kennzeichneten: sein Sinn für Kunst, seine Frömmigkeit und die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Arbeit. Wenige Monate vor seinem Tod schrieb er seinem engen Freund Paul Mehlhorn, dass es ein Glück sei, dass er predigen dürfe, denn die Predigt erhalte seine Frömmigkeit. Die Aussage machte deutlich, welchen Stellenwert er dem Predigen im eigenen Leben, seiner akademischen Lehre und dem Gottesdienst beimaß: Die Predigt sollte Wissenschaft und Frömmigkeit verbinden, weil darin einen Ansatz lag, um dem komplexen Zusammenspiel von Emotion und Intellekt, religiösen Fragen und persönlichen Herausforderungen gerecht zu werden, letztlich auch um das Beziehungsgeflecht zwischen Gott und den Menschen zu fördern.

 

Predigbeispiel: „Inwiefern das Bekenntnis des Petrus auch das unsre ist“ (Mk 8,27-30), gehalten in Heidelberg am 25. Juli 1909 (7. Sonntag nach Trinitatis)

 

LITERATURHINWEISE

 

BASSERMANN, Heinrich: Handbuch der geistlichen Beredsamkeit, Stuttgart 1885.

 

CONRAD, Ruth: Wie predigen wir dem „akademischen“ Menschen? Einrichten und bleibende Anfragen der liberalen Theologie, in: Evangelische Theologie 76 (2016), S. 135-149.

 

FROMMEL, Otto: Art. „Heinrich Bassermann“, in: Badische Biographien. 6. Teil. 1902-1911, Heidelberg 1935, S. 525-527.

 

GALL, Lothar: Bürgertum in Deutschland, Berlin 1989.

 

HARTMANN, Carl: Heinrich Bassermann. Vortrag gehalten im Wissenschaftlichen Predigerverein, Karlsruhe 1912.

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Letzte Änderung: 18.11.2016
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