Promotionsprojekt | Anna Lidor-Osprian
The Lost Corpse. Constructions and Significance of the Dead in Medieval Ashkenaz.
Den Ausgangspunkt der Untersuchung stellt die ambivalente Bewertung des toten Körpers im Judentum dar, der zum einen als Ursache für die drastischste Form ritueller Verunreinigung gilt, zum andere jedoch, als Teil der Schöpfung Gottes, Ehrerbietung und Respekt vonseiten der Lebenden verdient. Die Diskrepanz zwischen diesen beiden Einstellungen zum Leichnam beeinflusste nicht nur den direkten Umgang mit den Toten und deren Wahrnehmung; sie ermöglichte die Entrückung des Leichnams aus der Sphäre der Lebenden und letztendlich dessen Konstruktion als kulturelles Objekt.
Die Dissertation stellt die Frage nach der kulturellen Signifikanz sowie Konstruktion des toten Körpers im mittelalterlichen Aschkenas und thematisiert Darstellungsweise, Konstruktion sowie Instrumentalisierung des Leichnams in jenen rabbinischen Quellen des 13. und 14. Jahrhunderts, welche der Tradition der Chassidei Aschkenas (= die Frommen von Aschkenas) nahe standen. Neben normativen Quellen werden außerdem narrative bzw. moralisch-erbauliche Texte jüdischer wie auch christlicher Prägung in die Analyse miteinbezogen. Zentral sind in dieser kulturhistorischen Untersuchung Fragen nach der Praktikabilität, Akzeptabilität, Intention und Variation rabbinischer Vorschriften und Gesetzesentscheide im Mittealter, wobei neben innerjüdischen Dynamiken äußere Einflüsse – und hier vor allem Impulse der christlichen Kultur – in der Analyse berücksichtigt werden.