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Wie passt der Islam nach China?

Roberta Tontini staunt, wie gut der Islam sich konfuzianischen Lehren anpasste - und wie schnell die Eintracht verschwinden kann.

Anfangs war sie skeptisch. Während Roberta Tontini zum ersten Mal in den Texten des alten Liu Zhi aus dem frühen 18. Jahrhundert blätterte, kannte der kleine Teufel auf ihrer linken Schulter nur ein Wort: Opportunist! „Ich war sicher, dass dieser muslimische Gelehrte sich nur scheinbar seinen neuen Herrschern anpasste.“ Immer habe sie beim Lesen den Wolf im Schafspelz gesucht, sagt sie. Es überraschte sie, dass der Autor in seinem Werk „Tianfang Dianli“ einer harmonischen Verbindung des sunnitischen Islam mit den Lehren des Konfuzianismus das Wort redete. Wie sollte das gehen, dass sich die Religion angeblich jeder in China herrschenden Gesellschaftsordnung anpasste? „Die konfuzianischen Muslime sind die Vorväter der heutigen chinesischen Muslime - das letztliche Ergebnis verblüffte mich: ein muslimischer Kommunist.“ Hier strenge Hierarchie, dort Gleichmacherei. Doch Tontinis Neugier war geweckt. „Und je mehr ich erfuhr, umso klarer wurde, dass ich mich getäuscht hatte.“ Drei Jahre später zweifelte Tontini sogar, ob ein alter chinesischer Islamgelehrter nicht doch Recht gehabt hatte. Er hatte ihr vor der Moschee von Kunming einmal zugeraunt: „Wir verstehen den Islam besser als die Araber.“

Roberta Tontini
Roberta Tontini

Im Master-Studium in Rom hatte Tontini sich mit klassischer Literatur befasst - jetzt wollte sie raus aus der akademischen Welt. „Ich wollte Forschungsfragen finden, die gesellschaftlich relevant waren“, sagt sie. An der Xiamen-Universität im Südosten Chinas flammte ihr Interesse am chinesischen Islam wieder auf. Wie konnte es sein, dass China die Jesuiten aus dem Land geworfen, aber den Islam zugelassen hatte? Und wie gelang es den Muslimen, sich in einen säkularen Staat zu integrieren, dessen Grundprinzipien im krassen Widerspruch zum islamischen Recht zu stehen schienen? „Um wirklich einzutauchen, musste ich ein Teil des chinesischen Systems werden“, sagt Tontini.

Sie erhielt ein Stipendium der chinesischen Regierung und unterrichtete Italienisch und Latein an der Universität. Zugleich erkundete sie den Alltag der Chinesen und besuchte immer wieder die Moschee. Nach und nach lernte sie die islamische Gemeinde von Xiamen kennen. „Ich wollte mich beim Lernen nicht auf klassische Texte beschränken“, sagt Tontini.

Tontini wechselt beim Erzählen immer wieder zwischen den Welten, während sie in einem Heidelberger Café ihren Espresso trinkt. Schon als Jugendliche war sie fasziniert von Menschen, deren Identität sich aus verschiedenen Wurzeln speist. „Manchmal ist das eine Quelle von Spannung, von Konflikt, und manchmal funktioniert es vorzüglich“, sagt sie. Beim Islam in China suchte sie Spannung und Konflikt - und fand stattdessen Eintracht.

Schon im neunten Jahrhundert wanderten Sunniten aus dem Nahen Osten nach China ein. Zunächst kamen vor allem Männer, die bald chinesische Frauen heirateten - ein starker Antrieb, die religiösen Hintergründe miteinander in Einklang zu bringen. Und der islamische Gelehrte Liu Zhi war der selbsternannte Vermittler zwischen den Welten.

In seiner Schrift „Tianfang Dianli“ geht er der Frage nach, wie die muslimische Minderheit mit Nichtmuslimen interagieren, wie sie islamisches Recht anwenden soll, um Konflikte zu vermeiden. Dafür ersetzte er islamische Hierarchien kurzerhand durch eine konfuzianische Sozialstruktur. So definierte er die fünf Säulen des Islam auf der Grundlage ritueller Etikette der Konfuzianisten. Die Beziehungen zwischen Herrscher und Untertan, Vater und Sohn, Mann und Frau, unter Brüdern und zwischen Freunden nutzte er dabei als Ordnungsschema.

So gelang es Liu Zhi, neben den fünf Säulen des Islam (ibadat) auch die zweite Domäne der Scharia (mu'amalat) mit dem Konfuzianismus in Einklang zu bringen. Sie erläutert Regeln zur Kriegsführung, zu Ehe, Scheidung, Erbe und Handel und stand zunächst in ständigem Konflikt mit der Herrschaft der Qing, orientiert an den fünf Beziehungen. Der Gelehrte machte passend, was nicht zu passen schien - etwa die Regeln zur Vielehe oder die Unmöglichkeit, einen Ungläubigen als Herrscher anzuerkennen.

Liu Zhis akademischer Text aus der frühen Mandschu-Zeit war erst der Beginn der Anpassung. Islamische Gelehrte ließen sich von ihm inspirieren für sogenannte „Drei-Zeichen-Klassiker“. Das sind präzise Kondensate der islamischen Rechtsprechung für die Normalbevölkerung, in Reimen verpackt für die mündliche Weitergabe. Und an jeder politischen Weggabelung - beim Wechsel von der Mandschu-Herrschaft zur Republik und weiter zur kommunistischen Volksrepublik - passten die Autoren die Übersetzung wieder den politischen Gegebenheiten an, bis heute.

Anfangs dachte Tontini, bei den leichten Abwandlungen von Ausgabe zu Ausgabe handle es sich um Fehler bei der Abschrift. Bei Heidelberger Forschern stieß sie mit diesem Rätsel auf Interesse. Im Graduiertenprogramm für transkulturelle Studien (GPTS) des Exzellenzclusters „Asia and Europe in a Global Context“ fand sie wissenschaftliche Freiheit. „Bevor ich hierher kam, kannte ich Wissenschaft als Wettbewerb, in dem mit Informationen gegeizt wurde - hier habe ich eine neue Offenheit kennengelernt.“ Man tauschte sich aus, unorthodoxe Ideen und neue Quellen waren erwünscht.

Roberta Tontini ist überzeugt, dass es zumindest den muslimischen Hui-Chinesen gelungen ist, zugleich ihrer Religion treu zu bleiben und sich in die chinesische Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. Als Nachfahren der ersten sunnitischen Einwanderer leben sie heute in ganz China verstreut. Für exportierbar hält sie diesen Erfolg allerdings nicht unbedingt. „Der historische Kontext ist so spezifisch, dass sich die chinesische Erfahrung nicht leicht wiederholen ließe“, sagt sie. Es scheine, als sei die Annähe rung vor allem von den Muslimen selbst ausgegangen.

Anders als andere muslimische Gruppierungen in China fühlen sich die Hui dem Land eng verbunden. Tontini erzählt, die Regierung habe deshalb 2008 ein mehr als 200-bändiges Konvolut zum Islam in China veröffentlicht - um die religiöse Theoriebildung nicht ausländischen Islamgelehrten zu überlassen. Denn seit den 90er-Jahren lesen Muslime in China statt der Drei-Zeichen-Klassiker auf Chinesisch wieder vermehrt jüngere arabische Schriften in der Übersetzung. Die Spannungen nehmen ständig zu, und Imame werden zunehmend im Ausland ausgebildet, viele von ihnen in Pakistan. Seither scheint das, was einst ein nachhaltiger chinesischer Islam war, wieder in Gefahr zu geraten.

 

Kurzbiografie

Roberta Tontini

Roberta Tontini Roberta Tontini studierte Sinologie an der Universität von Rom - mit einem Auslandssemester an der Universität Göttingen - und promoviert nun in Sinologie am Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ in Heidelberg. In ihrer Master-Arbeit beschäftigte sie sich mit der Identität chinesischer Muslime. Danach arbeitete sie drei Jahre lang in Xiamen in der südostchinesischen Provinz Fujian und unterrichtete zugleich an der Xiamen-Universität Latein und Italienisch - am Ende gab sie sogar eine eigene italienische Grammatik heraus.

Für ihre Doktorarbeit untersucht sie, wie islamisches Recht in China definiert und inkorporiert wurde und wird. Tontini spricht fließend Chinesisch und hat auch Hindi und Arabisch gelernt. Sie hat ein Architektur-Lehrbuch aus dem Chinesischen ins Italienische übersetzt und in tibetischen Flüchtlingslagern in Dharamsala als Englischlehrerin gearbeitet.

 

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Letzte Änderung: 16.03.2018
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