apl. Prof. Dr. Michael Schredl

Zur Person

Schlafambulanz, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI), Mannheim

 

Schredl

 

Interview vom 15. März 2010 führte Dr. Elke Ahlsdorf

 

Herr Professor Schredl, Sie beschäftigen sich mit Traumforschung. Uns vom Netzwerk AlternsfoRschung interessiert natürlich auch besonders das Alter. Weiß man denn, ob sich die Traumerinnerung mit dem Alter verändert?

Die meisten Querschnittstudien stellen fest, dass die Traumerinnerung im Alter abnimmt. Eine Querschnittstudie hat natürlich das Problem, das nicht tatsächlich der Verlauf über die Lebensspanne untersucht wird, sondern verschiedene Generationen. Es gibt bisher noch keine Längsschnittstudie. Wir selber haben ältere Personen retrospektiv gefragt, ob sie denn wahrgenommen haben, dass sich die Traumerinnerung im Vergleich zu ihrem jungen Erwachsenenalter verändert hat. Da ist es so, das es mal rauf mal runter geht, aber im Mittel doch etwa gleich bleibt.

Wir gehen davon aus, dass die Traumerinnerung relativ stabil ist über das Lebensalter. In unserer Untersuchung von den Älteren zur Traumerinnerung haben wir allerdings festgestellt, dass die Traumerinnerung stark mit dem visuellen Gedächtnis zusammenhängt. Die Annahme ist, dass bei gesunden Alterungsprozessen oder auch durch degenerative Prozesse das visuelle Gedächtnis beeinträchtigt wird, so dass dann tatsächlich auch die Traumerinnerung abnimmt.

 

Können die Leute sich im Alter generell weniger an Träume erinnern oder verändert sich die Art wie erinnert wird, sind die Träume z. B. bruchstückhafter oder nicht mehr so lebendig?

Wir haben auch festgestellt, dass die Traumlänge, die Menge, an die man sich nach dem Aufwachen erinnert, mit dem verbalen Kurzzeitgedächtnis zusammenhängt und die Träume von älteren Menschen in der Regel kürzer sind als die von Probanden im jungen Erwachsenenalter. Dazu gibt es mehrere Erklärungsmodelle. Ein wichtiges Erklärungsmodell ist weniger das Gedächtnis an sich, sondern der Schlaf, also die Schlafphysiologie, weil tatsächlich bei älteren Menschen mehr Unterbrechungen des Schlafes auftreten als bei jungen gesunden Probanden und dadurch die Träume bruchstückhafter werden. Von der Gefühlsqualität her, also der Intensität von positiven und negativen Träumen, und bezüglich der Traumbizarrheit, also ob der Traum realistisch ist oder fantastische Elemente enthält, da würde ich sagen, gibt es zumindest nach der repräsentativen Studie, die ich dazu habe, keine Unterschiede bezüglich des Alters.

 

Man träumt ja meistens von sich in der Hauptperson. Altert man dann im Traum als Hauptperson oder bleibt man irgendwie immer gleich?

Zum Traum-Ich gibt es unterschiedliche Hypothesen. Es gibt einen älteren Traumforscher, L. R. Müller, einen Mediziner, der über die Träume der Älteren geschrieben hat. Er ist davon ausgegangen, dass Ältere vorwiegend von ihrer Jugend oder jungen Erwachsenenzeit träumen. D.h. wenn man selbst alt ist und nicht mehr so kann wie man gern möchte, dass dann im Traum die Jugendzeit wieder auflebt. Das hat sich allerdings in unserer Traum-Studie bei älteren Menschen nicht bestätigt, sondern da ist es tatsächlich so, dass die meisten Menschen von sich so träumen wie sie auch im Wachzustand sind. Das heißt, wenn Sie Probleme im Wachzustand haben mit z. B. körperlicher Bewegung oder irgendwas, dann tritt es auch im Traum auf.

 

Gibt auch so etwas wie generationsspezifische Träume? Also dass z. B. die Menschen aus der Kriegszeit, die ja viel Schlimmes erlebt haben, sich auch da vermehrt daran erinnern?

Auch in meiner eigenen Studie kam es tatsächlich zumindest einige Male vor, dass es ältere Personen gab, die immer noch von Kriegserlebnissen geträumt haben und in einer repräsentativen Umfrage vom Institut für Demoskopie in Allensbach hat sich tatsächlich herausgestellt, dass auch in der Untersuchung im Jahr 2000 bei den über 65-jährigen tatsächlich solche Kriegsthemen immer noch im Traum vorkommen. Also da sieht man anhand der Träume heute immer noch eine Belastung aufgrund eines so schwerwiegenden Ereignisses.

 

Kann man Alpträume durch z.B. Psychotherapie beeinflussen, so dass man dann weniger schlecht träumt?

Alpträume sind Träume mit stark negativen Affekt, der zum Aufwachen führt. Diese lassen sich mit einer sehr einfachen Methode günstig beeinflussen. Das gilt sowohl für posttraumatische Belastungsträume als auch für Alpträume, die nicht direkt auf ein Trauma zurückzuführen sind. Dieser Ansatz wird im englischen Sprachraum als „Imagery Rehearsal Therapy“ bezeichnet. Also eine Art Vorstellungs-Wiederholungstherapie. Die Grundidee ist, dass der Traum Angstphänomene darstellt und indem man das Angstphänomen angeht, sich damit konfrontiert und es bewältigt, verändert sich auch der Traum. Bei Träumen ist das relativ einfach, das heißt man schreibt den Traum auf, stellt sich dann eine neue Bewältigungsstrategie für die Traumsituation vor und wiederholt diese neue Bewältigungsstrategie über zwei Wochen einmal pro Tag. Dann wird das Gedankenmuster, das kognitive Muster, verändert und wenn dann eine ähnliche Situation oder Angstsituation im Traum auftritt, wird gleichzeitig auch die neue Bewältigungsstrategie aufgerufen. Das heißt die Träume verändern sich und die Alpträume nehmen ab.

 

Haben sich die Traumthemen über die Jahre verändert? Träumen Menschen heutzutage von anderen Dingen träumen als früher?

Das hat noch keiner untersucht. Bei dem Thema gibt es eher Trauminhalte, die auch über Generationen gleichbleiben. Wir sagen dann dazu „typische Träume“. Nehmen wir mal eine Falltraum oder der Traum, in der Öffentlichkeit nackt sein. Das sind Trauminhalte, also bei dem Falltraum z. B. habe ich es selbst analysiert, die sich in den letzten 50 Jahren überhaupt nicht verändert haben. Das träumen die Leute heute genauso, wie sie die Leute früher taten. Bei Kinderträumen haben wir schon gesehen, dass sich die Medien oder Geschichten, die die Kinder vorgelesen bekommen, auch auf den Trauminhalt auswirken. Das heißt, bedrohliche Figuren waren früher eher Gespenster oder der schwarze Mann, während es heute eben eher Hauptfiguren von Filmen sind.

 

Warum träumt man denn vom Fallen, warum ist es denn so ein typischer Traum?

Bei den typischen Träumen ist es so, dass man vermutet, dass dadurch, dass es ja viele träumen, eine Art Grundmuster dahinter steckt. Beim Fallen ist es natürlich so, dass es ein extrem starker Angsttraum ist. Wenn man das in eine psychologische Sprache übersetzt, ist es die Angst, den Halt zu verlieren, also völlig die Kontrolle über alles zu verlieren und ins Bodenlose zu stürzen. Träume versuchen, aktuelle Wachgefühle aufzugreifen und in einer verstärkten Form darzustellen. Das heißt, ein Falltraum ist eine extreme Verstärkung von möglicherweise kleineren Existenzängsten.

 

Hat Stress einen Einfluss auf die Traumerinnerung?

Der Einfluss von Stress auf die Traumerinnerung ist sehr unterschiedlich. Zum einen kann der Stress dazu führen, dass man weniger schläft, und durch die verkürzte Schlafdauer wird die Traumerinnerung schlechter. Je länger der Schlaf ist, desto mehr REM-Phasen hat man und desto eher ist die Chance, dass man direkt aus dem Traum aufwacht und sich erinnert. Bei anderen ist es wiederum so, dass sie unter Stress mehr belastende Träume haben und sich dadurch besser erinnern. Es gibt verschiedene Effekte von Stress auf die Traumerinnerung.

 

Man träumt doch eigentlich jede Nacht und warum erinnert man sich an so wenig Träume?

Beim Träumen ist es so, dass es sinnvoll ist, sich schlecht an Träume zu erinnern. Wenn man sich an Träume genauso gut erinnern könnte wie an die Dinge, die man im Wachzustand erlebt hätte, gäbe es Chaos. Dass man sich im Wachzustand schlecht an Träume erinnern kann, hängt wahrscheinlich auch mit der Hirnphysiologie zusammen. Das Gehirn ist im Schlaf anders reguliert ist als im Wachzustand und es besteht die Vermutung, dass man im Wachzustand nicht so gut auf die Inhalte zugreifen kann, die in diesem anderen Zustand bearbeitet wurden.

 

Sie sind hier in der Region die einzige Stelle, die sich mit Forschung zu Traum und Schlaf beschäftigt. Bekommen Sie auch Anfragen von Leuten, die mit Problemen kommen oder mit Träumen? Was ist denn ein typisches Beispiel, weshalb die Leute sich an Sie wenden?

Es ist tatsächlich so, dass unser Schlaflabor eine Anlaufstelle für Patienten mit Schlafstörungen ist. Spezifische Anfragen wegen Träumen, z. B. dass Leute den Eindruck haben, soviel zu träumen, dass der Schlaf nicht erholsam ist, sind relativ selten, aber da ich einer der wenigen Traumforscher in Deutschland bin, kommen von weit her Anfragen. Interessanterweise besteht gerade da eine sehr starke Überschneidungen zur Schlafmedizin, weil das Träumen als psychologisches Erleben während des Schlafes erst einmal keine Beeinträchtigung der Erholsamkeit des Schlafes darstellt. Es ist es häufig so, dass man die Leute tatsächlich auch schlafmedizinisch abklären muss. Das heißt also neben dem Vorgespräch eine Untersuchung im Schlaflabor, um zu sehen was tatsächlich die Ursache ist.

 

Was sind denn Ihre Empfehlungen für einen guten Schlaf? Wie kann man einen guten Schlaf erreichen und positive Träume?

Schlaf ist ein Zustand, der dann eintritt, wenn man körperlich und geistig entspannt ist. Das heißt, alle Dinge, die zur Entspannung beitragen, besonders in den Abendstunden. Der Übergang vom Wachzustand zum Schlaf sollte entspannt gestaltet werden. Was häufig beobachtet wird, ist, dass Gedanken den Schlaf stören können, wenn man sich z. B. Gedanken macht, was am nächsten Tag auf einen zukommt oder wenn man über den letzten Tag nachgrübelt. Das stört den Schlaf und da empfehlen wir dann, sich positive Gedanken beim Einschlafen zu machen, z. B. an den Urlaub denken oder an irgendwelche angenehmen Dinge, weil angenehme Dinge den Körper und den Geist beruhigen. Was bei älteren Menschen auch ein wichtiger Punkt ist, ist die tägliche Bewegung. Der Schlaf hängt eben auch davon ab, was man tagsüber macht und wenn man sich tagsüber zu wenig bewegt, ist der Körper zu wenig müde. Es gibt bei älteren Menschen auch Schlafstörungen dadurch, dass am Tag die Bewegung fehlt. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Sport in Heidelberg haben Kollegen auch eine Studie durchgeführt, die gezeigt hat, dass sich z.B. regelmäßiges Walking tatsächlich sehr positiv auf den Schlaf auswirkt.

 

Darf ich Sie zum Abschluss noch etwas Persönliches fragen? Wie sind Sie denn zur Schlafforschung gekommen? I

Mein erstes Studium war Elektrotechnik und während ich das studiert habe, habe ich mich mit psychologischen Themen beschäftigt. Einer der Autoren, die mich am meisten beeindruckt haben, war Erich Fromm. Und Erich Fromm hat eben auch ein Buch über Träume geschrieben und dann bin ich neugierig geworden. Weil ich mich selber damals nicht an meine eigenen Träume erinnert habe und ich wissen wollte, was da alles so passiert nachts. Dann habe ein zweites Buch gekauft, wo es um praktische Tipps ging wie man z. B. die Traumerinnerung steigert usw. und seitdem schreibe ich regelmäßig Träume auf und bin dann in meinem zweiten Studium, der Psychologie, dem Thema immer näher gekommen.

 

Noch eine allerletzte Frage: haben Sie einen Lieblingstraum, an den Sie sich erinnern?

Es gibt einen Traum, der immer noch in meinem Kopf schwebt, weil er mich so stark beeindruckt hat. Das war ein Traum, in dem ich in einer eingerollten Haltung wie ein Ei über ein stark bewegtes Meer gesegelt bin. Das war sehr eindrücklich, der Blick auf das Meer, also auf diese Wellen war ein sehr intensives Gefühlserlebnis.

 

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Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 11.06.2018
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