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"Reich Gottes und Zivilgesellschaft"
- Vortrag von Prof. Dr. Traugott Jähnichen

Vortrag Jähnichen

 

 

"Reich Gottes und Zivilgesellschaft" - wie diese sich scheinbar einander ausschließenden Größen zueinander in ein fruchtbares Verhältnis zu setzen sind, wie Hoffnung auch in der Gegenwart als "Glaubenskraft" (Jürgen Moltmann) wirkt, das war die Fragestellung, die Traugott Jähnichen, Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Ruhr- Universität Bochum, in seinem Vortrag am Freitagmorgen in einer "Systematisch-theologischen Perspektive" entfaltete.

 

 

Jähnichen, „der Erforscher und Interpret des Sozialen Protestantismus in Deutschland“ (Heinz Schmidt), zeigte zunächst „Transformationen“ auf, der die Reich-Gottes-Vorstellung in der neuzeitlichen Theologiegeschichte unterzogen war. Während im Pietismus die Reich-Gottes-Erwartung „verkirchlicht“, der Einsatz für eine bessere, eine reformierte Kirche mithin als Schritt hin zur Verwirklichung des Reiches Gottes verstanden worden sei, habe sich in der Liberalen Theologie und im Kulturprotestantismus im Gefolge der Aufklärung deren „Ethisierung“ vollzogen. Gleichsam evolutionär habe Ritschl in der Tradition Lessings die „Versittlichung der Gesellschaft“ als „Beruf“ verstanden, der der Ausbreitung des Reiches Gottes diene. Bei Johann Hinrich Wichern lasse sich bereits eine weitere geschichtstheologische Zuspitzung dieser Deutung beobachten: die Innere Mission werde als „Impuls der Ausbreitung des Reiches Gottes über alle Lebensbereiche hinweg“ – angefangen beim einzelnen (christlichen) Individuum über die Ebene des Staates bis hin zu der des Volkes – verstanden. In der „social gospel“-Bewegung und im religiösen Sozialismus manifestiere sich schließlich eine „politisch-revolutionäre Reich-Gottes-Hoffnung“, der die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit im Diesseits als Gradmesser diene. Angesichts dieser Verweltlichung mag es nicht Wunder nehmen, dass mit der Neuentdeckung der „konsequenten Eschatologie“ Jesu durch Albert Schweitzer und Johannes Weiss eine „Re-Eschatologisierung“ einsetzte und Karl Barth angesichts der „unaufhebbaren Differenz“ zwischen Reich Gottes und menschlichem Tun vor „falschem Triumphalismus“ warnte.

 

Vortrag Jähnichen

 

Gegenüber den Varianten der Reich-Gottes-Hoffnung, die das 19. und frühe 20. Jahrhundert ausgebildet hatte, nehmen sich die gegenwärtigen Vorstellungen Jähnichen zufolge bescheidener, ja gebrochener aus: das Reich Gottes erscheine nunmehr als Motiv christlichen Handelns, und wenn an seine Verwirklichung gedacht werde, dann in fragmentarischer Weise. Doch wer darin einen Reduktionismus erkenne, verkenne sogleich die „Veränderungsdynamik des Reiches Gottes“, die gegen die Beharrungskräfte des Status quo – auch in Kirche und Diakonie – gerichtet sei. Gegen ein tendenziell wertkonservatives Bewahren – Bewahren der Schöpfung! Bewahren des Sozialstaates! – gilt es demnach, den Blick nach vorne, in die Zukunft, zu richten und die prophetische Tradition christlicher Religiosität fruchtbar zu machen – ohne dabei allerdings der Gefahr zu erliegen, sich aus der gegenwärtigen Wirklichkeit in illusionärer Verblendung zu verabschieden. Dem ist gewehrt, bezieht man sich auf die Zivilgesellschaft, die als „Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenhaltes“ auch dasjenige gemeinwesenbezogene Forum jenseits Staat, Markt und Familie darstellt, in das die „Dynamik des Reiche Gottes“ einzubringen ist. Das geschehe in Kirche und Diakonie ganz wesentlich durch die Weitergabe von Bildern der Hoffnung und durch eine Vergegenwärtigung „eschatologischer Fülle“, die eine „hoffnungslose Überforderung“ bannen und sich doch nicht mit dem Erreichten zufrieden geben.

 

Dieser Anspruch, der sich theologisch – und sozialethisch – als „Ethik des Komparativs“ entfalten lässt, weiß allerdings um seine stets nur „fragmentarische Verwirklichung“. Er wirkt so zugleich entlastend. Als „Anwalt der Benachteiligten“ dient der Diakonie gegen die Exklusionsmechanismen, über die sich Staat und Markt definieren, „Teilhabe“ als Kompass auf dem Weg zu einer „solidarischeren Gesellschaft“ – aber auch bei der Ausrichtung des eigenen Handelns.

 

Dietmar Kauderer

 
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Letzte Änderung: 29.05.2018