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Vortrag von Prof. Dr. Peter Fauser

Vortrag

 

Bildung als Kompetenz - die Bedeutung von Friedrich Oberlin und Gustav Werner für eine Lern- und Wissensgesellschaft

 

 

 

 

Am Samstagmorgen sprach Dr. Peter Fauser, Professor für Schulpädagogik und Schulentwicklung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie Vorstandsmitglied der Akademie für Bildungsreform und Sprecher der Jury des Deutschen Schulpreises, zum Thema Bildung als Kompetenz – Die Bedeutung von Friedrich Oberlin und Gustav Werner für eine Lern- und Wissensgesellschaft. Den Kongressteilnehmern – wohl eher Sozial- oder Religionspädagogen – näherte er sich als „sympathisierender Schulpädagoge”. Sein Augenmerk wolle er hauptsächlich auf die Darstellung gegenwärtiger Herausforderungen und Problemlagen des deutschen Schulwesens richten und anhand einiger prämierter Schulen gelungene Antworten hierauf zeigen, die ihrer Struktur nach durchaus Ansätzen Oberlins und Werners vergleichbar seien.

 

Die Qualität der Bildung sei nicht nur für den Übergang unserer Gesellschaft in eine Wissensgesellschaft von entscheidender Bedeutung, sondern zugleich auch für den zukünftigen Zustand der Demokratie, so Fauser, der lange Zeit als wissenschaftlicher Leiter für den Wettbewerb „Förderprogramm Demokratisch Handeln“ verantwortlich zeichnete. Es gelte eine angemessene Reaktion auf das Doppelgesicht der Moderne zu finden, das sich 1. in einer Globalisierung äußere, die sowohl (positiv) eine Universalisierung der Menschenrechte mit sich bringe wie auch (negativ) eine zunehmende Unberechenbarkeit des Lebensvollzugs, und 2. in einer Individualisierung, die immer auch in der Gefahr stehe, die Wahrnehmung des Ich bis zu dessen Isolierung hin zu übersteigern.

 

Der zentrale Begriff gegenwärtiger Bildungskonzepte – Kompetenz – müsse unbedingt weit verstanden werden. Es gehe hier nicht nur um das reine Wissen, vielmehr auch um dessen Anwendung. Intelligentes Wissen und intelligentes Handeln im Verbund aber sei nur durch ein „verständnisintensives Lernen“ erreichbar. Bildung hat in diesem Ansatz vier Strukturdimensionen: das tatsächliche Handeln bzw. die Erfahrung, das Vorstellungsdenken, das Begreifen sowie die Meta-Kognition. Warum schwimmt ein Schiff, (wo es doch) aus Eisen (ist)? Eine mögliche Antwort der Schüler: „Weil der Kapitän an Bord ist.“ Eine andere: „Weil der Motor läuft.“ – Herkömmliche Antwort des Lehrers: „Auftrieb“. Zu den vier Struktur- gesellen sich drei Prozessdimensionen: Kompetenz, Autonomie und Eingebundenheit. Verstehen lerne man nicht ohne die Erfahrung, verstanden zu werden. Lernen könne nur dann bedeutsam werden, wenn es für die und den Einzelnen welt- und werthaltig erfahrbar sei.

Derzeit trennten die Schulen in aller Regel die Lern- und Lebensverhältnisse der Schüler, etwa durch Generationen- oder Behindertenausschluss. Erfahrungen würden daher oftmals nur aus zweiter oder dritter Hand vermittelt und könnten gegen die mediale Überwältigung umso weniger bestehen. Den „Kraftfeldern kultureller Polykratien“ könne einzig durch eine „multizentrische Steuerung“, d.h. jeweils vor Ort mit entsprechender Zuweisung finanzieller Mittel, begegnet werden. Die Schule gehöre „als Kultur eingebettet in die (jeweilige) moderne Gesellschaft“. Im Einzelfall erfordere dies zehn bis fünfzehn Jahre harte Aufbauarbeit, wie etwa in der Werkstattschule Bremerhaven, die im Jahr 2008 den Deutschen Schulpreis gewann. Diese Schule richtet sich gezielt an Jugendliche ohne Hauptschulabschluss, um ihnen durch entsprechende (Unterrichts-)Angebote doch noch den Weg in den regulären Arbeitsmarkt zu eröffnen. Die Schüler arbeiten praxisorientiert (6-8 Stunden „reine Theorie“, 22-24 Stunden Fachpraxis/Fachtheorie) in acht verschiedenen Projekten. Sie bieten ihre Dienstleistungen und Produkte gegen Bezahlung an den Schulen und im Bereich der öffentlichen Verwaltung an. Ihr Schultag beginnt und endet am Stempelautomaten.

 

Vergleichbar hätten auch Gustav Werner und Friedrich Oberlin „im Aufbruch der Moderne“ reagiert in der Absicht, „die Systemeffekte der Moderne durch institutionelle Einrichtung lebensdienlicher Verhältnisse zu bewältigen“. Es gehe auch heute um den Aufbau von schützenden Gemeinschaften („Kommunitäten“), um die Stärkung interpersonaler Praxis und die Etablierung bildungswirksamer Lebensverhältnisse, um auf diesem Wege eine Besserung der Lernverhältnisse zu erreichen. Das Wirken Oberlins und Werners sei demnach einem Schulpädagogen dieser Tage durchaus ein beachtenswertes Exempel kompetenzorientierter Erziehungs- und Bildungsarbeit.

Klemens Dittberner

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Letzte Änderung: 29.05.2018