Gedenkveranstaltung "Zwischen Anpassung und Widerstand: Soziale Arbeit der Kirchen während der NS-Zeit"

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    Tagung Berlin 11.6.2015

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Am 11. Juni 2015 fand in der Berliner Gedenkstätte Deut­scher Widerstand das wissenschaftliche Symposium "Zwischen Anpassung und Widerstand: Soziale Arbeit (der Kirchen) während der NS-Zeit" statt. Veranstalter waren das Diakoniewissenschaftliche Institut der Universität Heidelberg, das Berliner Institut für christliche Ethik und Poli­tik, die Diakonie Deutschland und der Deutsche Caritas­verband.
Die Fachveranstaltung sollte "einerseits die Anpassung (kirchlicher) Sozialarbeit an die NS-Ideologie thematisieren, andererseits einen Beitrag zur Würdigung besonders jener Personen leisten, die im Feld der Sozialen Arbeit Wider­stand gegen das NS-Regime geleistet haben", so der An­kündigungstext. Wie viele andere Institutionen und Orga­nisationen haben sich die kirchlich getragenen lange einer Aufarbeitung ihrer Beteiligung an nationalsozialistischer Politik und deren Umsetzung entzogen. Und trotz vielfälti­ger Forschungsarbeiten insbesondere seit den 1980er- Jahren lässt sich konstatieren, "dass bis heute auch im Bereich der Sozialen Arbeit der Umgang mit der national­sozialistischen Vergangenheit ambivalent geblieben ist und gleichzeitig viele neue Mythen über das Dritte Reich entstehen".1

Zwischen Anpassung und Widerstand?

Schon der erste Vortrag zeigte, dass der Titel der Veranstaltung das Problemfeld nicht adäquat erfasste. Manfred Kappeier, emeritierter Professor für Erziehungswissenschaften an der TU Berlin, machte deutlich, dass sich für die Akteure und Akteurinnen der Sozialen Arbeit die Alter­native „Anpassung oder Widerstand" nach der Macht­übernahme des NS-Regimes so nicht stellte. Vielmehr herrschten „wohlwollendes Abwarten und Zustimmung" vor. Die ,,rassenhygienische" Ideologie, die die nationalsozialistische „Volkspflege" bestimmte, ließ sich durchaus als Zuspitzung des klassifizierenden Denkens begreifen, das die Soziale Arbeit auch zuvor beherrschte. Auf institutio­neller Ebene gab es in den konfessionellen Verbänden kaum Widerstand, allenfalls im Interesse des Selbsterhalts etwa gegen den Einfluss der Nationalsozialistischen Volks­wohlfahrt (NSV). Die Personen, die sich für aktive Widerstandshandlungen entschieden, taten dies laut Kappeier nicht aus der gemeinsamen christlichen Überzeugung, sondern aus einer jeweils individuellen Ethik heraus.

Widerstand Einzelner, nicht der Institutionen

Den letzteren Befund bestätigten die nachfolgenden Vor­träge von Ralph-Christian Amthor, Hochschule Würzburg, und Birgit Bender-Junker, Evangelische Hochschule Darm­stadt. Sie referierten die Forschungsergebnisse des 2012/13 gemeinsam mit dem Deutschen Zentralinstitut für Soziale Fragen (DZI) durchgeführten Projekts „Widerstand in der sozialen Arbeit". Darunter sind nach Amthor alle bekann­ten Formen aktiven Sichwidersetzens, das Eintreten für „Schutzbefohlene", aktiver Protest und Zugehörigkeit zu einer Gruppe, versteckter Protest, „stille Hilfe" sowie Fluchthilfe zu verstehen. Anhand exemplarischer Biografien widerständig handelnder Personen aus dem evangelischen und katholischen Spektrum zeigten die Referent/innen, dass diese immer als Einzelne agierten, nicht im Kontext der konfessionellen Sozialen Arbeit. So ließ sich bisher keine Widerstandsgruppe etwa von Sozialpädagog/innen oder eine widerständige Ausbildungsstätte nachweisen. Wohl aber handelten die Beteiligten in Netzwerken und zum Teil unterstützt von Einrichtungen, etwa Diakonissen­mutterhäusern, die zur Bekennenden Kirche gehörten.2
Auch Carola Kuhlmann, Professorin an der Evangelischen Fachhochschule Bochum, kam in ihrem Beitrag zu dem Ergebnis, dass Widerstand gegen das NS-Regime in der Sozialen Arbeit immer die Arbeit von „einzelnen, einsa­men Menschen" war. Auf institutioneller Ebene hingegen bestand vor allem ein Verhältnis von Kooperation und Konkurrenz mit Staat und NSV Die erbbiologische Zuspit­zung der seit der Frühen Neuzeit bestehenden Scheidung in „würdige" und „unwürdige" Arme in der NS-Ideologie wurde vielfach begrüßt. Eine Anpassung sei nicht notwen­dig gewesen, denn die Schnittmenge - etwa gegen die "liberalistische, individualistische" Pädagogik der Weima­rer Republik - war größer als etwaige Differenzen. Zugleich wurden z.T. „langgehegte Wünsche" an eine „mo­derne Wohlfahrtspflege" im Nationalsozialismus umgesetzt. Kuhlmann widersprach auch dem Mythos, gegen die "Euthanasie", dem Mord an kranken und behinderten Menschen, sei Widerstand geleistet worden. Zwar habe es in kirchlichen Einrichtungen zum Teil stille Verweigerung, aber keinen massenhaften, organisierten Widerstand ge­geben und daher seien auch nur wenige Patient/innen tatsächlich gerettet worden.3
Ein Anschluss an Probleme, die sich der Freien Wohlfahrtspflege heute stellen, wurde mit dem Vortrag des Hamburger Soziologen Heinz Bude gesucht. Er kategorisierte die Anhänger/innen aktueller rechtspopulistischer und islamophober Ideologien in der Bundesrepublik und machte da­ran u.a. deutlich, warum der Sozialen Arbeit der Umgang mit ihnen zuweilen schwerfällt: Der "weiche Rechtspopu­lismus" tritt nicht nur für den Erhalt bürgerlicher Freiheits­rechte, sondern auch gegen den Abbau des Wohlfahrts­staates ein.
Dem wissenschaftlichen Symposium folgte eine abendliche Gedenkveranstaltung im Deutschen Historischen Museum, bei der vor allem der Opfer der „rassenhygienischen" Sozialarbeit im Nationalsozialismus gedacht wer den sollte. Micha Brumlik, emeritierter Professor für Erzie­hungswissenschaften an der Universität Frankfurt a.M., zeigte in seiner Festrede "Dienst am Volk oder Bekenntnis zum Glauben - das Dilemma christlicher Sozialarbeit im NS Staat", dass auch der christliche Widerstand von Ambiva­lenzen geprägt war. Eine idealisierende Bezugnahme auf einzelne widerständige Personen, vor der schon beim Symposium gewarnt worden war, ist daher nicht zielführend.

Fazit

Gerade durch die Einbindung der beiden christlichen Wohlfahrtsverbände stellte die Veranstaltung einen wichti­gen Schritt bei der Aufarbeitung der Beteiligung Sozialer Arbeit im Nationalsozialismus dar. Die einhellige Meinung der Referent/innen, dass die institutionelle Soziale Arbeit kaum zwischen den Antipoden von Widerstand und An­passung zu betrachten sei, wurde von den Veranstaltern aufgegriffen und führte zu fruchtbaren Diskussionen - et­wa darüber, dass der ebenfalls in der Einladung verwende­te Begriff der „Instrumentalisierung" nicht geeignet sei, da er diejenigen, die "mitmachten", von der Verantwortung freispreche. Insgesamt wurden erhebliche Forschungslü­cken deutlich, und es steht zu hoffen, dass 70 Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Herrschaft Rolle und Funktion Sozialer Arbeit weiter kritisch erforscht wird - gerade auch mit Blick auf die „(un-)heimlichen Kontinuitä­ten und längerfristigen Wirkungen der nationalsozialisti­schen Zeit für die heutige Entwicklung der Sozialen Arbeit".4

1. Kulmann, C.: Soziale Arbeit im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, in: Thole, W.: Grundriss Soziale Arbeit, 3. Aufl., Wiesbaden 2010, S. 87-107, hier: 89.

2. R. Amthor und B. Bender-Junker werden ihre Forschungsergebnisse in einer der nächsten Ausgaben des NDV vorstellen.

3. Auch von C. Kuhlmann wird in Kürze ein Beitrag im NDV veröffentlicht.

4. Kuhlmann (Fußn. 1), S.89.

Quelle: Nachrichtendienst Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. September 2015

 

 
Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 22.05.2018
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